Wie ich einmal angelte

Text

von  tueichler

Das Meer. Immer wenn ich das Meer rieche - Nein, so fängt nur Kitsch an. Also immer wenn ich kein Meer rieche, weiß ich, dass ich nicht mehr in Schottland auf meiner geliebten Isle of Skye bin. Je nach dem, ob es nun mehr oder weniger als sechs Monate her ist, dass ich das Meer gerochen habe, weiß ich, dass ich vom letzten Mal träumen oder mich auf das nächste Mal freuen kann. So war es auch in diesem Jahr und ich war schon seit August im Fieber für die eine Woche Schottland im September.
Mit Schottland verbindet man ja neben allgemein schlechtem Essen, Regen und Whisky auch Meeresfrüchte. Was lag also näher als sich um das Essen mittels einer Angel aus dem Baumarkt selbst zu kümmern (nebenbei ist es ja schon befremdlich, dass es im Baumarkt Angeln zu kaufen gibt...).
Da war also der Traum, in der Abendsonne mit einem Anglerhut bekleidet auf einer Klippe der See die Meeresfrüchte in hartem Kampf abzuringen. Bevor es aber soweit kam war noch die eine oder andere Fragen zu klären. Wie fädelt man eine Angelschnur auf eine Rolle? Wie befestigt man den Haken und, welchen Haken nimmt man überhaupt? Braucht man Köder? Verreckt der Wurm im Salzwasser? Kann man den Haken rauswerfen, ohne danach im Sprechzimmer des örtlichen Chirurgen auf die schmerzhafte Entfernung eines Drillings aus dem Nasenflügel zu warten? All diese Fragen wurden von einem freundlichen Mitarbeiter des Baumarktes knapp und dennoch umfassend beantwortet. So hatte ich also das Gefühl, die Fische stehen schon am Loch Greshornish Schlange, einzig, um in meinen Haken beißen zu dürfen.
Wir hatten unseren Bestimmungsort, ein Haus am Meer erreicht und wollten am nächsten Tag zur Tat schreiten. Wir, das sind mein Schwager, mein Schwiegervater und ich. Bis dahin fachsimpelten wir schon mal, wie denn der fette Fisch zuzubereiten wäre. Folie oder Bierteig? Reis oder Kartoffeln? Soße oder keine, mit oder ohne Gemüse. Das Ende der Debatte verlor sich in der Chronik eines angekündigten Vollrausches nach erheblichem Whiskygenuß. Somit fehlt mir hier die detaillierte Erinnerung doch etwas. Das allerdings war, wie sich im Nachhinein herausstellte, auch nicht so wichtig.
Wie man weiß, gibt es im Ozean, und zu jenem gehört die Hebridensee, Ebbe und Flut. Diese wechseln sich alle 6 Stunden ab. Mal ist Wasser da, mal nicht. Als wir auf der Insel ankamen, war der Flutscheitel, also dann, wenn das meiste Wasser da ist, immer nachts um 3 Uhr und nachmittags um 15 Uhr. Wir sind also morgens aus dem Haus und haben unsere Ausflüge gemacht, um dann am Abend mit einem Bier und dem Anglerhut auf dem Kopf auf der Klippe, naja, Sie wissen schon...
Nach einigen Fehlversuchen beim Werfen stellte es sich heraus, dass ein neuerliches  Bestücken der Rolle mit Angelschnur die weniger zeitraubende Angelegenheit ist, verglichen mit dem Entwirren von etwa 50 Metern 0,3 mm Angelschnur in einem etwa faustgroßen Ballen. Der Verlust einiger Blinker, Schwimmer und Haken im Atlantik konnten wir den Frauen noch dadurch erklären, dass die anbeißenden Meeresbestien diese wohl verschlungen hätten. Bis am nächsten Morgen mein Weib aus dem Fenster auf einen etwa 50 Meter vor dem Haus im Wasser treibenden roten Punkt zeigte und meinte, es könnte ja durchaus ein Schwimmer von meiner Angel sein. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich natürlich noch nichts von der dort gültigen Gezeitentabelle.
So kleidete ich mich spärlich aber mit Wanderstiefeln, jedoch ohne Socken und marschierte in den Atlantik, um den nicht mehr vorhandenen Teil meiner komplexen Angelausrüstung zu bergen. Das hüfthohe Atlantikwasser  war bei einer Lufttemperatur von 12 Grad und 6 Beaufort kaum zu spüren. Als ich dann im 2. Anlauf den Schwimmer aus dem Kelp geborgen hatte, musste ich erstmal unter die warme Dusche, einmal um aufzutauen, zum Anderen, um das Salzwasser aus meinen Schuhen herauszuwaschen. An Angeln dachte ich erstmal
eine Weile nicht mehr. Also Schlafen, Lesen, Faulenzen.
2 Stunden später bemerkte dann ich meinen Irrtum. Wo ich einige Stunden vorher bis zum Nabel im Atlantik stand war nun das Wasser 20 Meter weit weg. So also sind Gezeiten.
Die weiteren Abende bemühten wir uns redlich und es begab sich, dass mein Schwiegervater laut "Beute, Beute!" schreiend mit ganzem Körpereinsatz an der Angel ziehend das vermeintliche Abendessen aus dem Wasser barg. Beim Ergreifen des Fisches schaute wahlweise Kopf oder Schwanz aus der geschlossenen rechten Hand. Nach Entfernen des Hakens schickten wir die Bestie zurück in die Vorschule. Drill & Fight konnte für den Burschen doch noch ein paar Jahre warten.
Wie erwähnt standen wir immer am Abend auf der Klippe. Malerisch! Romantik pur. "Jetzt hab ich die Faxen aber dicke!" war meist der zünftige Gruß, den wir dem Meer entboten, wenn wir bei hereinbrechender Dunkelheit über den trocken gefallenen Meeresboden
in unser Domizil zurückstolperten. Langsam fragten wir uns, ob die Meere wirklich so überfischt sind, dass nur Fische überleben, die durch Daumengroße Maschen industrieller Fangeräte entkommen können. Wenn es aber so ist, woraus bestehen dann die in lecker
Bierteig gebackenen Filets bei Fish&Chips? Die Antwort blieben wir uns schuldig, bis wir am letzten Tag den Mut fassten, einen alten Fischer am Hafen in Portree zu fragen, was man denn machen müsse, um einen richtigen Fisch zu angeln.
"Tja!", und brannte sich erstmal eine an. Hafen angucken. Uns angucken. "Where about?" Germany. "Mhh". Hafen angucken. Am Ende erzählte er uns, dass die großen Fische immer bei auflaufendem Wasser geangelt werden. Unglücklicherweise hat die Flut keinerlei Rücksicht auf die Urlauber genommen und ist permanent am Nachmittag und Abend zurückgewichen. Nur die Fischkinder verstecken sich dann noch im Kelp. Und nur die neugierigen oder die doofen fallen auf einen Touristenblinker herein.
Außerdem kamen regelmäßig 3 Seehunde, um uns beim Angeln zuzusehen. Ich möchte ja nicht wissen, was die gedacht haben. Wer Fische verscheucht, der sollte nicht auch noch lästern. Ich vermeine den Dialog der feuchten Gesellen schwach vernommen zu haben.
Wie auch immer. Das Fischen überlasse ich jetzt den Profis. Ich bin glücklich, wenn ich ein knuspriges Fish&Chips bekomme. Unter knusprig verstehe ich hier auch die Chips. Und dann ein Dosenbier und ordentlich Malzessig auf die Pommes. So einfach kann Glück sein. Wenn man mal eine Woche vergeblich versucht hat, eine Delikatesse aus dem Meer zu fischen.

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