.Produktionsausfall.

Text zum Thema Arbeit und Beruf

von  kirchheimrunner

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Die Strategie


Seit Dr. Overstolz zum Vorstandsvorsitzenden unseres Konzerns berufen wurde, wehte ein anderer Wind in unserer Firma. Die kuschelige Gemütlichkeit der sozialen Wärmstube gehörte von nun an der Vergangenheit an. Unser Unternehmen blickt nämlich ab sofort nach vorne.
Es gibt kein Zurück mehr.
Unser Augenmerk gilt der Zukunft.
Unser Fokus ist der Kunde und der Markt von Morgen.

Dr. Overstolz war ein beharrlicher, ungemein charismatischer und kreativer Manager.
Seine Losung war: „Geht nicht, gibt’s nicht!“
Per Rundschreiben wurde die „Nullfehlertoleranz“ eingeführt; - und wer da nicht mitzieht, der hat in unserem Unternehmen keine Zukunft mehr.

Unsere Geschäftsführung zog mit; - sie wollte ja eine Zukunft haben und diese Zukunft sollte viel versprechend und glänzend sein.
Dafür braucht man die richtigen Leute.
Darum wurde auch nicht mehr diskutiert:
Jeder im Unternehmen hatte sich mit den Zielen zu identifizieren:
Umsatz- und Absatzsteigerung, Neukundenakquisition, Qualitätsoffensive, verbunden mit einem klaren Kostenmanagement.

„Ein Rädchen muss ins andere greifen“, meine Herren: „und keine Reibungsverluste, dass mir das klar ist!“

Es gab alt gediente Kollegen wie mich, die zuerst dachten, dass diese Sprüche nur Worthülsen sind, aber wir hatten uns schwer getäuscht. Zuerst hofften wir insgeheim auf den Abnutzungseffekt, den solche Phrasen nun mal haben; - nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Aber schon nach kurzer Zeit merkten wir den Wind, der uns eiskalt ins Gesicht wehte.

Wir mussten uns schnell umtun, mussten eine Kehrtwendung machen, wenn wir nicht unter die Räder kommen wollten.
Ich drehte mich um ganze 180 Grad.
Ich nickte alles ab, stand hinter dem Konzept der Geschäftsführung und versuchte alles was in meiner Kraft stand, um nicht nach hinten wegzukippen. Kurz gesagt; ich versuchte meinen Arsch zu retten. Ich wurde zum Steigbügelhalter par excellence.

Natürlich gab es mit dem neuen, innovativen Geschäftsmodell auch Rückschläge; - Pleiten, Pech und Pannen. Wir hatten Gegenwind; - der Markt entwickelte sich nicht so, wie man sich das in der Führungsetage vorgestellt hatte. Aber die Richtung stimmte; - das meinte zumindest der Sprecher unserer Geschäftsführung.
Wir waren von nun an auf dem richtigen Weg!

Von nun anwürden wir nicht nur alles richtigmachen, - nein, wir würden nun sogar das Richtige richtig machen!

Oft fragte ich mich in diesen Wochen, warum ich darauf nicht schon früher gekommen bin? Das hätte mir mein Leben im Unternehmen sehr erleichtert.
Ich war bei den ersten, die man abgesägt hatte. – Entschuldigung, - man hatte mich ersetzt; - man hatte mich auf die richtigen Gleise gestellt, wie mein Vorgesetzter beim letzten Beurteilungsgespräch so treffend bemerkte.
Du meine Güte, wie konnte ich froh sein, dass man für mich so offene Worte fand.

Aber trotz aller Parolen und Motivationstechniken, griff nicht immer ein Zahnrädchen ins andere: Die Qualitätsoffensive, die mit viel Elan begonnen wurde, fiel bald dem Wahn der immer weiter steigenden Absatzzahlen zum Opfer. In der Firma häuften sich kleine Pannen. Das war nicht mehr zu übersehen. Die Geschäftsleitung reagierte mehr und mehr gereizt darauf.



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Die Qualität


Krisensitzungen wurden einberufen; die so genannten Quality Circles.
Hecktisch durchgeführte Jure Fixe - Termine.
Diese Besprechungen begannen immer morgens um 9:00 Uhr.
Auf Tagesordnungspunkte und Ergebnisprotokolle haben wir meistens verzichtet.

Aber diese Meetings blieben mir immer lange im Gedächtnis hängen; - und wenn ich dann frustriert und kopfschüttelnd das Konferenzzimmer verließ, hatte ich immer einen bitteren, magensaueren Geschmack im Mund; - besonders heute Morgen:

Der Werksleiter hatte viel Überzeugungsarbeit zu leisten, um seine Investitionsentscheidung vor dem Gremium der erweiterten Geschäftsführung zu rechtfertigen:

„Natürlich haben wir vor der Beschaffung eine Kosten/- Nutzen Analyse gemacht. Die betriebswirtschaftlichen Kennziffern waren beeindruckend.
Return on Investment innerhalb von 3 Jahren."

Ihm war nicht wohl in seiner Haut. Die beiden Geschäftsführer, die diese Sitzung leiteten, waren ungeduldig und fahrig, sie unterbrachen ihn mehrmals, brachten ihn aus dem Konzept.

Das Quartalsreporting an den Hauptgesellschafter war übermorgen fällig; und seit heute morgen waren die gesetzten Produktionsziele in Gefahr. Wer sollte Dr. Overstolz dieses Fiasko erklären?
Er würde auf dem Management herumhacken; - die Geschäftsführer verantwortlich machen. Die Tantiemen kürzen, Sparmaßnahmen einleiten.

Jeder in der Firma wusste es: Alles war von den Absatzzielen abhängig; - auch die Leistungsprämien des ganzen Produktionsteams.
Alle waren auf das Geld angewiesen.
Seit der Gehaltsreform, die wir letztes Jahr in unserem Unternehmen umgesetzt hatten, wurde leistungsbezogen bezahlt. Ertragsabhängige Zusatzzahlungen, Zielquoten und Stückzahlakkord. Wer sich tummelte, konnte absahnen.

Das alles konnte sich der Fertigungsbereich in die Haare schmieren. Das fein ausgeklügelte Produktionsräderwerk stand still.
Es machte keinen Ruck mehr.


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Der Verschleiß


Die Ursache war schnell gefunden:
Er funktioniert nicht mehr!
Kompletter Ausfall.
Stillstand!

Alles das, was sie sich vor Jahren von der getätigten Investition erhofft hatten, konnten sie in den Wind schreiben:
eine hohe Fertigungsqualität,
geringer Energieverbrauch,
ein fast konkurrenzloser Wirkungsgrad – und das alles bei akzeptablen Kosten.
Das war nun nach 10 Jahren zu Ende.

Die Qualitätsinspektoren suchten noch nach genauen Fehlerursachen. Elektronische Analysegeräte standen für diesen Fall zur Verfügung:
Konstruktionsfehler, falsche Bedienung oder eine verhängnisvolle Fehleinschätzung der Betriebsfestigkeit?

Egal was es ist; - bis spätestens Mittag will ich Resultate sehen, ein Ergebnis, einen brauchbaren Vorschlag!"
Wie immer führte unser Produktionsleiter das große Wort. Er führte seine Teams straff, ziel- und erfolgsorientiert.
"Vergesst nicht Leute: Verschleiß ist technisch gesehen ganz trivial: Schlechte Wartung, menschliche Fehler und Fehlbedienung. Das blöde am Verschleiß ist die Bauteilschädigung und der damit verbundene Ausfall von Maschinen und Anlagen. Der Effekt ist verhängnisvoll: Wir haben Kosten und keinen Gewinn. Habt ihr das Problem soweit verstanden?"


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Problemlösung das Krisenmanagement


Eine schnelle Lösung aber war nicht in Sicht.
Warum zum Teufel, musste diese Panne ausgerechnet heute passieren? Wir hatten keinerlei Möglichkeit für eine kurzfristige Investition. Ersatz war so schnell nicht zu bekommen.

Die Produktion wieder anlaufen zu lassen, - und sei es auch nur für kurze Zeit, -das konnte nur durch erhebliche wartungstechnische Arbeiten gewährleistet werden. Wenn überhaupt!

Die hohen Betriebsstunden, die Überhitzung, die Materialermüdung und der die hohen Drehzahlen, hatten seine Lebensdauer erheblich verkürzt.
Der Ofen war aus.
Endgültig!
Aber unser Geschäftsführer hatte eine schnelle und brauchbare Lösung parat.
Wie immer, wenn es darauf ankam:

"Wenn alle Stricke reißen, müssen wir verschrotten und dann umweltgerecht recyclen. Fachgerechte Entsorgung müssen wir garantieren!Wir lassen uns da nichts vorwerfen.
Und die fehlende Kapazität kaufen wir uns von außen zu.
Aber im Handumdrehen und kostengünstig, meine Herren!"

Die Sitzung war geschlossen.

Die Abteilungsleiter, der Qualitätsbeauftragte und der Reklamationsmanager eilten wieder an ihre Arbeit.
Sie eilten den ungeduldig klingelten Telefonen entgegen, um unzufriedene Kunden zu besänftigen.


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Time is Money


“Absatzziele sind uns heilig“,

stand als Motto über der Bürotüre des Qualitätsbeauftragten. Gleich daneben hing das ISO 9000 Zertifikat. Qualität ist eben kein Zufall. Qualität ist harte Arbeit. Aber diese saudumme Panne heute Morgen.
Jetzt heißt es schnell handeln.
Jede Minute ist kostbar,

„wer Zeit verliert,
der sabotiert!“
Der Produktionsleiter hatte immer einen passenden Spruch auf Lager!


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Der Schuldige


Schnelligkeit aber ist relativ.
Der Einsatzwagen der Johanniter war heute nicht schnell genug gewesen.
Aber jetzt hatten die Sanitäter und der Notarzt keine Eile mehr.

Schon seit 8:00 Morgens stand der Krankenwagen am Hintereingang der Pumpenfabrik. Das Blaulicht brauchten sie nicht mehr. Den Sprechfunk hatten sie abgeschaltet.

Sie hatten den Kampf mit der Zeit verloren.
Es war zu schnell gegangen. Der arme Kerl griff sich plötzlich an die Brust, stammelte ein paar Worte und brach zusammen. Niemand wunderte sich darüber. So etwas musste ja einmal kommen.

Der Werkstattleiter, der gestern noch seinen 50. Geburtstag gefeiert hatte, wurde nun auf der Bahre aus der Fabrikhalle hinausgetragen.
Mit den Füssen voraus.
Die Sanitäter bewegten sich langsam. Warum auch, sollten sie sich beeilen?
Das Herz stand still. Es hatte keine Funktion mehr.

Herzinfarkt wird man nach der Obduktion diagnostizieren.

Alles hatte man geplant und nichts dem Zufall überlassen. Aber eines hatte man übersehen:
Herr Käutner war ein Mensch,
er war ein Mensch und keine Maschine.

Der Produktionsausfall allerdings ging ganz auf seine Kosten,
ganz zu seinen Lasten!



***
Anstatt eines Epilogs



Ohne Frage: Charlie Chaplins „Modern Times“ ist kurios:
Wie eine Schafherde, dicht an dicht, drängen die Arbeiter aus der U-Bahn in die Fabrik. Einer von ihnen ist Charlie der Tramp. In der Fabrik sind absurde Maschinen zu bedienen und ständig überwacht der Fabrikdirektor mit Kameras und Bildschirmen die Tätigkeit seiner Mitarbeiter. Charlie arbeitet am Fließband, die monotone Arbeit in dieser seelenlosen Fabrik macht dem Tramp zu schaffen. Er schraubt und schraubt und schraubt und plötzlich dreht er durch….. In einer seiner berühmtesten Szenen gerät er in ein überdimensional großes Räderwerk - und dreht dabei noch immer wie von Sinnen die Schrauben fest. Schließlich landet er in der Nervenheilanstalt.

Gerade noch rechtzeitig. Vielleicht hätten Sie ihn ja irgendwann einmal zum Werkstattleiter befördert.




04. April 2005
© Hans Feil


Anmerkung von kirchheimrunner:

Anstatt eines Vorworts


Während der Dreharbeiten zu Metropolis sagte Lang in einem Interview, er versuche, den brausenden Rhythmus unerhört gesteigerten, zivilisatorischen Fortschritts einzufangen. Die triviale Handlung ist nur Vorwand, Libretto für die Inszenierung von Bewegungsarrangements.

Die Kritiker waren begeistert; - allen voran Luis Buñuel:
«Was für eine begeisternde Symphonie von Bewegung! Wie singen die Maschinen, wunderbar durchsichtig im Zentrum des Werdens einer neuen Zukunft. Die elektrischen Entladungen sind Triumphbögen gleich! ... Das äußerst lebhafte Funkeln des Stahls, die rhythmische Abfolge von Rädern, Kolben, von noch nicht erschaffenen mechanischen Formen, dies ist eine bewundernswerte Ode, eine ganz neue Poesie für unsere Augen.

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Kommentare zu diesem Text


 Shagreen (15.01.10)
Gut geschrieben.
Ja der Mensch ist und bleibt ein Unsicherheitsfaktor.
Ich würde mich nicht einstellen.
Höchstens mit Ausfallversicherung.
Aber mir ist eh nicht zu trauen.

Grüße,
Andreas
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