Aggro ziehen

Erzählung zum Thema Aggression

von  Mutter

Drei Tage später ist es soweit. Der Kunde ist ein Yuppie – Mitte Zwanzig, für irgendeine Metallwaren-Firma. Oft in ganz Deutschland unterwegs, mit einem schimmernden Lächeln viel zu großer Zähne.
Ich lasse die Klarsichthülle, die sein gesamtes Leben enthält, auf den Schreibtisch fallen. Sehe Gabi an.
‚Und, traust du es dir zu? Oder willst du lieber aussteigen?‘, fragt er. Schafft es, keine Häme aus seinen Worten tropfen zu lassen.
Ich schüttele den Kopf. ‚Ich mach das. Zieh‘s durch – keine Angst.‘
‚Sein Bruder hat das Ding für ihn gekauft. Als Geburtstagsgeschenk.‘
Ich nicke. Passt alles zusammen. ‚Bis wann habe ich Zeit?‘
Gabi kommt rüber zum Tisch, blättert in seinen Unterlagen. Nach einem Moment sagt er: ‚Mach’s innerhalb von zwei Wochen. Der Auftrag ist drei Monate alt, der Kunde wollte ein enges Fenster. Kriegst du das hin?‘
Ich nicke noch mal. Fühle mich müde und angespannt gleichzeitig. Das wird in Gabis Büro nicht besser werden. Während ich mich aus dem Sessel hochstemme, werfe ich einen Blick auf meinen Boss und Partner. Der beobachtet mich aufmerksam, will wissen, wie ich mich schlage. Schlagen lasse.
Es gibt so viele Momente mit Gabi, in denen ich  mir vorkomme, als stünde ich auf der Probe, als würde ich gemessen. Aber in diesem Fall ist mir völlig egal, was er darüber denkt. Die Scheiße mache ich nur für mich. Wenn ich mir von dem Yuppie-Penner die Fresse polieren lasse, dann ausschließlich für mein eigenes Ego.
Unten im Hof wähle ich Erics Nummer. Trotz meiner markigen Worte fühle ich mich unsicher, schwimme. Er geht sofort ran.
‚Hey, Eric, hier ist Jakob.‘
Keine Antwort.
‚Jakob. Fight Club Deluxe?‘
‚Ah, Jakob, sorry. Hab‘ dich nicht sofort erkannt. Wie steht’s? Alles gut im Land der Banditen?‘
‚Alles pietsch. Pass auf, ich brauch deine Hilfe. Können wir uns treffen?‘
Er stellt keine Fragen – will nicht wissen, wobei, nennt keine Bedingungen. Fragt nur, wo und wann. Ich nenne ihm eine Kneipe in der Wiener, wir verabreden uns für halb Neun.
Erleichtert mache ich mich auf den Weg nach Hause.

Eric nickt beeindruckt und stellt sein Glas wieder ab. Leckt sich den Schaum von der Oberlippe. Vor uns beiden steht dunkles Flens – meine Wahl, er hat sich angeschlossen.
‚Gutes Bier‘, meint er und zeigt auf das Glas. Ich nicke abwesend – ist man als Deutscher gewöhnt. Egal ob Engländer, Iren, Schotten oder Amerikaner – unser Bier finden sie alle geil. Ich habe ihm gerade von meinem Vorhaben erzählt – von dem Plan, mich verdreschen zu lassen. Und will wissen, ob ihm mein Mumm Respekt abnötigt, oder das Bier aus Flensburg.
‚Was sagst du?‘, dränge ich ihn.
Er überlegt, sieht durch das große Panoramafenster raus auf die belebte Wiener Straße. Nickt dann bedächtig, sieht mich an. ‚Warum nicht. Ich glaube, du bekommst das hin.‘
Das hilft mir nicht weiter. ‚Wie ziehe ich ihn?‘ Die Jungs hatten für ihren Job den Begriff ‚Aggro ziehen‘ geprägt – ein Terminus aus der Welt der Computerspiele. Wer ein Monster als Erstes angreift, ‚zieht Aggro‘ und damit seine Attacken auf sich. Ich würde bei Marko Millwald Aggro ziehen.
Eric nimmt einen weiteren Schluck Bier, lächelt, zuckt mit den Achseln. ‚Ist schwer zu sagen. Muss man der Situation anpassen. Manche von denen packst du an der Ehre. Da reicht es schon, wenn du sie beschimpfst.‘
Ich  nicke – zu meiner Eilfertigkeit würde passen, wenn ich mir Notizen machen würde. Aber ich bin wegen der Aktion scheißnervös. ‚Und wenn nicht?‘
‚Gehst du weiter, bis ans Limit. Robert hat einem Sack, der nicht aufhören wollte, zu telefonieren, mal das Handy im Bier versenkt.‘ Er lacht. ‚Danach gab’s richtig Dresche.‘
Ich runzele die Stirn. Die Jungs waren angehalten, keine bleibenden Schäden bei den Aktionen anzurichten. Nicht an Personen, und nicht an Gegenständen.
Eris hebt beschwichtigend die Hände. ‚Robert hat sich dafür von dem Kerl extra fertig machen lassen. Glaub mir, der Kunde war hinterher mehr als zufrieden. Robert hat echte Nehmer-Qualitäten.‘
Ich nicke, nicht überzeugt. Schätze, Gabi hat davon nie etwas erfahren.
Eric fährt fort: ‚Wichtig ist, dass du sie immer im Auge behältst. Nicht nachlässt, sonst laufen sie dir weg. Die meisten Menschen haben erstaunlich wenig Lust daran, sich zu schlagen.‘
‚Weil sie anständig genug sind.‘
Ein Kopfschütteln und mildes Lächeln. ‚Nein, weil sie Angst haben. Was weißt du schon von dem Kerl dir gegenüber? Er hat dir eines auf jeden Fall voraus: Er signalisiert dir, er will sich hauen. Das alleine schüchtert die meisten Leute ein. Als wüsstet du etwas, was sie nicht wissen. Deswegen musst du pushen, um sie dahin zu bekommen, wo du sie hinhaben willst.‘
Schon klar. Gedanken versunken trinke ich weiter an meinem Bier.
‚Warum machst du das?‘, will er unvermittelt wissen.
‚Ganz ehrlich – ich weiß es nicht.‘ Ich zögere. Dann: ‚Ich will mir beweisen, dass das kein großes Ding ist. Dass ich das kann. Ansonsten hätte ich das Gefühl, wir dürften das nicht durchziehen.‘
Er schnaubt. ‚Operationen am offenen Herzen sind auch ein großes Ding. Und trotzdem muss nicht jeder das Gefühl haben, das machen zu können.‘
Meine Augenbrauen wandern nach oben. Er lacht. ‚Okay, ich wollte damit jetzt nicht sagen, dass die Jungs einen Job analog zu Herzchirurgen machen.‘
Ich grinse zurück. ‚Ich versteh schon. Trotzdem habe ich das Gefühl, ich muss das mal gemacht haben.‘
‚Bungeejump?‘
Meine Antwort ist ein Nicken. So in der Art - eine Art Mutprobe.
‚Hast du die Unterlagen von ihm dabei?‘
Nachdem ich in meinen Rucksack gegriffen habe, schiebe ich ihm den kompletten Marko Millwald über den Tisch. Der Ire blättert durch die Papiere.
‚Der ist locker‘, befindet er dann. Lässt die Klarsichthülle mit einem Klatschen auf den Tisch fallen, greift nach dem Bier.
‚Ach ja?‘
Er trinkt, stellt das Glas wieder ab, nickt. ‚Klar. Der hat so eine Selbstgerechtigkeit im Blick. Hält sich für einen Siegertypen.‘ Für einen Moment scheint er abzuwägen. ‚Vielleicht musst du bei dem irgendwann Schwäche signalisieren. Ihm das Gefühl geben, du würdest einen Rückzieher machen. Bei dem halte ich seinen Jagdinstinkt für größer als seinen Mut. Bist du zu forsch, bricht er dir möglicherweise weg.‘
Ich versuche zu verarbeiten, was er mir da sagt, als er fortfährt: ‚Und erwisch ihn vor Publikum. Am besten vor seinen Freunden. Jede Wette, da steigt er schneller ein als wenn er alleine ist.‘
‚Okay.‘ Dann, nach heftigem Schlucken: ‚Wie verhindere ich, dass sie mich alle zusammen fertigmachen?‘
‚Tja, das ist die hohe Kunst der Duplomatie.‘ Fettes Grinsen.
‚Fuck!‘, entfährt es mir.
‚Hast du Back-Up?‘, will er wissen.
Zu Beginn hatten die Jungs alleine gearbeitet. Nachdem einer der Klienten ausgerastet und Eric so übel zugerichtet hatte, dass er mehrfach genäht werden musste, hatten sie gewollt, dass Gabi sie zu zweit arbeiten lässt. Einer als Prügelknabe, der andere als Deckung. Um einzugreifen, wenn es zu hart wurde. Gabi hatte abgelehnt.
Die Jungs hatten sich dann selber in Doppelschichten organisiert – der eine machte den Job, der andere passte in seiner Freizeit auf ihn auf. Das war keine große Sache, weil die meisten Jobs nicht besonders viel Zeit in Anspruch nahmen, aber es zeigte Gabis Verhältnis zu ihnen.
Ich schüttele den Kopf. Für die Jungs bin ich kein Kumpel, sondern der Hiwi vom Boss. Die Blöße will ich mir nicht geben.
‚Soll ich einen von ihnen fragen?‘ Für ihn würden sie es machen, mit Handkuss. Ich schüttele erneut den Kopf. ‚Passt schon‘, antworte ich.
‚In Ordnung.‘ Er versteht meine Motivation. ‚Ruf mich an, wenn es passiert ist, okay?‘
Sichere ich ihm zu. Damit ist der Teil erledigt. Die Gespräche für den Rest des Abends drehen um alles Mögliche, nur nicht um Manifestationen physischer Gewalt.
Ich verabschiede mich um kurz nach Zwölf in leicht melancholischer Stimmung von ihm. Will, dass er bei mir bleibt, mich unterstützt. Mir wieder aufhilft, falls ich bei Millwald stürze. Fall guys nennen sich die Jungs – in Anlehnung an Stuntmen, unbekannt und unerkannt. Bald bin ich auch einer. Hoffentlich falle ich nicht zu tief.

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Kommentare zu diesem Text

Georg (54)
(29.01.10)
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 Mutter meinte dazu am 29.01.10:
Bin dran ... ;)
Danke schön.
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