Antidot

Erzählung zum Thema Freiheit/ Unfreiheit

von  Mutter

Die nächste Woche ist ein Traum. Ich bin gutgelaunt, entspannt. Es klappt hervorragend mit Julia – ich bin offen, rede viel, wir lachen gemeinsam. Das macht sie misstrauisch. Will mehrmals wissen, was los ist, ich wimmele sie ab. Endlich habe ich das Gefühl, ein Antidot gefunden zu haben. Das Gegenmittel für meine Angst.
‚Ich bin nachher noch mit Olli und Kristina verabredet. Kommst du mit?‘
Klar komme ich mit. In letzter Zeit mache ich jeden Scheiß mit, den sie vorschlägt. Überschlage mich fast, ihr ein echter Freund und Liebhaber zu sein. Genug aufzuholen habe ich ja.
‚Cool. Ich muss vorher noch mal in die Bibliothek – treffen wir uns um halb bei den beiden?‘
Ich nicke, bekomme einen weichen Kuss zum Abschied, der mehr verspricht. Mit einem Lächeln schließe ich die Tür.
Kurz darauf webe ich mir einen Weg mit dem Fahrrad Richtung Moritzplatz. Bin mit Juri verabredet – dem hatte ich ein paar Mal auf den Anrufbeantworter sprechen müssen, bevor ich ihn endlich erwischt hatte.  Ich will wissen, was er zu der ganzen Aktion sagt.
Er sitzt schon bei einem türkischen Tee im Café. ‚Hey‘, sage ich zur Begrüßung, schiebe mich auf eines der bunten Polster neben ihm. Er nickt.
‚Wie sieht’s aus, Flocke – alles lotrecht?‘, will ich mit einem Grinsen wissen. Muss das Bedürfnis, ihm kumpelhaft auf die Schulter zu schlagen, unterdrücken. Juris Schweigsamkeit und Harter-Mann-Masche führen immer dazu, dass ich mich ein wenig wie ein Clown aufführe.
‚Alles gut‘, sagt er, räuspert sich und trinkt von seinem Tee. Sieht zum Fenster raus.
Ich nicke, bestelle bei der jungen Bedienung einen Milchkaffee. Alles gut. So sieht’s mal aus. Ausnahmsweise nervt mich Juris Kargheit nicht. Dafür ruhe ich zu sehr in mir selbst. Können wir zwei den Rest des Tages machen – sitzen, rausgucken, nichts sagen.
‚Wie ist es gelaufen?‘, will er unvermittelt wissen. Redet vom Job. Und er meint nicht, ob dabei Kamelhaarjacken zu Schaden gekommen sind.
War ein Kinderspiel, will ich sagen. Cool bleiben. Stattdessen platze ich raus: ‚Fuck, das war der Hammer. Ohne Scheiß.‘
Juri ist nicht beeindruckt, sieht weiter aus dem Fenster. ‚Du weißt, was Gabi davon hält?‘
Gerade ist mir Gabi sowas von egal. ‚Der kann mich mal‘, entgegne ich mit einem fetten Grinsen. Juri nickt bloß.
‚Hör zu, Juri, ich geb das nicht wieder her. Seit der Geschichte mit Mischa damals suche ich nach einem Weg, klar zu kommen. Mich selbst wieder auf die Spur zu setzen. Und jetzt bin ich so kurz davor.‘ Ich zeige ihm mit zwei Fingern, wie dicht genau ich davor bin. Zwecklos – Juri lächelt nicht.
Schaut kurz rüber, leert seinen Tee. Gibt der Bedienung ein Zeichen, sieht weiter aus dem Fenster. Immerhin kann ich sehen, dass er nachdenkt.
‚Wo ist das Problem?‘, will ich wissen.
Er schüttelt den Kopf. Weiß er nicht, will er mir nicht sagen, müsste mich töten, wenn ich es erfahre.
Mein Handy brummt. SMS.
‚Gabi will mich sehen. Selbes Thema, nehme ich an.‘ Ich seufze. ‚Sag mir Bescheid, wenn du mit mir reden willst, okay?‘
Er ignoriert die Ironie, nickt. Ich lege ihm zum Abschied kurz die Hand auf die Schulter, gehe.

‚Das ist nicht dein Ernst!‘ Fassungslos stehe ich vor Gabi.
‚Absolut. Ich sehe da keinen Verhandlungsspielraum.‘
‚Bist du bekloppt? Warum?‘
‚Weil ich nicht will, dass die Jungs auf merkwürdige Ideen kommen. Hör zu – wir leiten das Ding. Sie bekommen auf die Schnauze. So einfach ist das, und ich möchte, dass es genauso bleibt.‘
‚Und deswegen soll ich keine weiteren Jobs machen?‘
Er nickt. Als wäre die Sache damit beendet.
‚Das ist Kinderkacke!‘ Ich bin kurz davor, loszubrüllen.
Er kommt um den Schreibtisch rum, stellt sich direkt vor mich hin und zischt: ‚Deine kleinen Spielchen sind Kinderkacke. Mir ist völlig egal, dass du einen Steifen bekommst, wenn dich so eine Assel zerlegt. Aber wenn du dabei bleiben willst, dann spiel nach meinen Regeln, ist das klar?‘
Ich zwinge mich, durchzuatmen, mache einen Schritt zurück. Habe eine Idee. ‚Das heißt, wenn ich als Teilhaber aussteigen würde, bestünde das Problem nicht mehr?‘
Seine Augenbrauen wandern nach oben. ‚Du würdest aussteigen? Bei der Kohle, die wir machen? Du musst fast nichts dafür tun …‘
Ich zucke mit den Schultern. Das Geld ist nett, aber nicht wichtig. ‚Ja, würde ich.‘
Gabi geht gedankenverloren zurück hinter den Schreibtisch. Schürzt die Lippen, beugt sich vor, um etwas auf der Tastatur des Rechners einzutippen. ‚Spielt keine Rolle. Wenn du als Teilhaber aussteigst, bekommst du keinen Job als einer von unseren fall guys.‘
Mir fällt fast die Kinnlade runter. ‚Was? Warum nicht?‘
Er richtet sich wieder auf, sieht mich geradeheraus an. ‚Weil ich keinen Bock auf Spielchen habe, Jakob. Weil ich mich nicht unter Druck setzen lasse. Und vor allem, weil ich keine Lust habe, dass unsere Strukturen durcheinander geraten. Ganz einfach.‘
‚Strukturen durcheinander geraten? Auf was für einem Flitz bist du denn? Hast du sie noch alle?‘ Wütend mache ich einen Schritt auf ihn zu, seine erhobene Hand stoppt mich.
Energisch sagt er: ‚Lass es nicht drauf ankommen, Jakob. Wenn du wegen eines Spleens alles wegwerfen willst – nur zu. Bleibt mehr für uns übrig. Aber erwarte nicht, dass ich bei deinen Kindereien den Handlanger spiele. Und jetzt entschuldige mich bitte – ich erwarte einen Kunden.‘
Ich will noch etwas sagen, mich wehren, aber in mir fällt alles zusammen wie ein emotionales Kartenhaus. Wortlos verlasse ich das Wohnzimmer, schließe die Tür hinter mir.
Während ich die Treppe hinunter gehe, denke ich über Alternativen nach. Ich könnte mir einfach so die Fresse polieren lassen – auf Kreuzbergs Straßen finde ich bestimmt genügend Atzen, die mir helfen, meine Angst zu besiegen.
Aber ich weiß, dass ich es nicht schaffe. Millwald ist ein Job gewesen, ein Auftrag. Da stand was auf dem Spiel, und das hatte mich angetrieben. Dafür gesorgt, dass ich keinen Rückzieher machte. Wenn ich jetzt einfach loszog, würde ich abspringen. Dafür hatte ich nicht den Mumm.
Vor Wut schießen mir die Tränen in die Augen, während ich das Schloss meines Fahrrads öffne und aufsteige.
Fuck!
Und fuck Gabi!

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