Pussy Deluxe

Erzählung zum Thema Verrat

von  Mutter

Seit Tagen habe ich Magenschmerzen, schlafe nicht mehr richtig. Ich habe keinen Bock auf den Waliser, mag nicht, in welche Richtung das Ganze driftet und überhaupt hatte ich mir seit zwei Tagen die Frage gestellt, ob ich nicht einfach aussteigen sollte. Mich von Gabi lösen. Noch einmal den Versuch wagen, mich Julia komplett zu öffnen. Sie war es wert. Wenn sie irgendwann genug von mir hatte, von meinen neurotischen Psycho-Knoten, würde ich mein ganzes Leben lang bereuen, sie verloren zu haben.
Und trotz dieses Wissen, obwohl mir klar ist, was sie mir bedeutet, mir bedeuten könnte, schaffe ich es nicht. Nicht, solange alles andere gleich bleibt. Solange ich Zeit mit Gabi verbringe, privat oder geschäftlich, solange es den Fight Club gibt.
Ich hatte seit gestern versucht, ihn zu erreichen. Er ging nicht ran, weder ans Festnetz noch an sein Handy. Deswegen hatte ich mich heute Morgen entschlossen, ins Büro zu fahren, unangemeldet. Falls er tatsächlich nicht mit mir sprechen wollte, würde ich ihn so festnageln können.
Auf mein Klingeln öffnet niemand.
Genervt bin ich bereits wieder auf der Treppe, auf dem Weg zum nächsten Absatz, als ich innehalte. Kurz nachdenke, erneut hoch zur Tür gehe. Das Treppenhaus ist ruhig, hier begegnet einem ohnehin kaum jemand. Ich vermute, dass die meisten Wohnungen leer stehen. Wohnkomfort stand nicht sehr oben auf seiner Liste, als Gabi hier nach einem Büro gesucht hatte.
Nachdem ich mein Werkzeug herausgeholt habe, dauert es nicht lange und die Tür klackt, schwingt langsam nach innen. Lädt mich ein.  Ich zögere – will ich das wirklich?
Muss mir eingestehen, dass ich Schiss habe – Angst vor Gabi, und seiner Reaktion. Der Gedanke an ihn lässt mich innerlich verhärten, mit angespannten Kiefermuskeln trete ich ein. Nach ein paar Minuten habe ich mich an das Büro gewöhnt, und langsam verfliegt meine Furcht.
Neugierig schaue ich mich um, schalte den Rechner ein. Passwort-geschützt. Fahre ihn wieder herunter.
Auf dem Schreibtisch liegen nicht viele Unterlagen, aber daneben steht ein Bisley und eine alte Kommode mit Rolläden. Beides abgeschlossen. Kein Problem für mich – kurz darauf ziehe ich mich mit stapelweise Papier zum Schreibtisch zurück.
Das Meiste ist uninteressant – Auftragsbestätigungen für ‚Begegnungen‘, Buchungseingänge und Abrechnungen. Interessiert gehe ich mit dem Finger die Zahlenkolonnen entlang, rechne auf einem Blatt Papier mit. Es sieht tatsächlich so aus, als ob Gabi die Abrechnungen korrekt macht – das gesamte Geld, das nach Abzügen wie dem Lohn für die Jungs und der Miete übrigbleibt, unter uns Teilhabern ausschüttet.
Ich stolpere über die Summe der Ausgaben. Die Miete umfasst fast sechszehnhundert. Für dieses Loch? Auf keinen Fall. Grabe mich tiefer in die Posten, finde eine Aufschlüsselung der Miete. Vier Posten. Vier unterschiedliche Geschäftsräume, für die Miete anfällt.
In einem Anfall von Schwindel durchsuche ich den Bisley. Werde fündig. Neben dieser Adresse hier stoße ich auf drei weitere. Gehe zurück zu den Ausgaben, auch die Kosten für die Jungs und die Mädels sind viel zu hoch. Ich überschlage, wie viele von ihnen wir beschäftigen – komme nicht hin. Gabi hat die Abrechnungen doch getürkt – berechnet viel zu hohe Kosten, wirtschaftet damit in die eigene Tasche.
Ich lehne mich in dem Sessel hinter dem Schreibtisch zurück, atme durch. Starre an die Decke. Eine eiskalte Hand drückt mir die Eingeweide zusammen, macht, dass ich dringend aufs Klo muss. Ich habe Angst. Furcht davor, Gabi mit meinem Fund zu konfrontieren, will seinen Zorn nicht ertragen. Über den Vertrauensbruch. Dass er uns zuerst angeschissen hat, zählt dabei nicht.
Das ist, als liest du im Tagebuch der Freundin über eine Affäre von ihr. Damit konfrontiert, wird sie dir den Kopf abreißen, dass du ihr Tagebuch gelesen hast. Was wiegt schlimmer? Henne oder Ei?
Außerdem habe ich Schiss vor dem Gespräch mit den anderen. Juri – wird der überhaupt was sagen? Oder einfach mit den Schultern zucken?
Stecher und Benz haben möglicherweise sogar das Gefühl, es sei Gabis gutes Recht, zusätzliche Kohle abzuzweigen. Als Vater der ganzen Geschichte. Ich will das nicht – will nicht aufwiegeln, habe keine Lust darauf, den Meuterer zu spielen. Und nicht nur, weil der Kapitän den Rädelsführer nach gescheitertem Aufruhr an der Rah aufhängen lässt. Will die Konfrontation nicht.
Aber bei diesem beschissenen Spiel weiter mitmachen will ich auch nicht. Mich nicht weiter verarschen lassen wie ein Depp.
Plötzlich kommt mir eine Idee. Ich schreibe die anderen drei Adressen raus, schnappe mir den Zettel. Drüben in dem niedrigen Regal mit den paar Büchern, die Gabi hier stehen hat, liegt ein Stadtplan. Ich checke die Adressen nacheinander ab. Zwei sind hier in der Nähe, ebenfalls im Friedrichshain. Die Letzte liegt in Mitte, auch nicht weit weg.
Kurze Zeit später lasse ich das Büro so zurück, wie ich es vorgefunden habe, schwinge mich aufs Rad.
Die erste Adresse hat kein Namensschild unten. Ich lasse mich selbst in den Hausflur, gehe hoch. Auf einem der Briefkästen klebt ein Aufkleber mit der Aufschrift FC Deluxe. Ich gehe die Treppe hoch, finde im zweiten Stock einen weiteren kleinen Sticker an einer Tür, die ansonsten ohne Namenszug ist. Drücke auf den Klingelknopf – nichts passiert. Kaputt.
Klopfe an die Tür, das Dröhnen kommt mir unangenehm laut vor. Niemand öffnet. Nachdem ich weitere Augenblicke habe verstreichen lassen, zücke ich die Dietriche, öffne kurzentschlossen die Tür.
Drinnen stehe ich in einem dreckigen Flur, der zu einem noch dreckigeren Badezimmer führt. Und auf der Rechten in eine Küche, die bis auf eine Spüle und einen kleinen Tisch leer ist. Linkerhand geht es in das einzige Zimmer der Wohnung. Ein Schreibtisch, zwei niedrige Regale mit Ordnern, ein Computer.
Bingo!
Eine kurze Recherche in den Unterlagen zeigt mir, dass ich richtig lag. Ich stehe tatsächlich im zweiten Büro der Fight Club Deluxe-Agentur. In einem Ordner finde ich die Personal-Unterlagen für eine weitere Gruppe Jungs. Lebensläufe und Portraitfotos starren mir ins Gesicht. Ich weiß, dass die genau das Gleiche für uns machen wie Robert, Diego, Hernan und die anderen. Und ich habe die noch nie gesehen.
Mit zitternden Fingern ziehe ich den Ordner mit dem Label Pussy Deluxe aus dem Regal. Junge Mädchen, alle gutaussehend, analog zu Hanni und Nanni. Sechs von ihnen – nicht so viele, wie in unserer ursprünglichen Filiale, aber multipliziert mit vier sind es genug.
Mir wird schwindelig, ich muss mich auf den Holzboden setzen, von dem die weiße Lackfarbe bereits absplittert. Haben die anderen davon gewusst? Stecher? Benz?
Was ist mit Juri – bin ich der einzige, der Gabi voll auf den Leim gegangen ist? Oder hat es der Kerl tatsächlich geschafft, dieses Riesennetz zu spinnen, ohne dass einer von uns etwas davon mitbekommt?
Ich gehe in die Küche, lasse mir Wasser in ein schmutziges Glas laufen, das ich in der Spüle finde. Trinke gierig. Brauche noch mehr. Endlich wische ich mir mit dem Ärmel den Mund ab, rülpse – muss mich am Becken festgalten, weil sich der Raum wieder um mich dreht.
Was für eine abgefahrene Scheiße!

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Georg (54)
(05.02.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 05.02.10:
Danke ... :)
Schreiben ist geplant - wobei hier bei mir schon mehr liegt als auf KV. ;)

Deine Anmerkungen sind wieder gut gewesen, habe einiges korrigiert. Danke dafür.

Zu Pussy Deluxe: Da die Teile nicht unbedingt chronologisch erscheinen, geht es manchmal etwas durcheinander.
 Hier wird erklärt, wofür Gabi die Mädels braucht ...
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram