Staffellauf

Erzählung zum Thema Orientierung

von  Mutter

Der Erste, mit dem ich rede, ist Mick. Noch bin ich nicht soweit, dass ich einen der Gang, am allerweinigsten Gabi, damit konfrontieren könnte. Ich rufe Mick an, erwische ihn am Set. Er verspricht, sich nach Drehschluss mit mir in Kreuzberg zu treffen.
Den Rest des Nachmittags verbringe ich mit Nägelkauen und Kaffeetrinken. Zwischendrin bilde ich mir ein, dass mein Herz für mehrere Sekunden aussetzt, dann wieder unregelmäßig anfängt zu pochen. Kurz vor sechs ruft mich Gabi auf dem Handy an. Ich gehe nicht ran, beobachte mit trockenem Mund das Display des Handys, das in regelmäßigen Abständen aufblinkt. Blut dröhnt mir in den Ohren.
Endlich meldet sich Mick – er ist auf dem Weg. Erleichtert fahre ich los, bin eine ganze Weile vor ihm in der Kneipe.
‚Was ist los, Alter – alles klar?‘, begrüßt er mich, mustert mich besorgt, während er sich setzt. Ich nicke. Nix ist klar.
Umständlich versuche ich zu beschreiben, worum es geht, ohne irgendwas zu verraten. Eine ganze Weile hört mir Mick geduldig zu, bis er mich endlich mit gerunzelter Stirn unterbricht.
‚Wovon zum Teufel redest du? Ihr habt irgendein Ding mit Gabi am Laufen – so viel habe ich gerafft. Aber der Rest? Das ergibt alles keinen Sinn. Rede Klartext, Jakob!‘
Durchatmen, bis zehn zählen. Ich seufze. Das funktioniert nicht. Ich kann Mick nicht von meinem Problem erzählen, ohne die Karten auf den Tisch zu legen. Überlege ganz kurz. Was kann schon passieren? Ich bin doch eh kurz davor, alles auffliegen zu lassen. Also scheißegal!
In knappen Worten erzähle ich  ihm die ganze Geschichte. Er ist sprachlos.
‚Das ist nicht dein Ernst! Sag mir, dass du dir den ganzen Mist gerade ausgedacht hast!‘
Ich muss nicht antworten – er kann die Antwort an meinem Gesicht ablesen.
‚Fuck! Fick-Fuck!‘, entfährt es ihm. Ich  nicke nur.
‚Und jetzt?‘, will er wissen. Schlauberger – deswegen sitze ich doch hier mit dir. Weil ich keinen blassen Schimmer habe!
‚Keine Ahnung. Ich habe den Verdacht, Stecher und Benz interessiert nicht wirklich, was ich herausgefunden habe.‘
‚Juri noch viel weniger. Wieso hat Gabi den eigentlich mit an Bord?‘
Kann ich nicht sagen – die gleiche Frage hatte ich mir auch schon gestellt. Insgeheim bin ich froh, dass Mick sich nicht aufregt. Nicht das Gefühl hat, er hätte Teil des Ganzen sein müssen, auch wenn er Gabi nicht abkann. Immerhin geht es um eine Menge Kohle – die Mick immer gebrauchen kann.
Laut denke ich nach. ‚Reden muss ich trotzdem mit ihnen. Kann Gabi nicht einfach weitermachen lassen.‘
‚Okay‘, sagt Mick nur. Ist mir keine große Hilfe. ‚Willst du nicht erst mit Gabi reden?‘
Unmotiviert nicke ich. Schon. Ich habe keine Lust mehr auf das Gespräch. Mick hilft mir in meiner Hilflosigkeit nicht weiter. Zieht mir den Karren nicht aus dem Dreck.
Wir reden noch über dies und das – belanglosen Kram, der mich im Moment nicht weiter interessiert. Er hat einen Beleuchter kennengelernt, Uli, der ihn demnächst mal am Set empfehlen will. Schön.
Meine Gedanken rasen, drehen sich um Gabi. Ich stelle mir die bevorstehende Konfrontation vor. Irgendwann gelingt es mir, mich von Mick zu verabschieden, ohne allzu undankbar zu erscheinen.

Am nächsten Morgen treffe ich Juri. Habe mich entschlossen, mit ihm zu reden, bevor  ich zu Gabi gehe. Juri schweigt ohnehin wie ein Grab, der zählt also nicht, denke ich mit grimmigem Humor. Am Handy meinte er, ich solle ihn vom Sport abholen. Also stehe ich am Kotti, mitten zwischen den ganzen Atzen, und warte darauf, dass er aus seinem Kickbox-Studio kommt. Nichts als Russen und Türken, meinte er mal. Sonst trainiert da keiner. Unruhig schlage ich den Kragen meiner Jacke hoch, um mich etwas härter und gemeiner zu fühlen. Nützt nichts. Ich vermeide Blickkontakt, ohne dabei zu kriecherisch auszusehen. Keine Ahnung, ob mir der Spagat gelingt. Jedenfalls steht Juri vor mir, ohne dass ich Ärger bekommen habe.
‚Was für eine Scheiß-Gegend‘, sage ich, als wir Richtung Landwehrkanal laufen. Er erwidert nichts.
‚Gewöhnt man sich dran, eh?‘
Immer noch nichts.
‚Warst du da schon mal?‘, frage ich, und zeige auf einen Dönermann, den ich noch nicht kenne.
‚Was ist los?‘, will er wissen. Schaut immer noch geradeaus, trägt seine Sporttasche wie ein Boxer mit zu dicken Klöten.
‚Es geht um den Fight Club.‘
‚Hab ich mir schon gedacht‘, kommt es trocken zurück. ‚Was ist damit?‘
‚Ich …‘, beginne ich, verstumme. Anders. ‚Hat irgendwer von euch schon mal mit der Leitung der  Agentur zu tun gehabt? Ich meine, Gabi richtig über die Schulter geschaut? Wisst ihr, was da eigentlich läuft?‘
Er zuckt mit den Schultern. ‚Das Ganze läuft. Gibt’s ein Problem?‘
Wie man’s nimmt, denke ich. ‚Unregelmäßigkeiten gibt es.‘
Juri wirft mir einen schnellen Seitenblick zu. Immerhin habe ich seine volle Aufmerksamkeit. ‚Was meinst du?‘
Ich entscheide, dass ich entweder mit der Sprache rausrücken oder meine Klappen halten muss. ‚Gabi hat noch weitere Filiale des Fight Clubs eröffnet. Büroräume angemietet, mehr Jungs angeheuert, bezahlt weitere Mädels. Von denen wir nichts wissen.‘
‚Arbeitet er in die eigene Tasche?‘
Ich hatte gewusst, dass es am Ende auf diese Frage hinauslaufen würde – mir war nur nicht bewusst gewesen, dass es Juri auch darauf reduzieren würde.
Zähneknirschend antworte ich: ‚Nein. Es sieht so aus, als hätte er alle eingenommenen Gelder ausgezahlt.‘
Juri sagt nichts, sieht geradeaus. Wir haben unsere Schritte beschleunigt – ich nehme an, er hat das Tempo erhöht.
Ich sehe zu ihm rüber, kann erkennen, dass es in ihm arbeitet. Die Wangenmuskeln bewegen sich.
‚Was heißt das?‘, frage ich endlich. ‚Für uns, für die Agentur?‘
Wir haben den Kanal überquert, sind ins Maybachufer eingebogen. Fast bei Juri zu Hause.
‚Wem hast du davon erzählt?‘, fragt er mit harter Stimme, nachdem er abrupt stehengeblieben ist.
Für einen kurzen Moment bin ich perplex, fühle mich überrumpelt. ‚Niemandem.‘ Zögernd: ‚Mick. Ich habe Mick davon erzählt, weil ich mit jemandem reden wollte. Aber keine Details.‘
Er nickt, geht weiter. Kurz darauf stehen wir vor seinem Haus, er stößt die grüne Metalltür auf, die seit Jahren nicht mehr schließt. Durch die dunkle Toreinfahrt in den Hof, zum Seitenflügel rüber. Plötzlich bleibt Juri stehen, seine Hand auf meiner Brust hält mich zurück. ‚Rede mit Gabi, okay? Lass ihn wissen, dass du weißt, frag ihn, wozu das alles. In Ordnung?‘
Ich mustere ihn einen Moment. Er hat keinen Bock, sich damit zu beschäftigen. Will nicht, dass ich ihm weiter auf die Nerven gehe. Damit hätte ich rechnen müssen. Fühle mich wie bei einem beschissenen Staffellauf, wo mir kein Aas den bekloppten Stab abnimmt. Wo ich Runde um Runde alleine drehen muss. Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, jetzt noch mit Stecher und Benz zu reden.
‚In Ordnung. Ich ruf dich an?‘ Er nickt.
Mit einem wortlosen Gruß verabschiede ich mich, er hebt die Hand im Weggehen. Das Dunkel des Durchgangs verschluckt mich, kurz darauf bin ich zurück auf den Straßen von Neukölln.
Nächster Stopp: Gabi.

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