Die Delphine des Poseidon

Text

von  ManMan

Seit seiner Rückkehr mochte Odysseus das gemeinsame Frühstück nicht missen. Sklavinnen und andere Bedienstete bereiteten es vor, stellten Schüsseln mit Quark, Oliven und Käse auf den runden Holztisch in der hinteren Ecke neben dem Seiteneingang, an 't dem die wiedervereinte dreiköpfige Familie zu speisen pflegte. Manchmal war der alte Laêrtes auch dabei, aber meistens zog er es vor, auf seinem Gut zu bleiben. Er war eigenbrötlerisch geworden, fand Odysseus, es lag wohl am Alter.
Er saß heute mit entschlossenem Gesichtsausdruck am Tisch. In den Frühstunden hatte sich wieder die Stimme gemeldet und ihm die bekannten Vorwürfe gemacht. So konnte es nicht weiter gehen...
,,Du hast schlecht geschlafen, Odysseus, nicht wahr?" unterbrach Penelope seine Gedanken. Anstatt zu antworten, deutete der Mann mit einer Kopfbewegung auf die junge Sklavin, die etwas abseits am Webstuhl saß:
„Schick sie hinaus!"
Aber Ophista, die Tochter einer der Frauen, die jenes unwürdige Ende gefunden hatten, stand von allein auf und verließ den Saal, ohne dass ihre Herrin sie dazu auffordern musste. Telemachos und Penelope warteten gespannt, was Odysseus ihnen mitteilen wollte. Der ließ sich Zeit, nahm immer wieder einen kleinen Bissen Dinkelbrot, trank einen Schluck Tee, sagte aber nichts. Schließlich meinte seine Frau:
„Warum sollte sie hinausgehen?"
Odysseus musterte sie und ihren gemeinsamen Sohn mit einem nachdenklichen Blick und meinte, ohne auf ihre Frage einzugehen:
„War es Unrecht, was wir den Frauen angetan haben, oder hat sie ein Schicksal ereilt, das sie verdient haben?"
Penelope seufzte.
„Warum quälst du dich damit? Du kennst meine Antwort!"
Fast hätte sie gefragt: Woher auf einmal diese Schwäche? Doch im letzten Moment behielt sie bei sich, was ihr auf der Zunge lag.
Umso mehr war ihr Sohn bemüht, Klarheit zu schaffen.
„Sie haben den Tod verdient!" verkündete er mit fester Stimme, „ich scheue mich nicht, die Verantwortung dafür zu übernehmen!" Er legte die Hand auf den Arm seines Vaters. ,,Du warst ja nicht da, du hast nicht mit ansehen müssen, wie sie es getrieben haben..."
Penelope nickte ermutigend, und Telemachos fuhr fort:
,,Immer wieder sind sie abends zu den Männern geschlichen..."
„Geschlichen?" unterbrach ihn Penelope und atmete verächtlich aus. „Sie haben es ganz offen mit ihnen getrieben, viele saßen bei den ewigen Gelagen auf dem Schoß. der Männer!"
„Ja“, bestätigte der Sohn, „sie haben sich nicht geschämt ihre Untreue zu zeigen. Untreue gegenüber ihrer Herrin und..." er wandte sich Odysseus zu, „...auch dir gegenüber, dem König von Ithaka!"
„Warum verfolgt mich dann diese grässliche Stimme?"
Er stand auf und machte erregt einige Schritte im Saal, blieb schließlich vor Penelope stehen.
„Was wollen die Götter von mir?"
Seine Stimme stockte. Allzu deutlich spürte er seine eigene Hilflosigkeit. Es war still im Saal. Da fasste Penelope zärtlich seine Hand und schaute zu ihm hoch:
„Geh noch einmal zu dieser alten Frau, von der du erzählt hast. Vielleicht weiß sie Rat."
Ihr Mann ließ nicht erkennen, was er von dem Vorschlag hielt. Heftig machte er sich frei und verließ den Saal mit Riesenschritten. Draußen holte er tief Luft und atmete aus, immer wieder, bis er ruhiger geworden war. Er blickte auf das Meer. Wie ruhig es heute da lag!
Er blickte um sich. Es war niemand zu sehen. Da hielt er sich die Ohren zu, als könne er so der Stimme den Zugang versperren und machte sich auf den Weg zum Strand. Erst dort nahm er die Hände von den Ohren, und wie zum Hohn meldete die Stimme sich wieder. Aber diesmal schrie er zurück.
"Sie haben ihren Tod verdient! Sie haben ihren Tod verdient!" verdient, verdient... hallte es nach.

„Kommt nur herein!" tönte von hinten die Stimme der Alten, und Odysseus folgte der Aufforderung zögernd. Niktossa saß in dem dunklen Teil des großen Raumes, und der Mann hatte Mühe, sie zu sehen. Ihre blinden Augen leuchteten in der Dunkelheit. Auf ihrem Schoss saß eine schwarze Katze, die hinab sprang und sich an den Beinen des Mannes rieb, als er ihrer Aufforderung folgte und näher kam.
,,Regnet es draußen?"
,,Nur ein paar Tropfen, Priesterin. Der Sommer ist eben vorbei."
Er ließ sich auf der Bank neben ihr nieder. Überraschend nahm sie seine Hand und streichelte sie kurz.
„Ich habe gewusst, dass Ihr wiederkommt."
„So? Habt Ihr das?" sagte er, ein verlegener Mann, der Zeit gewinnen wollte.
„Ja, ich wusste, dass Ihr kommen werdet“, bekräftigte sie.
„Und woher wusstet Ihr das?"
,,Die Göttin wird Euch nicht so schnell in Ruhe lassen."
,,Die Göttin?" fuhr Odysseus auf.  „Ihr redet wie Penelope, warum soll es eine Göttin sein?"
Er konnte in ihrem faltigen Gesicht die Andeutung eines Lächelns erkennen.
„Vielleicht sind Frauen vertrauter mit den Dingen des Lebens."
Sie schwieg. Odysseus wartete eine Weile und meinte dann auf einmal erregt:
„Ich will diese Stimme loswerden!"
Wieder hielt er die Ohren zu, so nachdrücklich es ging. Aber die Priesterin wirkte unbeeindruckt.
,,Ihr wollt!" wiederholte sie nur. „Ihr wollt! Natürlich wollt Ihr! Wir Menschen wollen alles. Wir tun, als wäre das furchtbar wichtig. Aber oftmals wollen die Götter nicht so wie wir."
Wenn sie ihn so eindringlich anschaute, fragte er sich, ob sie wirklich blind war. Langsam nahm er die Hände von den Ohren.
„Ihr erinnert mich an meine alte Amme“, sagte er, „die erzählte so etwas auch, als ich ein Kind war. Wie Ihr seht, bin ich kein Kind mehr!"
Niktossa lachte.
„Nun, sehen kann ich Euch zwar nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass Ihr ein Mann seid, kräftig, tapfer, verwegen, einer, der sich nicht gerne von einer alten Frau wie mir Vorschriften machen lässt..."
Erneut berührte ihre Hand seinen Arm, und er ließ es geschehen, hielt still, auch dann, als sie hoch wanderte über den Arm. Er spürte die Wärme der Hand. Die alte Frau ließ sie kurz auf seinem Kopf liegen und zog sie dann wieder zurück.
"Verzeiht mir“, sagte sie mit leiser Stimme, hob den Kopf in seine Richtung und fügte hinzu: ,,Ich wollte wissen, wie Ihr Euch anfühlt. Eine alte Frau darf das!"
Sie kicherte ein wenig. Der König von Ithaka murmelte etwas Unverständliches zur Antwort, aber die Priesterin seufzte nur. Dann wurde sie auf einmal ernst.
„Ihr habt Aphrodite verletzt, das steht fest. Und sie will Genugtuung."
Odysseus schaute in ihre blinden Augen und zuckte die Schultern.
"Wie kann ich Genugtuung geben? Soll ich die Frauen wieder lebendig machen?"
„Nein, das nicht, das vermag kein Sterblicher." I.
„Was dann?"
„Die Unsterblichen wollen Respekt von den Menschen.“
„Aber ich respektiere doch die Götter, ich opfere ihnen. Was soll ich noch tun?"
„Fahrt nach Kypros zum Heiligtum der Aphrodite. Zeigt der Göttin dort, dass Ihr den Wunsch habt, sie milde zu stimmen."
,,Ihr meint wirklich, ich sollte..."
Er zögerte.
„Ja!" bekräftigte die Priesterin Niktossa, „genau das meine ich!"
Sie bückte sich, nahm die Katze auf den Schoß und begann sie zu streicheln.
Wortlos stand Odysseus auf. Er hielt ihr die mitgebrachten Münzen hin. Sie nahm diese rasch und ließ sie in ihrem Gewand verschwinden. Dann wandte sie sich wieder der Katze zu. Odysseus deutete eine Verbeugung an und ging.

Die tief liegende Sonne schien in den Saal und stach Telemachos in die Augen. Er rückte den Stuhl beiseite, so dass sein Gesicht in den Schatten des Balkens über der Türschwelle kam. Er reckte sich behaglich und streckte die Beine unter den geräumigen Tisch.
,,Hat es dir geschmeckt?"
Er nickte. Es war noch immer nicht selbstverständlich, dass er am frühen Nachmittag im Saal des Hauses saß und speiste, ohne Freier, die betrunken herumgrölten und nach den Weibern grapschten, während die Mutter sich in schlechtester Stimmung in das Schlafgemach zurückgezogen hatte,...
„Könnte es uns so gut gehen, wenn die Götter zornig auf uns wären?" sinnierte er laut.
„Es freut mich, wenn es dir gut geht, mein Sohn“, sagte seine Mutter, während sein Vater schwieg.
Ein Mädchen kam zum Abräumen des Tisches, eine neue Sklavin, die Telemachos nicht kannte. Als sie sich vorbeugte, um seinen Teller zu nehmen, fasste er sie am Arm.
„Wie heißt du, Mädchen?"
Die Angesprochene hielt in der Bewegung inne und errötete. „Oudemia.“
Dann nahm sie rasch und deutlich verlegen alles, was sie tragen konnte, vom Tisch und verließ damit den Saal.
„Womöglich ist sie die Schwester von Oudeis“, meinte Telemachos trocken und gähnte. Oudeis. Niemand... war da nicht etwas? Odysseus musste einen Augenblick nachdenken, ehe es ihm einfiel.
„Bei dem einäugigen Monster habe ich mich so genannt“, sagte er, und als er die
verständnislosen Blicke seiner Frau und seines Sohnes sah:
,,Ein Riese, der mich und die Gefährten in seiner Höhle gefangen hielt. Er wollte uns verspeisen.“.
Penelope sah ihn entsetzt an und stieß einen leisen Schrei aus.
,,Musst du all diese furchtbaren Sachen erzählen?"
,,Lass ihn doch, Mutter!" meinte Telemachos verärgert und sie schwieg. Er wandte sich seinem Vater zu.
„Wie habt ihr ihn besiegt?"
Odysseus warf einen unsicheren Blick auf seine Frau.
„Vielleicht erzähle ich dir die Einzelheiten ein anderes Mal."
„Wollen wir uns das von einer Frau vorschreiben lassen? Nein!! Hier und jetzt möchte ich es hören!"
Das Mädchen kam wieder und räumte den Rest ab. Als sie den Saal verlassen hatte, meinte Odysseus so beiläufig wie möglich:
„Ich habe dem Monster einen glühenden Pfahl ins Auge gerammt. Weil es nichts mehr sehen konnte, gelang es mir und den Gefährten, die Höhle zu verlassen. Vorher hatte ich ihm gesagt, ich hieße Oudeis [altgriechisch: niemand]. Als ich ihm den Pfahl ins Auge rammte, brüllte er so laut, dass man es auf den anderen Inseln hören konnte, wo andere Monster wohnten. Die erkundigten sich, wer ihm etwas angetan habe. Und er sagte: Oudeis! Da meinten die anderen, wenn ihm niemand zu nahe getreten sei, brauche er ja auch keine Hilfe..."
Odysseus kicherte bei dem Gedanken an seine List. Wie lange das alles schon her war! Penelope aber war entsetzt.
„Du hast ihm einen Pfahl… " Sie brach ab, so unaussprechlich schien es ihr.
„Das Monster hätte mich getötet wie zuvor die anderen Männer!"
„Wie grauenhaft!" rief Penelope aus, schien sich aber wieder gefasst zu haben. „Was war das nur für ein Monster? Hatte es Eltern wie wir? Oder wer hat es gezeugt?"
,,Ich habe erfahren, dass dieses Monster ein Sohn von Poseidon war."
Penelope fuhr auf.
„Von Poseidon? Oh nein! Auch das noch! Aber du sagst nicht, er ist es, sondern redest in der Vergangenheit. Weißt du denn, dass er tot ist?"
Odysseus meinte sachlich:
„Wenn er nicht tot ist, dann gehört er zu den Unsterblichen!"
Plötzlich hielt er sich die Ohren zu. Die beiden anderen Anwesenden sahen ihn erstaunt an.
„Die Stimme!" keuchte er, „schon wieder diese Stimme, immer diese Stimme.
Ich hätte die Frauen umgebracht, sagt sie, ich wäre es gewesen!"
Er atmete tief aus.
„Aber Vater“, sagte Telemachos, „ich war es doch, ich trage die Verantwortung, ich ganz allein!"
„Wolltest du nicht noch einmal zu dieser Priesterin gehen?" fragte Penelope. Telemachos sandte ihr einen finsteren Blick zu, denn er war der Meinung, dass seine Mutter ihm das Wort im unpassenden Augenblick genommen hatte.
„Ich war bereits bei ihr“, sagte Odysseus müde, „aber ich weiß nicht, ob ich ihrem Rat folgen soll.“
Penelope beugte sich vor.
„Was für ein Rat ist das?"
„Ich soll nach Kypros fahren zum Heiligtum der Aphrodite und die Göttin durch Opfer milde stimmen?"
„Aphrodite?" Die Stimme von Telemachos klang erstaunt.
„Ja“, erklärte sein Vater, „die Priesterin glaubt, dass Aphrodite eine der Erinnyen zu mir geschickt hat und dass deren Stimme nicht ablassen wird, bevor ich in Kypros war."
„Wenn man hört, was du vorhin über das Monster erzählt hast, könnte man glauben, nicht Aphrodite sei der Gekränkte, sondern Poseidon“, meinte Telemachos.
„Am Ende hast du es dir mit Aphrodite und Poseidon verdorben!" sagte Penelope.
Odysseus schwieg. Mit einem Mal war es völlig still im Raum. Es drang kein Laut aus der Küche, und selbst die Vögel schienen den Atem anzuhalten. Dann sagte der Mann, der die Freier besiegt hatte:
„Ich werde nach Kypros fahren, sobald es geht."
Penelope schlug die Hände vors Gesicht. Telemachos aber sagte:
„Vater, ich besorge ein Schiff, und dann werde ich mit dir fahren!"
„Nein!" schrie da Penelope, „nein! Nicht auch noch du! Nein!"
Ihr Sohn legte die Hand um ihre Schulter.
„Mutter“, sagte er mit fester Stimme, „wir werden tun, was nötig ist!"

Der Wind wehte günstig, trieb das Segelschiff in südliche Richtung. Odysseus und Telemachos standen an Deck und blickten zur Insel zurück. Die Menschen dort wurden immer kleiner, auch Penelope, die es sich nicht hatte nehmen lassen, in Begleitung von zwei Frauen mitzukommen, um von ihrem Mann und von ihrem Sohn Abschied zu nehmen. Ein letztes Mal winkten die beiden Männer ihr zu, dann drehten sie sich um und wandten ihre Aufmerksamkeit dem Steuermann zu, der das Schiff mühelos aus der Bucht heraus auf die hohe See gelenkt hatte. Ein Phönizier, gleichzeitig Steuermann und Eigner des Schiffes. Er glaubte fest an günstiges Wetter, so dass ihm eine Besatzung von sechs Ruderern genügte.
Odysseus hatte eingewilligt, zumal es sich um erfahrene Seeleute handelte, die den Weg nach Kypros schon manches Mal gemacht hatten. Jetzt allerdings warf er immer wieder sorgenvolle Blicke zum Himmel, der sich stetig verfinsterte.
Der Wind wurde stärker. Er trieb das kleine Schiff in Richtung Süden. So sollte es sein! Odysseus nahm mit Beruhigung zur Kenntnis, dass der Steuermann den Unterwasserriffen, die es hier an der Südspitze Ithakas häufig gab, mit Geschick auswich, ohne dass diese Manöver die Geschwindigkeit des Schiffes beeinträchtigten. Telemachos machte ihm ein Zeichen und stieg durch die Luke nach unten.
Was für ein Glück, dass sein Sohn mitfuhr! Anfangs war Penelope dagegen gewesen, aber dann hatte sich bei ihr die Einsicht durchgesetzt, dass Telemachos seinem Vater eine große Hilfe sein würde, ja, dass so eine wohlbehaltene Rückkehr ihrer beiden Männer wahrscheinlicher wurde! Außerdem: sollten sie ihr Leben an den Ängsten einer Frau ausrichten?
Gedankenverloren sah Odysseus den Seevögeln zu, die das Schiff umkreisten, weiße Möwen vor allem. Mehrmals hatte er beobachtet, wie hart sie um Beute stritten. Raubtiere der Luft. Sie waren ihm nie geheuer gewesen. Er musste
daran denken, wie oft er schon von Vögeln geträumt hatte. Aber Träume: Wie schnell vergaß man die!
In der Nacht hatte er auch einen gehabt, diesmal von Delphinen, so großen Tieren, wie er sie niemals gesehen hatte, und diese Delphine griffen das Schiff an, brachten es zum Kentern. Am Schluss trieben alle im Meer. Er war schweißgebadet aufgewacht, und die besorgte Penelope hatte gefragt, ob er wieder die Stimme gehört hätte.
Ja, die Stimme, hatte er nur gemurmelt und dann getan, als ob er wieder eingeschlafen wäre. Was hätte es geholfen, wenn er ihr von dem Traum erzählt hätte... In Wahrheit schwieg die Stimme seit Tagen. Mitunter fragte er sich bereits, ob die Fahrt nach Kypros überhaupt nötig war. Aber wie sollte er sicher sein, dass sie auch weiterhin schweigen würde? Ach, er durfte gar nicht daran denken! Wut und Angst stiegen hoch und schnürten ihm einen Moment den Atem ab, so dass er den Mund weit öffnete und die kühle Seeluft einatmete.

Telemachos kam wieder hoch und stellte sich neben ihn Er wies mit dem Arm zum Horizont, der immer dunkler wurde.
„Sieht nicht gut aus!"
Eine heftige Schlingerbewegung des Schiffes erfolgte wie zur Bestätigung. Telemachos geriet ins Straucheln, wurde aber von zwei kräftigen Armen aufgefangen.
„Danke, Vater!"
Odysseus nickte.
„Ja, es sieht gar nicht gut aus…"
Plötzlich hielt er inne und wies mit der Hand nach unten.
„Was ist das nur?" fragte er entgeistert.
Zwei Delphine meinte er, aber was für welche! Waren das überhaupt Delphine?
,,Hast du so etwas schon gesehen?"
Telemachos schüttelte den Kopf und verfolgte gebannt das Schauspiel, das sich ihnen bot. Die beiden Tiere, mannsgroß jedes von ihnen und mit einem Körperumfang von drei Männern, bewegten sich vom Meer aus auf das Schiff zu, bisweilen verdeckt von einer der Wellen, die, vom Wind angetrieben, immer höher schlugen.
"Was wollen die nur?" überlegte Odysseus laut.
Er wusste, dass Delphine sonst wieder Menschen noch Schiffe angriffen, aber diese hier waren viel größer und es ging von ihnen eine unbestimmte Bedrohung aus.
Plötzlich spürte Odysseus einen Stoß. Es war der phönizische Steuermann. Wie gebannt starrte er nach unten, die Hände in die Hüften gestemmt, die schlingernden Bewegungen des Schiffes mit den Knien auffangend. Odysseus fiel auf, wie bleich sein Gesicht war.
,,Poseidon!" stammelte er und brach ab. Odysseus wurde aufmerksam.
„Was sagt Ihr da? Poseidon?"
,,Ja, ja! Ha haa!" Sein Lachen wirkte unheimlich. ,,Poseidons Delphine! Das müssen sie sein!"
Die Tiere waren fast beim Schiff angelangt, als sie unversehens mit einem gewaltigen Satz nach vorn sprangen. Ihre runden Köpfe tauchten fast gleichzeitig ins Wasser, gefolgt von den massigen Körpern. Dann waren sie verschwunden.
„Sie tauchen!" rief der Steuermann aufgeregt und rannte zurück zu seinem Steuer, das er für kurze Zeit festgestellt hatte. Von der anderen Seite des Schiffes rief Telemachos:
,,Da sind sie wieder..."
Er konnte den Satz nicht vollenden. Der Sturm verschluckte seine Worte.
Und dann kam das Schiff mit einem grässlichen Geräusch zum Stehen, für einen kurzen Moment wurde es still, wie immer, wenn ein Schiff aufgelaufen ist und an einem Riff fest hängt. Dann ein Knarren, das zu einem donnernden Getöse anwuchs, zerspringende
Schiffsplanken, das Geräusch von Segeln, die auf das Wasser klatschten, das Heulen des Sturmes und die immer höheren Wellen. Odysseus wurde fortgerissen, flog durch die Luft, kam sich auf einmal leicht vor wie eine Feder, die hinab fliegt vom Felsen hinein ins Meer. Im Wasser ging er kurz unter, kam aber gleich wieder hoch. Ein Stück Holz schwamm vorbei, groß genug, um sich daran festzuhalten. Vielleicht ja auch groß genug, um mich aufzunehmen, dachte Odysseus und spuckte Wasser aus.
Außer einigen Holzplanken sah er niemanden, keinen Menschen…
Da hörte er die Stimme wieder, diesmal ganz deutlich:
„Odysseus hat die Frauen getötet, hahaha! Er hat alle Frauen getötet!"
Es war eine helle, kreischende Stimme, eine furchtbare Stimme, grässlich!
Am Horizont aber sah er wieder einen der riesigen Delphine, davon schwimmend, wie einer der wusste, dass hier nichts mehr zu holen war.


Anmerkung von ManMan:

Das ist das letzte Kapitel meines Odysseus-Romans. Über Kommentare würde ich mich freuen.

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