Killer-Deal

Erzählung zum Thema Wahnsinn

von  Mutter

Eigentlich ist mein Plan, mich mit Stecher zu treffen. So sehr ich ihn verabscheue – er ist der letzte aus unserem Inneren Zirkel, von dem ich nicht sicher weiß, dass er mich verarscht. Er und Juri – aber jemand, der in einem Gespräch so oft antwortet wie ein drei Tage altes Fischbrötchen zählt in diesem Fall wohl nicht.
Gabi kommt mir zuvor. Bestellt uns mit einer Sammel-SMS morgens ins Büro. Ich hatte den Abend alleine verbracht. Immer wieder hin und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, auszugehen, mich abzulenken, und einer Welle aus Hilflosigkeit und Schwäche, die mich unter meine Bettdecke treiben wollte. Am Ende schaffte ich es bis zum Dönermann an der Ecke,  lenkte mich mit zwei Köfte wenigstens kurzzeitig ab und verkroch mich erst danach in mein Bett. Den Gedanken, Nanni anzurufen, verwarf ich wieder. Selbst meine mangelnde Selbstachtung hatte offenbar Grenzen, die ich nicht zu überschreiten wagte.

Ich bin der Letzte. Setze mich auf einen freien Stuhl neben Benz. Er grinst mich an, ich reagiere nicht. Drüben auf dem Sofa hocken Stecher und Juri.
Gabi steht auf, kommt um den Schreibtisch herum. Reibt sich die Hände – unwillkürlich will ich nach meinem Scheckbuch greifen, um den Gebrauchten zu kaufen.
‚Jungs, unserer Agentur geht es großartig. Das dürfte jedem von euch klar sein – ihr habt die Umschläge jede Woche in den Pfoten.‘
Stecher und Benz nicken, lächeln, Juri sagt nichts. Ich schließe mich ihm an. Meine Gesicht fühlt sich an, als sei es aus gebackenem Lehm. Wenn ich einen Gesichtsmuskel rege, bekommt meine Fassade Risse, bröckelt weg.
‚Aber das reicht uns nicht – richtig?‘ Er sieht Benz an, wartet auf eine Reaktion, aber der schaltet nicht schnell genug. Gabi macht weiter. ‚Wir sind jung, wir sind hungrig. Deswegen haben wir die Agentur um Pussy Deluxe erweitert. Und die Ergebnisse übertreffen unsere kühnsten Erwartungen. Die Mädels machen inzwischen deutlich mehr Umsatz als die Jungs.‘ Stecher ruft laut ‚Yessss!‘ und macht eine Fausthieb in die Luft.
‚Als wäre das dein Verdienst, Arschgeige‘, wirft ihm Benz rüber. ‚Ficken oder Kloppen? Da wissen die meisten, was sie nehmen. Dass die einen dabei ihre Pussy und die anderen ihre Fresse hinhalten, haben wir wohl kaum dir zu verdanken.‘
‚Neid, der pure Neid. Juri und ich rocken – und das wisst ihr.‘ Er zeigt mit einem fetten Grinsen und seinem ausgestreckten Zeigefinger erst auf Benz, dann auf mich. Ich antworte ihm mit einem gelangweilten Gähnen, das unfreiwillig in ein Grinsen übergeht. Ich habe die schwerelosen Albernheiten vermisst, selbst von so Idioten wie Stecher und Benz.
‚Okay‘, sagt Gabi und stoppt das Geflaxe. ‚Wie geht’s weiter?‘ Er schürzt die Lippen, sieht sich unter uns um.
‚Wie wir weiter expandieren?‘, will Stecher wissen. Gabi nickt.
‚Ganz einfach – wir besorgen uns mehr Pussy, machen mehr Kohle.‘ Er ist begeistert, lacht schrill. Keiner von uns steigt darauf ein. Wir wissen, dass Gabi kurz davor ist, die nächste Bombe platzen zu lassen. Ob die anderen genauso ein ungutes Gefühl in der Magengegend haben wie ich? Ich fühle mich, als müsste ich dringend aufs Klo.
‚Wir bedienen Ur-Wünsche. Alle Jungs wünschen sich, mit breiter Brust durch die Stadt zu latschen, irgendwelche Deppen, die ihnen komisch kommen, wegzuklatschen. Die Bräute, die ihnen scheue Blicke und ein verstecktes Lächeln zuwerfen, zu packen und zu vernaschen. Wir sorgen dafür, dass unsere Kunden sich wie ein Powerriegel aus James Bond, Vin Diesel und dem Undertaker fühlen können.‘
‚Der Undertaker! Yeah!‘ Stecher.
‚Shhh. Was können wir noch anbieten, um unseren Kunden den ultimativen Kick anzubieten?‘
Stecher und Benz versuchen sich am Brainstorming: Verfolgungsjagden im Auto, Ermittlungsarbeiten, Explosionen mit großen Mengen Sprengstoff.
Gabi schüttelt milde den Kopf. ‚Denkt größer. Fullscreen. Larger than life! Nichts?‘
Die Jungs schütteln die Köpfe. Triumphierend fährt er fort: ‚Ich rede davon, einen Menschen zu töten.‘
Whooosh.
Luft raus aus dem Raum - Vakuum. Ich wäre nicht verwundert, wenn sich die Münder der anderen bewegen würden, aber ich nichts hören würde. Wenn ich den Underdruck auf den Ohren loswerden müsste.
Gabi nickt, grinst. ‚Bämm! Genauso! Stumm wie die Fische, so habe ich mir das gedacht. Denkt nach!‘
Tue ich. Fieberhaft, verzweifelt. Mir wird schwindelig. Ich erinnere mich, dass ich als Kind mal Kettenkarussell gefahren bin. Der Typ fand es lustig, irgendwann die Richtung zu ändern. Nach ein paar Minuten hat er uns angehalten – ich habe danach fast eine Viertelstunde gebraucht, bis ich wieder aufhören konnte zu kotzen.
Gabi ist näher gekommen, beugt sich zu mir und Benz herunter. Verschwörerisch sagt er: ‚Stellt euch vor, ihr seid ein erfolgreicher Geschäftsmann. Ihr habt euch von unserer Agentur einen schnellen Thrill besorgt – eine Schlägerei beim Dönermann in der Adalbertstraße. Eine kleine Pussy gemietet, irgendeine kleine schnuckelige Torte hat euch  in der Disse auf dem Männerklo einen geblasen. Was jetzt? Was kommt als nächstes?‘
Er lauert auf eine Reaktion. Benz zuckt mit den Schultern, sieht ihn mit geschlitzten Augen aufmerksam an. Ich habe bloß Angst vor dem, was kommt.
Gabi richtet sich leicht auf. ‚So ein dämliches Schwein bricht bei euch zu Hause ein. Fummelt an eurem Auto rum. Als ihr auf ihn losgeht, zieht der Penner eine Waffe. Knarre, Messer, scheißegal. Aber ihr wisst: Wenn jetzt nicht was passiert, macht euch das kranke Schwein alle. Pustet euch weg, schlitzt euch auf. Was machst du?‘ Er fragt Benz, der zögert.
Gabi fügt schnell hinzu: ‚Du bist bewaffnet. Hast eine Knarre im Hosenbund.‘
‚Ich leg den Penner um!‘, kommt es zurück.
‚Genau. So sieht’s aus. Bläst die dumme Sau aus den Latschen. Du oder er, so einfach ist das.‘
Schweigen. Er sieht uns alle nacheinander an. Gleich können wir aufstehen und Wärmedecken und Butterdöschen erwerben.
‚Und genau diesen fetten Kick, diesen ultimativen Rush, gedenke ich unseren Kunden anzubieten.‘
Stecher heult auf wie ein Wolf, springt vom Sofa hoch, spielt Luftgitarre. Benz sitzt da und grinst, als hätte er an einer Kröte geleckt. Schätze, den beiden gefällt die Idee.
Juri sitzt da, sagt nichts. Überraschung. Nicht mal ein Muskel zuckt. Vielleicht ist der auf Astralreise, hat seinen Körper längst verlassen.
Ohne hinsehen zu müssen, weiß ich, dass Gabi mich fixiert. War klar. Ich bin die einzige Wildcard, die unbekannte Größe in seinem Quartett – dass die beiden Penner seinen Plan super finden würden, konnte er sich ja denken. Und Juris Reaktion ist so richtig überraschend auch nicht.
‚Was hältst du von der Idee?‘
Ich will was sagen, die Stimme spielt nicht mit. Räuspere mich. ‚Du machst Witze, oder? Was ist denn das für eine beschissene Idee.‘
Milde tropft aus seinen nächsten Worten. ‚Du solltest mich besser kennen. Bei so etwas verstehe ich keinen Spaß. Wir reden von einem knallharten Geschäft hier.‘
‚Wer soll denn so etwas machen? Du heuerst einen Haufen Studenten an und fragst: So, wer von euch will sich denn verkloppen, wer ficken und wer umlegen lassen?‘ Fassungslos schüttel ich den Kopf.
‚Ich habe mich schlau gemacht. Kenne die Zahlen, wie viele Millionen Euro die Versicherungen jährlich ausgeben müssen, obwohl die Fälle keinesfalls klar gelagert sind.‘
‚Lebensversicherungen?‘, entfährt es mir. Danach hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Ich will nicht mitspielen!
‚Lebensversicherungen! Die nicht zahlen müssen, wenn es sich bei dem Versicherungsnehmer um einen Selbstmörder handelt.‘ Sein Finger sticht mir fast ins Gesicht. ‚Wisst ihr, wie viele Menschen den letzten Schritt aus finanziellen Gründen machen? Oder selbst wenn nicht, wie oft die Sorge um die monetäre Versorgung der Angehörigen dabei eine Rolle spielen?‘ Keiner von uns sagt etwas.
‚Nein, wisst ihr nicht. Aber ich. Wenn ich jedem Selbstmörder die Chance geben würde, dass seine Familie nach seinem Tod bestens versorgt ist – dann kann ich mich vor Kandidaten kaum mehr retten. Die würden sogar umsonst für mich arbeiten!‘

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(03.03.10)
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 Mutter meinte dazu am 03.03.10:
:)

Danke - mach ich.
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