Lichttanz

Kurzgeschichte zum Thema Vergebung/ Versöhnung

von  tulpenrot

Man will mir meinen Garten nehmen. Der neue Mieter im Haus soll ihn mitbenutzen. Er soll auch seine Wäsche dort aufhängen - eine Wäschespinne ist geplant - und er hat schon seine Komposttonne aufgestellt. Ich finde das aufdringlich und wenig freundlich.
Schon gleich zu Beginn unserer Bekanntschaft kam er mir sehr rücksichtslos vor.

Er und seine Frau wollten eines Tages offensichtlich die freie Wohnung in unserem Miethaus besichtigen. Ich kam zufällig aus dem Haus, um Abfall zu entsorgen. Sie traten betont freundlich auf mich zu und sprachen mich an. Ob ich hier wohnte, ob ich die Vermieterin sei, wollten sie wissen. Ob mir die Hasen hinter dem Haus gehörten, fragten sie und sie ließen mich wissen, dass sie es so niedlich fänden, dass es Hasen auf meinem Balkon gäbe.

Da waren sie also schon unbemerkt durch meinen Garten gelaufen, sogar ums Haus herum und bis zu meinem Balkon! Ich fand das unerhört. Vor einigen Monaten zog der Mann hier ein - getrennt von seiner Frau, die einige Straßen weiter eine Wohnung hat. Ich verhalte mich freundlich distanziert - zumindest schippt er die Berge von Schnee, die uns diesen Winter heimsuchen.

Neulich begegnete ich seiner Frau wieder. Ich hatte mich zu einem meditativen Tanzworkshop in der Kirche angemeldet. Man wollte nach dem Weihnachtsoratorium tanzen. Um es gleich zu sagen: Ich fand die Veranstaltung seltsam und sie gefiel mir nicht. Die Schritte wurden schlecht erklärt und es waren zu viele Menschen da. Es wurde gegangen, aber nicht getanzt. Manche machten ein betont besinnliches Gesicht, um zu zeigen wie man alles in sich aufnimmt. Mich stört das. Ich hatte keine Lust mich meditativ zu benehmen. Schlechte Dinge mag ich nicht in mich aufnehmen. Die eigentlich wunderschöne Musik des Oratoriums erreichte mich nicht, ich musste zu sehr auf die Schrittfolge achten. Unter den Teilnehmenden gab es aus Platzmangel immer wieder ein Gerangel um den rechten Platz. Die meisten waren unsicher, was zu tun sei. Einigen wurde schwindelig. - mir auch, aber ich hielt durch - andere gingen früher.

Innerlich schimpfte ich mit mir: Du verhältst dich wirklich unvernünftig. Du willst unter Leuten sein, aber das meiste passt dir nicht. So wirst du einsam bleiben, in deinen eigenen Ansprüchen gefangen. Kein guter Ausgangspunkt für einen lockeren, entspannten Nachmittag.

Das Verstörendste jedoch war, dass ich die Frau meines Obermieters unter den teilnehmenden Frauen entdeckte. Ausgerechnet sie musste nun auch noch da sein! Eigentlich hatte sie ja nichts Abstoßendes an sich. Sie sah interessant aus mit ihrem scharf geschnittenen Gesicht, das unauffällig geschminkt war und ihm einen angenehm frischen Ausdruck verlieh. Ihre Haare hatte sie sehr modern rötlich gefärbt, es hatte einen guten Schnitt. Sie muss in früheren Jahren hübsch gewesen sein, überlegte ich unwillkürlich. Doch nun sie war dick geworden, hatte aber wiederum passende gute Kleidung angezogen. Ich konnte mir schon vorstellen, dass ihr Mann sie mochte.

Ich jedoch mag sie nicht, von Anfang an mochte ich sie nicht, obwohl sie immer freundlich war. Eines Tages - ihr Mann war gerade seit einigen Tagen oben über mir eingezogen, klingelte sie an meiner Tür. Sie fragte, ob sie einige Äpfel von meinem Apfelbäumchen pflücken dürfe. Sie sähen so schön rot aus und passten so gut in ihren Früchtetopf, den sie herstellen wollte. Als ich zu bedenken gab, dass die Äpfel sicher nicht schmeckten, weil sie von einem Zierapfelbaum stammten, meinte sie, das stimme nicht, sie hätte sie schon probiert! Dass ich entsetzt war, kümmerte sie nicht, merkte sie nicht einmal. Naja, anscheinend kann ich meine Gefühle gut verbergen.

Und heute tanzten wir gemeinsam. Ein schrecklicher Gedanke. Ich versuchte zu vermeiden, ihr nahe zu kommen oder mit ihr zu reden. Meine Strategie des Ausweichens funktionierte den ganzen Nachmittag über - obwohl ich sie dauernd anschauen, geradezu bewachen musste. Ich wollte sehen, dass sie nicht tanzen konnte, ich wollte jeden ihrer Schritte beurteilen, ob sich ein Fehler zeigte - und es war tatsächlich so. Sie hatte keinerlei Taktempfinden, keine Eleganz, keinen Ausdruck, der sich durch ihren massigen Körper hätte vermitteln können. Jeder Fehler tat mir gut, bekräftige mich in meiner Abneigung.

Das Ende des Tanznachmittags kündigte sich an. Eine Tänzerin bekam eine brennende Kerze und sollte sie tanzend weitergeben - symbolhaft, als Geste, das Licht, die Helligkeit des weihnachtlichen Geschehens weitergeben. Eine schöne Idee - aber ich sträubte mich dagegen. Ich wollte kein Licht. Ich wollte dem inneren Frieden mit dieser Frau keine Chance geben - trotz ihrer Freundlichkeit. Hoffentlich bekam sie die Kerze nicht, dachte ich, und wenn, dann möchte ich sie nicht von ihr annehmen müssen - ich war dazu nicht bereit.

Doch sie bekam die Kerze. Mit tanzenden Schritten trug sie sie in der Mitte unserer Runde. Ich schaute weg, um unsichtbar zu sein. Sie tanzte und hielt die Kerze und hielt sie immer weiter und weiter und länger und länger und ging und ging und übergab sie lange Zeit niemandem. Hatte sie die Regel nicht verstanden? Ich fand, genau das passte zu ihr: Sie dachte offensichtlich nur an sich. Da hatte ich den sichtbaren Beweis.

Nach einer endlos scheinenden Zeit - oder war sie nur mir so lang vorgekommen? -  gab sie die Kerze an eine junge Frau weiter. Seltsamerweise nun schritt diese mit elastischen Tanzbewegungen zielstrebig auf mich zu und reichte mir das Licht. Verwundert war ich schon, denn es gab ungefähr dreißig andere Frauen, die sicher lieber als ich die Kerze gehalten hätten. Jetzt stand ich unversehens im Mittelpunkt, alle schauten zu mir und ich konnte nun keineswegs diese Lichtgabe ablehnen und wollte es auch nicht, nicht als Gabe dieser jungen Frau, die ich sehr schätzte und deren schweres Leben mir sehr nahe ging.

Für einige Sekunden trug ich das Licht in die Mitte des Tanzkreises, versank ein wenig in die Wärme und das Tröstende dieses Symbols - dann brach die Musik unversehens ab, ehe ich eine Person auswählen konnte um die Kerze abzugeben. Einem unwillkürlichen Impuls folgend, drehte ich mich langsam um mich selbst, damit die Flamme nicht durch einen Windzug unversehens erlosch, präsentierte dabei freundlich lächelnd die brennende Kerze der ganzen Runde, machte einen Knicks, der wohl so ungewöhnlich war, dass alle darüber lachen konnten, und trug das Licht erleichtert zu der Tanzlehrerin. Die Tanzstunde war zu Ende. Und ich hatte mein Gesicht gewahrt.

Noch ist kein Friede zwischen dieser Frau und mir, zwischen diesem Ehepaar und mir. Mit einem einfachen Lichttanz, dem Weihnachtsoratorium als Hintergrundmusik, ist es nicht getan. Man will mir ja schließlich meinen Garten nehmen.
Blöd - nicht wahr?


Anmerkung von tulpenrot:

Eigentlich ein Text zur Unversöhnlichkeit. Aber dieses Stichwort gibt es in der Liste von kv nicht... warum wohl?

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Kommentare zu diesem Text

Klopfstock (60)
(07.03.10)
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 tulpenrot meinte dazu am 07.03.10:
Liebe Irene, die gesamte Situation ist einfach blöd.

Du beschreibst und beurteilst es richtig.
Es wird Verständnis erwartet - und zwar nicht im Sinne der bisher alleinigen Gartenbesitzerin. Sie wird als uneinsichtig, unsozial, egoistisch, unchristlich und selbstherrlich beschimpft und als kleinlich. Keiner schreit da auf.
Noch ist Winter... Wenn der Frühling kommt, wird es interessant....
danke jedenfalls für deinen reichhaltigen Kommentar und deine Empfehlung - hat mich gefreut!
LG
Angelika
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