Der Wunschvogel.

Kurzgeschichte zum Thema Märchen

von  Orion

Eines Tages errettete ich einen kleinen Vogel vor einer Katze. Und –siehe da- es war ein Zaubervogel, der mir sogleich seine Dankbarkeit dadurch bewies, dass er mir einen Wunsch gewähren wollte.
Nach kurzer Diskussion –schließlich werden allgemein immer drei Wünsche gewährt und auf genau diesen zwar sehr unwahrscheinlichen aber eventuell doch stattfindenden Sachverhalt hatte ich mich seit frühen Kindertagen vorbereitet- erklärte ich mich schließlich mit der Gewährung nur eines Wunsches einverstanden, wobei die Einlassung des Vogels, dass er bis Drei zähle und dann gäbe es gar keinen Wunsch gewährt, meine Entscheidung maßgeblich beeinflusste.
„Nun, wie lautet Dein Wunsch?“ fragte der Vogel.
„Darf ich –im Hinblick auf die Tatsache, dass mir entgegen aller Gepflogenheiten in diesem Umfeld nur ein Wunsch gewährt wird- vorher einige klärende Fragen an Dich stellen?“
„Ist das Dein Wunsch?“ kam es zurück.
Jetzt hieß es, ganz vorsichtig zu sein.
„Nein, Nein, das ist erkennbar kein Wunsch. Es ist nur eine Frage, lieber Zaubervogel. Der Sachverhaltsklärung dienend.“
„Aber Du wünschst Dir, dass ich Dir Fragen gewähre?“ fragte der Vogel listig.
Es war klar, dass ich dieses Tier auf gar keinen Fall unterschätzen durfte.
„Nein, das wünsche ich mir natürlich nicht. Zumindest nicht in dem Sinne, dass es mein Wunsch –DER WUNSCH- ist. Wie steht es mit der Formulierung: ‚Wäre es eventuell möglich, dass …‘. Würdest Du einen so beginnenden Satz sogleich als Wunsch interpretieren?“
Der Vogel überlegte kurz und antwortete: „Nicht zwingend. Außerdem gebietet es eine uralte Regel, dass ich vor der Wunscherfüllung immer die Frage stellen muss: ‚Ist das Dein Wunsch? ‘. Es ist in der Vergangenheit nämlich so einiges schiefgegangen und die Einführung einer Sicherheitsabfrage war wirklich geboten.“
Aha.
„Wäre es eventuell möglich, lieber Vogel, dass Du mir sagst, ob es irgendwelche Einschränkungen im Hinblick auf die Natur bzw. den Umfang der vorgetragenen Wünsche gibt?“
„Was schwebt Dir denn so vor?“ kam die Gegenfrage.
„Zum Beispiel ewiges Leben“.
„Ist das Dein Wunsch?“
„Nein, ich meine, ja, eventuell später, jetzt noch nicht. Nicht bevor ich weitere Auskünfte von Dir erhalten habe, mein Zaubervögelchen.“
„Ist das Dein Wunsch? Weitere Auskünfte zu erhalten?“
Kleine Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Hier konnte viel falsch gemacht werden!  „Nein, ich wollte nur wissen …“
„Ist das Dein Wunsch? Wissen zu wollen ob …?“ Jäh unterbrach ich den Vogel, langsam stieg mein Blutdruck. „So geht das nicht, liebes Zaubervögelein. Ich habe schon so einige Märchen gelesen und in allen –wirklich allen- war es erheblich einfacher, seine Wünsche zu äußern als hier mit Dir.“
Der Vogel blieb ruhig. „Hatte ich erwähnt, dass eine andere uralte Regel den Zeitraum festlegt, in welchem der Wunsch geäußert werden muss?“
„Nein, das hattest Du nicht“.
„Es bleibt Dir objektiv betrachtet nicht mehr so ganz viel Zeit für die Wunschäußerung.“
„Gehört das dazu? Psychologisches geschultes Vorgehen? Druck auf den Wünschenden auszuüben?“
„Möchtest Du das wirklich wissen, Mensch?“
„Nein!“
„Die Wunschzeit läuft ab!“
„Wie viel Zeit habe ich noch, Vogel?“
„Ist das Dein Wunsch? Wissen zu wollen wie viel Zeit Dir bleibt?“
Ich verlor die Fassung. „Nein, Nein! Ach verdammt noch mal! Ich wünsche mir etwas ganz anderes, bitte warte noch einen Augenblick, also, ich wünsche mir … ja jetzt weiß ich es! Lieber Vogel, ich wünsche mir, in allen Lotterien und Glücksspielen,  an denen ich teilnehmen werde, immer den Haupttreffer! Jackpot und so!“
„Ist das Dein Wunsch?“
„Ja! Ja!“
„Dein Wunsch sei Dir gewährt, guter Mensch, als Dank für meine Errettung vor der Katze.“
Ich war außer mir vor Freude, konnte allerdings eine unterschwellig vorhandene Skepsis nicht verbergen. „Das war alles, lieber Vogel? So einfach?“
„Ja, so einfach! Und nun muss ich mich von Dir verabschieden, mein Retter, auch dies gebietet eine uralte Regel.“ Damit flog mein Wunschvogel fort.
Nach einer umfangreichen Reihe niederschmetternder Enttäuschungen auf dem Gebiet des Glücksspiels seit meiner Begegnung mit dem obskuren Wunschvogel werde ich –unter uns gesagt- das Gefühl einfach nicht los, gewaltig veräppelt worden zu sein.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(21.05.17)
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