Oberkante Unterlippe

Essay zum Thema Europa

von  loslosch

Sera parsimonia in fundo est (Seneca, um die Zeitenwende bis 65 n. Chr., Epistulae morales ad Lucilium; nach Hesiod, übrigens einem Griechen). Zu spät ist Sparsamkeit am Boden [des Fasses]. Oder: Zu spät ist Sparsamkeit, wenn der Boden des Fasses erreicht ist.

Seneca bezog sich mit seiner Sentenz auf einen Hellenen. Unwillkürlich wird der Leser gemahnt an die aktuelle Finanz- und Schuldenkrise Griechenlands, eines Mitglieds der EU-Währungsunion. Die aktuelle Staatsverschuldung dieses kleinen Landes in Höhe von 300 Mrd. € übersteigt alle Vorstellungen. Das waren die Zahlen des Vorjahres. Kaum niedergeschrieben, sind es bereits 315 Mrd. €

Allein über den dadurch geschwächten Euro zahlen alle Pkw-Fahrer im EU-Wirtschaftsraum derzeit an den Tankstellen mehr, ohne dass es den Griechen nur einen Deut weiterhilft.

Zum Vergleich: Die Bundesrepublik Deutschland hat eine gesamtstaatliche Verschuldung (Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherung, Sondervermögen) von 1690 Mrd. € oder 1,69 Bill. € und verstößt damit gegen die Maastricht-Kriterien. Ihre Wirtschaftskraft ist ungefähr 10-mal stärker als die Griechenlands. Demnach müsste ihre öffentliche Gesamtverschuldung, adäquat zu griechischen Verhältnissen, bei rd. 3.000 Mrd. € liegen (10 mal 300). 1,8mal so hoch wie zurzeit. Die Staatschulden erreichten dann, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, rd. 125% (Schuldenquote), nach dem Maastricht-Vertrag erlaubt sind lediglich 60%. Eine Überschreitung um mehr als das Doppelte.

Vereinfacht stelle man sich vor, der deutsche Staat hätte 3.000 Mrd. Schulden jährlich zu bedienen. Allein der Zinsendienst läge dann, bei einem geschätzten Kreditzins von durchschnittlich 3,0%, bei 90 Mrd. € jährlich. Legt man die deutlich schlechteren griechischen Kreditkonditionen zugrunde, würden die 90 Mrd. auf mindestens 120 Mrd. hochschnellen.

Wie soll das kleine Griechenland mit einem Bruttoinlandsprodukt von weniger als 235 Mrd. € 12 Mrd. € Zinsen pro Jahr stemmen und zusätzlich noch den Abbau von Schulden über einen mittelfristigen Zeitraum bewirken? Das funktioniert nicht.

Die begnadeten Fälscher haben keine Hilfe von Archimedes, Pythagoras, Euklid und Thales von Milet zu erwarten. Die einzige Hilfe besteht darin, Hellas aus dem Euro-Raum zu entlassen und drei Viertel seiner Schulden, also 225 Mrd. €, zu übernehmen. Die Schultern der Euro-Kernländer sind stark, nolens volens. Sonst würde die wiedereingeführte Drachme so schwach, dass Griechenland unter der Last der Altschulden zusammenbrechen würde.

Was tun, wenn der nächste Dominostein fällt, Spanien, Italien, Portugal, Irland? Also der komplette Klub der PIGS?

Dann war die Einführung des Euro 2002 (ohne koordinierte Wirtschaftspolitik eine Totgeburt) der Preis für die deutsche Einheit. Helmut Kohl lässt grüßen.

Wilhelm Busch (oder war es Werner Kroll?) weiß es längst: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich recht ungeniert.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

LudwigJanssen (54)
(17.03.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 loslosch meinte dazu am 17.03.10:
Inwieferne? Lo

 Rudolf (17.03.10)
Von der Geldwirtschaft lernen, heißt siegen lernen.

Was bei normalen Menschen unter Betrug läuft, heißt dort Finanzprodukt und mit ihm werden Risiken an willige weil geldgierige Kunden durchgereicht.

Analog kann man für Griechenland ein ganzes Bündel von Maßnahmen, speziell langlaufende, zinsgünstige Kredite, erdenken, bevor dort die Drachmen wieder eingeführt werden müssen.

Wenn es eine Erkenntnis aus der Krise 2008 / 2009 gibt, dann die, dass selbst Volkswirtschaftler nicht wirklich wissen, wie Volkswirtschaft funktioniert.
(Kommentar korrigiert am 17.03.2010)

 loslosch antwortete darauf am 17.03.10:
Gelungene Variation zur untergegangenen UDSSR.

Die Ökonomen wissen schon gut Bescheid, müssen aber beim Erkennen von Finanztricks nachrüsten - wie beim Wettrüsten seinerzeit.

Ein kompetenter Kommentar, der zumindest solides ökon. Grundwissen verrät. Lo
elvis1951 (59) schrieb daraufhin am 17.03.10:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 loslosch äußerte darauf am 17.03.10:
Klaus, das sind Fragen, die auf die Spielwiese der Welfare Economics gehören. Schon jetzt sinkt das BIP, wenn der Chef seine Putzhilfe ehelicht. Die Löhne an die Putzfrau fallen weg. Er ist sogar viel ärmer geworden.

Fazit: Wir stehen auf den Schulden unserer Vorfahren. :) Lothar
(Antwort korrigiert am 17.03.2010)
elvis1951 (59) ergänzte dazu am 17.03.10:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 loslosch meinte dazu am 17.03.10:
Ja, und der Splittingeffekt in der kinderlosen Ehe. Ein Witz. Noch ein echter Scherz: Ich dachte an den Armen, wenn sie sich wieder scheiden lässt. Lo
Leyla (29)
(17.03.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 loslosch meinte dazu am 17.03.10:
Ein Problem war für mich das BIP Griechenland 2009 oder 2008. Die max. 235.000 sind gegriffen, eher zu hoch. Ich hörte neulich im Funk, das BIP Deutschlands sei 20mal größer. Andere Indikatoren zeigen mir, dass es eher bei Faktor 15 liegt. Vielleicht liest mal einer hier und teilt die genaue BIP-Zahl mit. In jedem Fall ist das Bild noch düsterer, als von mir skizziert.

Prognose: Erst mal kommen deutsche Kreditbürgschaften im Verein mit Benelux und Frankreich, damit die neuen Kredite Griechenlands zu einem normalen Sollzins möglich sind.

Wenn ich verständlich war, ist es zumindest ein Zeichen dafür, dass ich die Materie selbst verstanden habe. Übers Internet Sachverhalte abgreifen, das fällt in der Summe auf. :) Lothar

 loslosch meinte dazu am 17.03.10:
Entwarnung: Nach der soliden EU-Statistik lag das griech. BIP bei 240 Mrd. €. Demnach Faktor 10 statt 11. Das wird aber längst kompensiert durch den unterstellten, eher zu niedrigen Sollzins von 4% für die stark risikobehafteten griech. Staatanleihen. Das düstere Bild bleibt. Lo

 Lala (17.03.10)
Irgendwie klingt es im ersten Moment beruhigend. So paradox das klingen mag. Aber es ist doch beruhigend zu wissen, dass Deutschland nur halb so verschuldet ist wie Griechenland, wenn man die Länder so in Relation setzt, wie Du es getan hast. Aber andererseits frage ich mich schon seit geraumer Zeit, wie wir die 1,69 Billionen Euro dauerhaft stemmen wollen? Von abtragen, kann man ja eigentlich nicht mehr ernsthaft reden, oder doch? Wenn also die Euroländer – Land um Land – in ihren Schulden wie in einem Moor versinken, dann bleibt doch auch als Lösungsalternative den Boden anzuheben, sprich: der Währungsschnitt? Und wenn der kommt, freuen sich doch alle die, die Schulden haben? Und das sind doch alle? Und die deutsche Politik kann sich darüber freuen, dass sie daran keine Schuld trägt, denn die Schlimmsten sind ja die Pigs. Ja, den Kleinsparer freut es nicht, aber der hat ja auch keine Schulden. Was lehrt mich das? Macht Schulden! Investiert, baut und spart bloß nicht Euer Geld.

 loslosch meinte dazu am 17.03.10:
Die PIGS; Akronym aus Portugal, It und Ir (!), Gr, Sp.

Schäuble fährt die Staatsausgaben 2010 hoch (80 Mrd. Nettoneuverschuldung) und denkt an Kosmetik für die Folgejahre und EU-Vorschriften. Das trifft sich gut mit der Idee der Schuldengemeinschaft.

Übrigens ist es ein weit verbreiteter Irrtum, ein Staat solle Null Schulden haben. Der Vergleich mit dem Privatier würde hier hinken. Wichtig ist, dass die Staatsschulden mittelfristig proportional zum BIP steigen und nicht drüber hinaus. Ideal: In der Rezession macht er überproportional Schulden, in Boomphasen baut er sie wieder ab. Antizyklische Konjunkturpolitik. Klappt aber seltenst! Politiker wollen wiedergewählt werden. Lo

PS: Lala war, nach seinem Foto zu urteilen, in einem Moor versunken.

 Lala meinte dazu am 17.03.10:
Das Akronoym war mir bekannt. Sind die Schweinderl nicht etwa schöne Mohren, die sich als Schuldige für drastische Maßnahmen gut eignen würden? Nein, null Schulden soll er auch nicht haben bzw. muss er auch nicht haben, aber die Frage ist doch erlaubt ob auf Dauer nicht auch die 1,69 Billionen bei steter Nettoneuverschuldung nicht doch zu schwer werden. Aber ich beuge mich Deinem Sachverstand und werde aber trotzdem in Zukunft mich verschulden. Was nutzt es mir denn, wenn ich Ersparnisse haben, die gerade so ausreichten meinen umgerechneten Anteil zu bezahlen? Nichts. Zu gern würde ich dem Schäuble 24.000 € überweisen mit der Bitte mich fürderhin in Ruhe zu lassen mit seiner Beschaffungskriminalität ;)

Gruß

Lala, der nicht im Moor versunken ist.

 loslosch meinte dazu am 17.03.10:
Das Akronym hatte ich für die Leser aufgelöst und gleich in den Text genommen. Man kann ja nicht immer an alles denken.

Zur Klarstellung: Ich bin auch der Meinung, dass der Verschuldungslevel zu hoch ist (70,4% statt erlaubten 60%). Wenn eine BRegierung am Ende eines Booms schon nahe an 60 liegt, hat sie vorher überzogen und eigentlich kein Luft mehr für antizyklisches Gegensteuern.

Wenn keine Nettoauslandsverschuldung gegeben ist, werden durch Staatsverschuldung übrigens keine künftigen Generationen belastet. Aber die interne Einkommensverteilung wird strapaziert: Die inl. Kreditgeber kriegen Zinsen. Raffiniert wären hohe Staatsschulden bei einer Realverzinsung von Null!! Lo

 loslosch meinte dazu am 17.03.10:
Zum monotonen Gelaber von der Belastung zukünftiger Generationen durch Staatsverschuldung: Man stelle sich eine Weltregierung mit einem einzigen Staat vor. Wie soll eine zukünftige Generation durch Schulden belastet werden? Ökologisch durchaus. Aber nicht durch staatl. Schulden. Beim Einzelstaat ist es nur dann anders, wenn der Staat mehr Kredite im Ausland aufnimmt als dorthin vergibt.

Diese Klarstellung ist keine Ehrenrettung für Griechenland!
Lo

 EkkehartMittelberg (08.04.11)
"Was tun, wenn der nächste Dominostein fällt, Spanien, Italien, Portugal, Irland? Also der komplette Klub der PIGS?"
Hast du die Zeit, Lothar, mir und anderen Bedürftigen ein paar Argumente dafür zu geben, warum die finanzstärkeren Staaten die PIGS nicht aus dem Euroverbund ausschließen oder, falls dies unmöglich ist, warum sie nicht zu ihren alten Währungen zurückkehren?
Ekki
Graeculus (69)
(21.06.15)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 loslosch meinte dazu am 21.06.15:
ja, immer noch!

nur die zinsen (zinssatz) haben sich, auch für GR, deutlich verringert. an das pokerspiel von tsypras hatte ich damals nicht gedacht. varoufakis ist gelernter spieltheoretiker, er lächelt kaum. wenn eine familie ihren völlig missratenen minderjährigen sohn aussetzt, kommt die kripo.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram