Filetstück

Roman zum Thema Entscheidung

von  Mutter

Als ich unten aus dem Haus trete, hat es bereits angefangen zu dämmern. Ich muss mich beeilen – einkaufen und nach Hause kommen, bevor Luisa zurück ist. Fände sie bestimmt nicht witzig, wenn sie eine leere Wohnung vorfindet.
Ich bin gerade auf dem Weg die breite Treppe in den Hof runter, als sich aus dem Halbschatten der Hauseingänge links eine Gestalt schält.
„Sieh an, sieh an – der kleine Italiener.“
Ich halte inne, betrachte Ducky, der langsam auf mich zukommt. Er ist mindestens einen Kopf kleiner als ich, auf eine sehnige Art dürr. Keine Ahnung, warum der Penner darauf besteht, mich den kleinen Italiener zu nennen. Duckys Art von Humor ist für die meisten nicht leicht zu verstehen. Er kommt lässig die paar Treppenstufen zu mir runter, kaut mit offenem Mund Kaugummi. Seine Hand, tätowiert wie der Rest seines Körpers, gleitet sanft die Aluminiumstange entlang, die die Treppe mittig teilt.
„Hast du deinen kleinen Stricher-Freund besucht? Eine schnelle Nummer geschoben?“ Er lacht dreckig und meckernd, macht eine kleine Kopfbewegung, als sei er auf der Suche nach Publikum für seinen Witz. Aber außer uns ist niemand da.
Ducky und ich mögen uns nicht besonders – das ist eine lange Geschichte. Aber Dirty und er hassen sich mit einer Inbrunst, die Ihresgleichen sucht. Ducky ist in der Lage, den Franzosen innerhalb von Sekunden so hochzukochen, dass er völlig außer Kontrolle gerät.
„Mann Ducky, du klingst wie eine beschissene gesprungene Schallplatte. Denk dir mal was Neues aus.“
Das gleiche Meckern. „Dabei bekommt der schwule Penner nich mal einen hoch. Jede Wette, der würde gerne.“
Ich will mich umdrehen, ihn stehenlassen, aber eine harte Hand auf meiner Schulter stoppt mich. Meine Nackenmuskeln verhärten sich – jetzt wird es unschön.
Ganz langsam drehe ich mich um, er nimmt die Hand weg. Unter der Spinnennetz-Tättowierung, die seinen gesamten Hals bedeckt, sehe ich es zucken. Ducky ist pures Rockabilly – die mit Gel geformte Tolle, die Koteletten und die aufgeschlagenen Jeans: Jede Wette, die Homies an der Ecke haben Angst vor dem Pisser. Ich nicht.
„Ich will mein Geld, Arschloch!“, stellt er fest. Jetzt will keiner von uns beiden mehr witzig sein.
Ich schüttel den Kopf, lasse ihn dabei nicht aus den Augen. „Du weißt genau, dass ich ausgestiegen bin. Lange, bevor Lollo dir das Geld geschuldet hat. Was auch immer ihr da am Laufen habt – ich bin raus.“
„Lollo war dein Partner!“
Mit müder Stimme antworte ich: „Richtig: War. Ich bin rechtzeitig ausgestiegen. Mit eurem Deal habe ich nichts zu tun.“ Ich hatte diese Diskussion schon öfter mit Ducky geführt. Er bekommt seine Kohle von Lollo nicht, und versucht deswegen in regelmäßigen Abständen, mich anzugehen.
Er lehnt sich etwas nach vorne, zieht die gepiercten Augenbrauen zusammen. „Ich lass mich von euch nicht verarschen! Ich will das Geld – ob von dir oder dem anderen Wichser ist mir vollkommen Latte. Besorgt mir die Kohle, oder es passiert was.“
Meine Kiefermuskeln verspannen sich, ich schiebe das Kinn nach vorne, bis wir uns fast berühren. „Was denn? Was passiert dann, huh?“ Der Sack geht mir auf die Nerven – fast wünsche ich mir, er würde irgendwas versuchen, so dass ich ihn hier und jetzt plattmachen kann.
Macht er nicht.
Mit grimmigem Gesicht zieht er sich zurück, tritt eine Treppenstufe nach oben. Sticht mit seinem Zeigefinger in Richtung meines Gesichtes. „Ich lass mich von euch nicht ficken, ihr Hurenböcke. So nicht. Nicht mit Ducky!“
Mit einem letzten bösen Blick geht er in Richtung Skalitzer Straße weg, ich sehe ihm noch einen Moment nach. Ich hatte Lollo seit Wochen nicht mehr gesehen, aber wahrscheinlich würde ich gut daran tun, dem Depp in den Hintern zu treten. Damit der die Sache mit Ducky regelt. Diese Konfrontationen fangen an, mir auf die Eier zu gehen. Und wenn Dirty dabei ist, wird es noch schlimmer.
Mit einem leisen Seufzer gehe ich Richtung Supermarkt. Zeit, sich um das Abendessen zu kümmern.

Ich bin gerade dabei, in die Reichenberger einzubiegen, die zwei schweren Einkaufstüten links und rechts in der Hand, als ich Tiger an der Bushaltestelle sehe. Aber er macht nicht den Eindruck, als wartet er auf den Bus. Ist gerade dabei, es sich mit einem alten Schlafsack und einer braunen Umzugsdecke auf der Bank gemütlich zu machen.
Mit einem schnellen Blick nach links checke ich den Verkehr, wechsel die Straßenseite. Gehe auf ihn zu. Er bemerkt mich, sieht weg. Ordnet verlegen sein Zeug.
„Was wird das?“, frage ich barsch. „Du hast gesagt, Tomte lässt dich im Studio bleiben.“
Er zuckt bloß mit den Schultern, sieht mich nicht an. „Cem ist aufgetaucht. Der will das nicht. Meint, das sei asozial.“
„Der Wichser. Das hier ist asozial.“ Ich will auf das Bushäuschen deuten, aber die schwere Tüte in meiner Rechten verhindert die große Geste. „Und jetzt willst du hier pennen?“
Noch ein Schulterzucken.
„Du spinnst. Komm, ich nehm dich mit.“
Er reagiert nicht.
„Los, mach schon. Du kannst bei uns auf dem Sofa pennen. Nur ein paar Tage – bis du wieder auf die Füße kommst.“
Immerhin sieht er inzwischen in meine Richtung, betrachtet meine Hosenbeine.
„Ich koche heute Abend.“ Als er immer noch nicht reagiert, füge ich mit einem Grinsen hinzu: „Das kann ich - habe ich von meiner italienischen Großmutter.“
Er grinst schief, sieht mich an. Dann versickert das Lächeln in seinem von harten Linien durchzogenem Gesicht. „Ich will keine Umstände machen.“
„Dann hör auf, hier so einen Larry zu machen, dass nervt. Nimm dein Zeug und los. So machst du am wenigsten Umstände.“
Kurzes Zögern, dann nickt er. Vielleicht spürt er, dass ich hier nicht weggehe, bis er mitkommt. Ich grinse, sehe zu, wie er seine Klamotten zusammenrafft und in einen kleinen Seesack stopft.
Wir gehen nebeneinander die Straße entlang. Nachdem er einen neugierigen Blick auf die Tüten geworfen hat, fragt er: „Was gibt es?“
„Filetspitzen!“
Tiger verzieht gebührend beeindruckt das Gesicht. „Nicht schlecht.“
„Auf Tagliatelle, mit Pfifferlingen. Wenn du das einmal gegessen hast, wirst du nicht wieder wegwollen bei uns.“
Das hätte ich nicht sagen sollen – sofort verdüstert sich sein Gesicht.
„Entspann dich“, schiebe ich hinterher. Hätte ich eine Hand frei, würde ich ihm kameradschaftlich auf die Schulter schlagen. „Es ist in Ordnung – glaub mir. Dafür sind Kumpels da.“
Er nickt, offenbar nicht überzeugt. „Was ist mit deiner Freundin?“
Ich zögere einen Augenblick, sehe ihn mit einem verlegenen Grinsen von der Seite an. „Ganz ehrlich?“ Obwohl ich keine Antwort erwartet habe, nickt er.
„Ich gehe nicht davon aus, dass sie die Idee so prickelnd findet. Auf den ersten Blick“, beeile ich mich hinzuzufügen. „Aber du bist auch nicht ihr Kumpel, sondern meiner. Und nach DEM Essen“, sage ich, während ich mit dem Kinn auf die Tüten deute, „gibt’s da eh keine Diskussionen mehr. Damit bekomme ich noch ganz andere Sachen von ihr.“
Er wird rot, muss aber trotzdem lachen.
„Los jetzt - ich will das Essen auf dem Herd haben, wenn Luisa zurück ist.“

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 star (07.04.10)
Schön geschrieben dieses ..äh.. "Kapitel" ?
Macht Lust auf mehr und weckt Erwartungen, die dann in den nächsten ..*rechnet*.. Monaten hoffentlich erfüllt werden. Dafür gerne meine Empfehlung als "Investition" sozusagen ;-P

...Mit müder Stimme antworte ich: „Genau, er WAR mein Partner. Ich bin ausgestiegen, danach habt ihr euren kleinen Deal gemacht. Der schief gelaufen ist. Hat nichts mit mir zu tun.“

Meiner Meinung nach würde er das so nicht sprechen. Da ist für mich eine Erklärung für den Leser in den Satz von *wieheißternochmal* Prot eingebaut. AUßerdem stolpert es
(In den wenigen Fällen, in denen ich einen Roman oder ähnliches lese, und auf Dialoge stoße, die kein Mensch gefühlt so sprechen würde, sondern die dem Leser etwas erklären, steige ich aus.)

Daher auch dieser ungewohnt und unerträglich ausufernde Kommentar ...

...Mit müder Stimme antworte ich: „Genau, er war mein Partner. Ich bin ausgestiegen. Was danach gelaufen ist, ist ja wohl euer Ding.“

oder so, zB (dein Job) ... finde ich realistischer
(beide wissen doch, worum es geht)

Nähere Erklärungen können dann ja erfolgen (falls überhaupt nötig!)

[/i]Ich hatte diese Diskussion schon öfter mit Ducky geführt. Er bekam seine Kohle von Lollo nicht, und versuchte deswegen in regelmäßigen Abständen, mich anzugehen....[/i]

soweit, so jut, danke. weiter

lgrusstar
(Kommentar korrigiert am 07.04.2010)

 Mutter meinte dazu am 07.04.10:
Ich mag den ungewohnten und ausufernden Kommentar ... :)

Ja, die Stelle hakt. Schaue ich mir noch mal an - danke schön.
Kitten (36)
(08.04.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter antwortete darauf am 08.04.10:
Mit Hach und Krach geschafft ...
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram