Angekettet - oder L.Skrizipek stellt sich vor - oder für HEMM

Gleichnis zum Thema Angst

von  Lala

b] Angekettet [/b]

- oder : Leon Skrzipek stellt sich vor -
- oder : für HEMM.


Ich bin Leon Skrzipek und komme aus Berlin. Es ist gar nicht lange her, da hat mir mein Neffe einen Computerdingsbums installiert und mir die Grundbegriffe beigebracht, damit ich in der weiten Welt herumtollen kann. Allerdings hat er mich eingeschränkt. Das hat er wortwörtlich in einem Satz gespickt mit reichlich Kauderwelsch gesagt: eingeschränkt.
Mittlerweile vermute ich die Bedeutung liegt darin, dass ich dieses Dingens nicht verändern kann und somit garantiert ist, dass es funktioniert. Ganz schön trickreich mein Neffe. Aber weil dieser Blechonkel so schön funktioniert, erkunde ich gerade die Weiten des Internets. Knifflig, sage ich Euch. Ganz schön knifflig.

Anarchisch und frei habe ich mir die Welt des Webs vorgestellt. Spannende Menschen, schöne Menschen, hässliche Kerle, friedfertige Mäuschen, Krawallos und Entspanntis wollte ich finden. Aber ich musste schnell lernen, dass es ganz wichtig ist, sich zuerst die Nutzungsbedingungen durchzulesen, bevor man mitmischt. Was soll ich sagen? Wenn ich mir was kaufe, dann packe ich es aus und les mir nie das Handbuch durch und Regelmeier mag ich nicht. Zum Glück hat mein Neffe mir endlich dieses Überwachungsprogramm ausgeschaltet, dass mir gleich alles rot ankreidete, wenn ich mich verschrieben hatte. Versteht ihr was ich meine? Regeln, die sich dadurch legitimieren, dass sie Regeln sind – das ist wie : Das war schon immer so. Find ich furchtbar.

Ja, ja ich weiß, das kann schnell gefährlich werden, aber Handbücher, Anleitungen, Regelwerke und Gesetzbücher – gibt es langweiligere Texte? Die armen Wörter, die für immer in solche Satzstraflager eingeknastet worden sind. Wobei ich mich gerade frage, ob es möglich wäre, nur mit den Worten aus dem Strafgesetzbuch oder diesen Riesenanleitungen für eine sachgemäße Benutzung eines Forums eine schöne Geschichte oder ein tolles Gedicht zu verfassen? Vielleicht ist das ja gar nicht möglich? Vielleicht taugen diese Wörter nur zur Anleitung und Korsettierung menschlichen Verhaltens? Dann bräuchten mir diese Wörter auch nicht leidtun, denn dann stünden sie ja in der Gesellschaft in der sie sich wohl fühlen.

Wenn ich mir dagegen die Bibel ansehe, wie viele hervorragende Geschichten in ihr enthalten sind, so frage ich mich, wie hätte ein Forengott seine Bibel begonnen? Am Anfang war der erste Paragraph, mit dem der Forengott die Welt in Mein und Dein teilte und das Urheberrecht erschuf. Vielleicht so ähnlich, aber bestimmt nicht so genial wie : Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.

Zurück zu den Regeln. Nachdem ich das Ziel ins Auge gefasst hatte, die Netiquette und Nutzungsbedingungen der Foren zu studieren, entschied ich mich für die Leonsche keep-it-smart-and-simple Methode, die da besagt, sich von allem was stört zu befreien, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Also zog ich mich völlig aus, druckte bergeweise Seiten und machte es mir in meinem Studierzimmer bequem. Bis auf einen toll gewachsenen Elefantenfuß, der mich an eine Zeit erinnert wo meine Haare das Gegenteil seiner Blätter und meine Hast das Gegenteil seiner Standhaftigkeit und Langmut waren, ein Stehpult, ein Sitzkissen und meine niemals aufgebende Friedenspalme und natürlich meinen Freund Gnorp, ist mein Studierzimmer ratze putz leer.

Nun stand ich nackt vor meinem Stehpult und hatte einen dicken Papierstapel vor der Nase. Aber ich war willens, ach was, ich war fest entschlossen und beherzt, mich richtig zu verhalten. Doch der Wille gut zu sein, gemahnte mich nach den ersten gelesenen Sätzen wieder zur Demut.

Korrektes Verhalten, stets das Übliche und Richtige zu tun ist ein Muß. Unübliches Verhalten macht Angst, weil wir es nicht berechnen können.

Ein Allgemeinplatz. Aber wie schwierig es manchmal ist das Richtige zu tun, erinnerte mich an eine Geschichte, die sich in einem Sommer meiner Adoleszenz begab.



Der beste Freund meines Vetters Paul heißt Ruben. Ruben traf ich häufiger in einem Land das ein Anderer einmal so beschrieben hat: Schöne Welt, böse Leut. Paul lebte dort und Ruben und ich besuchten ihn regelmäßig im Sommer. Auch Ruben und ich verstanden uns gut. Pauls Eltern betrieben einen Hof. Er hieß Zum grünen Baum oder Jägerhof oder wie diese Höfe halt heißen, die gut tausend Meter über dem Meeresspiegel liegen. Sie waren damals mit die ersten, die sich dem Tourismus zu öffnen begannen und sich vom Almbauern zum Gastwirt wandelten.

Immer wenn wir in dieser wildromantischen Gegend, die Ereignisse aus Winnetou nachgespielt hatten und wieder in die Gaststube von Pauls Eltern wollten, um uns mit Kaiserschmarrn zu stärken, kamen wir unweigerlich an Barri vorbei. Barri war ein Bernersennenhund und wurde stets an kurzer Kette gehalten. Nie anders, als mit dieser Eisenkette an einen Pflock gekettet, hatte ich Barri je gesehen. Der Boden im Radius der Kette war nur noch Mölm. Immerhin, er hatte eine Hütte, aber da sahen wir ihn nie, denn wenn Barri uns sah, bellte er aggressiv, sprang in unsere Richtung und riss an der Kette, bis wir in der Stube verschwunden waren. Barris Fell wirkte immer ungepflegt, Speichel hing ihm von den Lefzen und Fliegen schwirrten stets in seiner Nähe. Ich mochte ihn nicht, hatte Angst vor ihm und konnte mir seine Existenz nur damit erklären, dass es noch Schlimmeres in der Welt geben müsse, um einen Barri vor der eigenen Tür halten zu müssen.
Ruben, dem ich wohl ein-, zweimal erzählt hatte, wie ich über den Hund dachte, schüttelte jedes Mal seinen Kopf und bedeutete mir, dass er den Hund verstehen kann. Wie soll er mit dem Schwanz wedeln, Leon, wie sich über einen neuen Tag freuen, wenn er wie ein Hund gehalten wird? Aber, Ruben, er ist doch ein Hund, entgegnete ich dann und dann sagte Ruben meist nur noch: Na, dann? Und grinste mich höhnisch an. Ich hatte das nie verstanden.

Ruben ging immer gelangweilt an Barri vorbei, so als mache das Gebelle ihm nichts aus, doch ich war stets in Sorge, dass dieser wilde, aggressive Hund den Pflock aus der Erde und mich zu Tode reißen würde. Dieses aggressive Verhalten legte Barri bei jedem an dem Tag. Nur nicht bei Pauls Vater, Paul selbst oder seiner Mutter. Die ließ er gewähren, aber ich hatte stets das Gefühl als könnte Barri auch seine eigene Familie nicht leiden. Was im Nachhinein auch kein Wunder wäre, wenn ich daran denke, mein Leben bei Wind und Wetter in einem Radius von zwei Metern verbringen zu müssen?

Wie alt mochten wir gewesen sein, Ruben und ich, als wir uns das letzte Mal auf dem Hof getroffen hatten? Vierzehn ich, Fünfzehn er? Das Wetter war schön gewesen, Winnetou nicht mehr Thema Nummer eins aber Mädchen dafür von brennendem Interesse. Wir kamen vom Dorf, latschten hungrig hunderte Höhenmeter herauf zum Hof und hatten Durst, großen Appetit und freuten uns auf die gute Küche von Pauls Mama. Aber kurz vor dem Ziel, mussten wir an Barri vorbei, der Nachmittags, wenn ihm bei gutem Wetter die Sonne das Fell und seinen Bregen gegrillt hatte, besonders aggressiv war. Als wir oben auf dem Hochplateau ankamen und Hof und Hund schon von Weiten sehen konnten, sagte Ruben immer: Komm schon Leon, der kann uns nicht kriegen.
Aber ich blieb wie immer zwei, drei Schritte leicht versetzt hinter meinem Freund und beobachtete gebannt den Hund und den Anker, der ihn hielt. Barri war, soweit es die Kette zuließ, in unsere Richtung gelaufen und bellte und knurrte und der Seiber lief ihm von den Lefzen. Mein Herz schlug wie verrückt und ich ging feste davon aus, dass es dieses mal nicht gut gehen, dass Barri dieses mal mich kriegen würde. Meine Augen gingen zum Hund, zum Pflock, zu Ruben, zum Hund, zu Ruben und dann sah ich, oder bildete mir ein, just als Ruben sich nochmals zu mir umsah, seine Augen verdrehte, um mir so zu verstehen zu geben, dass ich oder der Hund ein großes Problem hätten, just da sah ich, dass der Pflock sich ein Stück weit aus der Erde hob. Reflexartig blieb ich stehen. Nun schlug sich Ruben erst Recht die Hände über den Kopf . Was sei ich doch für ein elender Feigling, nörgelte er und schritt direkt und entschlossen auf Barri zu.

Das Tier drehte völlig durch und zog wie irre an der Kette, denn Ruben hatte sich nur um Zentimeter getrennt, vor ihm aufgebaut. Der Hund stemmte sich auf die Hinterbeine, versuchte Zentimeter zu gewinnen und ließ nur dann ab, wenn er zu ersticken drohte. Ruben besaß die Frechheit, sich auch jetzt noch zu mir umzudrehen und mir mit breitem Grinsen mitzuteilen, dass dieser Hund, zwar laut sei und gefährlich ausschaue, aber, so rief Ruben mir zu, Barri werde niemals eine Chance bekommen seinen Zorn befriedigen zu können. Der Zorn werde ihn auffressen, rief Ruben mir zu und da hatte ich erstmals das Gefühl, weil er weder höhnte noch lachte, dass er Mitleid mit der Kreatur hatte. Hörst Du das Leon? Zorn und Hass, fressen ihn auf, rief er ein ums andere mal und dann leiser aber immer öfter: Du frisst keinen außer dich selbst.

Barri reagierte stets gleich. Ob Ruben mir etwas zurief oder leiser Theorien über Barri murmelte, Barri wollte Ruben immer nur an die Kehle. Da stetes Bellen ziemlich laut und nervig ist, rief schließlich Pauls Vater Alfred uns aus der Stube zu, dass wir reinkommen und das Tier nicht verrückt machen sollen. Alfred selbst, kam nicht heraus, Alfred schaute nicht nach dem Rechten, nein, er rief einfach hinter geschlossenen Türen, dass wir uns benehmen sollten.

Aber als Alfreds Stimme erschall, hatte ich einen Moment die Hoffnung, dass dieser Alptraum vorüber sei. Denn jeden Moment rechnete ich damit, dass Barri sich losreiße und Ruben zerfleische oder dass Barri sich die Kette so sehr in den Hals drücke, dass er ersticken oder sich gleich den Kopf in Gänze abzutrennen. Aber weder das eine, noch das andere geschah und auch kein Vorhang, gezogen von den Eltern, beendete die Szene.

Ich weiß nicht, was in Ruben vorgegangen war, geschweige denn was Barri empfand, als Alfreds Stimme zu ihnen drang. Zu Ruben rief ich aber, alleingelassen, weil Pauls Papa sich nicht blicken ließ und weil ich mir keinen anderen Rat mehr wusste, dass Pauls Papa Recht hätte und wir das Tier nicht quälen dürften und wir endlich reingehen sollten.
Ohne mich anzuschauen, nickte Ruben nur und schwieg. Barri trachtete ihm immer noch nach seinem Leben. Ruben nickte noch einmal, drehte sich zu mir, sagte bestimmt: Du bleibst da stehen! Und verschwand in der Stube.

Als Ruben mit wenigen Schritten im Türeingang verschwunden war, hörte Barri auf zu bellen und mit den Zähnen zu fletschen. Mich hatte Barri anscheinend vergessen, denn er nahm keine Notiz von mir. Er wirkte müde auf mich. Barri hechelte, keuchte, kotzte wie ein Asthmatiker, riss aber nicht mehr an der Kette und ich spürte, dass für Barri die Jagd beendet war. Dieser große Hund war einsam wie der Mond.

Ruben kam wieder heraus. Barri, als hätte man ihm in die Hoden gezwickt, nahm sofort Notiz und stürzte sich in die Kette. Mir aber, drohten die Knie wegzusacken, an Stimme war gar nicht zu denken, denn Ruben hatte das Gewehr von Pauls Vater im Anschlag und warf mir einen Blick zu, der keine Spur ironisch, sarkastisch oder wissend war. Heute glaube ich, dass Ruben immer schon ebenso viel Angst wie ich vor Barri hatte. Das Gewehr seines Vaters hatte Paul uns unter dem Sigel der Verschwiegenheit gezeigt und uns beschworen, niemals, nie nicht sein Geheimnis zu verraten.

Jetzt hielt Ruben den Lauf des Gewehrs nur Zentimeter vor Barris fanatischen Fang während meine Beine wie in Beton gewachsen und meine Stimme verschlossen war. Ich weinte, ich weinte schon, bevor Ruben abdrückte, und Barris Schädel in tausend Teile verspritzte und ich bin mir sicher, dass Ruben auch geweint hat.

Blut und Knorpel klebten in unseren Gesichtern und mit Angst verbissenem Kiefer, sah ich Ruben verheult und blutverschmiert an. Ich las aus Rubens Augen, dass er mich nicht um Vergebung bat, sondern um Zustimmung warb, dass diese Kreatur nicht mehr hatte leiden dürfen, dass er, dass ich, dass wir, das Recht gehabt hätten, Barri zu erlösen.

Pauls Familie war mittlerweile auch heraus gestürzt aus ihrer Gaststube, schlugen das Gewehr aus Rubens Hand, zerrten ihn und dann mich vom Tatort und drohten uns mit übelsten Verwünschungen. Paul sprach nie wieder ein Wort mit mir. Mit Ruben bestimmt auch nicht.

Es hieß, Ruben und ich hätten gemeinschaftlich gehandelt, denn wer einen Hund abknallt oder zulässt, dass ein Hund getötet wird, der kann nicht ganz gesund sein.


Ja, so war das damals, als Ruben Barri erschoss. Bis heute weiß ich nicht, ob Ruben richtig oder falsch gehandelt hat. Natürlich war Ruben zu bestrafen. Es war nicht nur rohe Gewalt, es war Ausdruck eines Charakters, der seine Unsicherheit mit Hybris überspielte. Aber Barri freizulassen war uns unmöglich. Wir waren jung und hörten von Lehrern und Eltern viel von korrektem Benehmen und Anständigkeit und gehalten wurde Barri aber von einem Erwachsenen, der ein Tier und wahrscheinlich jede Kreatur – außer sich selbst- für nichts anderes, als für ein Stück Fleisch hielt. Wobei ich mir nicht sicher bin, dass Alfred so etwas wie Selbstachtung besessen hat.

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Kommentare zu diesem Text


 HEMM (19.06.10)
Wenn du schon meine Namen in Texttitel verwendest, muss ich dir ja einen Antwort geben. Es ist zwar nicht üblich aber danke für die Werbung.
Im Nachfolgenden Kommentar gehe ich, den Regeln entsprechend, auch nur auf deinen Text ein und nicht auf private Angelegenheiten.
Die Geschichte ist weder gruselig, profan oder schmerzend wie unter „Leserwertung“ angegeben. Sie ist und das ist meine ehrliche Meinung, sehr gut erdacht und geschrieben. Zugleich beschreibst du sehr gut die unterschiedlichen Verhaltungsweisen der im Text vorkommenden Personen. Gut vorstellbar beschreibst du auch die für den Einen falschen und für den Anderen richtigen Handlungen.
Nehmen wir also einmal an, jeder lebt für sich, dann denkt er, auf sich selbst bezogen, richtig gehandelt zu haben. Wie du aber selbst schreibst kommen mehrere, mit verschiedenen Ansichten und Verhaltungsweisen, Personen in eine gemeinsame Situation. Jetzt wir die Sache spannend, macht jeder was er will oder findet man einen gemeinsamen, erträglichen Weg den jeder akzeptieren kann. In deiner Geschichte wurde er nicht gefunden, warst du damit zufrieden?
HEMM

 Lala meinte dazu am 20.06.10:
Hallo Hemm,

danke für die Rückmeldung. Du hast auf den Punkt gebracht, was ich mit dieser Geschichte verbinde. Ich widmete sie Dir, weil ich nicht in den entsprechenden Off-Topic Fäden mich über Gebühr produzieren wollte, und nein, zufrieden bin ich nicht.

Danke Dir fürs Lesen.

Gruß
Lala
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