Wortgewandt

Kurzgeschichte

von  ian_grey

Vor einigen Tagen ging ich nachts durch die dunklen Gassen meiner Stadt. Es regnete, wie es immer der Fall ist, wenn jemand in einer Geschichte nachts durch dunkle Gassen geht, und ich trug einen Hut, wie es jeder tut, der in einer Geschichte nachts durch dunkle Gassen geht. Ich tauchte hindurch, unter den vielen Neonreklamen, die im Regenschein flackerten, ich schwamm vorbei an den an den Hauswänden geparkten Fahrrädern, und zog den langen braunen Ledermantel enger. Ich tauchte hindurch, unter den vielen Neonreklamen, hindurch durch die graue Welt, die all das Leid und Elend bei Licht so gut zu verbregen weiß, und tauchte hindurch, durch meine ganz eigene Gedankenmelodie. Ich stapfte, denn anders kam man gegen den regnenden Wind nicht an. Stapfte die Gasse entlang, mit aller Kraft, auf dem Weg nach Hause. Einem nach Hause, von dem der Schatten, der in durchnässten Klamotten an einem schaurig-düsterem Haus lag, sicherlich nur träumen konnte. Mein Weg hätte bald ein Ende, dort vorne an der Kreuzung ist die Bushaltestelle. Der Schatten roch streng, selbst durch den Regen und den Wind konnte ich die Alkoholfahne riechen. "Penner", dachte ich. Und stapfte weiter. Ein Blitz tauchte die Gasse in ein Licht, das schauriger nicht hätte sein können, und schon grollte der Donner seinen Respekt an das gruslige Schattenspiel. Die Kreuzung. Endlich. Der Bus tauchte am Ende der Straße schon auf, erst ein geisterhaftes Leuchten, dann nahm er immer mehr Form an.

Zu Hause, bei einem Tee und eingehüllt in eine warme Decke, schrieb ich nur diesen einen Satz in mein Tagebuch:

Wortgewandt
redete sie
blindlings
auf mich ein.


Anmerkung von ian_grey:

~ 25. Juni 2010 ~

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