Bette Midler - The Rose.

Gedanke zum Thema Abendstimmung

von  Elén

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Einem Tag.

Irgendwas stimmt nicht, denke ich, irgendwas stimmt hier gegen mich. Abgesehen davon, dass der Friseur mein Haar verschnitten und mich dahin empfindlich in meiner Integrität gestört hat, rumort etwas zwischen den Sonnenmomenten, stöbert etwas in meiner Seele. Bette Midler singt The Rose, singt ganz laut und zieht mich zu den Bildern der vergangenen Tage. Alles geht schnell und man ist mit Schweiß und Anstrengung beschäftigt die Schiffchen wieder in den Hafen zu brigen. Die Leute, die Jungs und die Mädchen geben sich die Klinke in die Hand und auf der Straße ist das Bild wie ein Bild, das wohl schon lebt aber irgendwie nicht ganz gelungen ist, irgendwie flasch getrocknet ist und nun den Glanz verloren hat und die Farben sind so komisch unsymetrisch und stören die Ästhetik. -

Wenn ich da in diesen Park komme begrüßen mich für gewöhnlich alle schon aus der Ferne und es wird gelacht und so ein bisschen oberflächliche Konversation betrieben. Über die Stadtwache, die kommen soll und über die Mindestsicherung und dass der oder jener wieder zusammengeschlagen wurde und ausgeraubt. Der Sommer macht betrunken. Der Durst ist groß und die Armut lehrt den, der sie nicht recht erträgt aber mit ihr leben muss, das Zynische. Ich hasse Zynik, ich betreibe selbst diese Zynik und irgendwas stimmt nicht.

Karla ist substituiert, war gerade auf der angeschissenen öffentlichen Toilette im Park, hat die Kanüle auf die ebenfalls angeschissenen Fliesen geworfen und hat was sie braucht. Sie ist dreißig, ihre Kinder sind bei Pflegeeltern und weil alles geregelt ist, kann sie jetzt sich darauf konzentrieren, in ihrem beeinträchtigten Zustand auf der Bank das Gleichgewicht nicht zu verlieren, kann sich auf ihre vorübergehende Bewußtseinserweiterung konzentrieren. Karla hat schwere Augenlider die in dem Moment, da sie von der Bank zu fallen droht, sich ein bisschen anheben und ihr Oberkörper schiebt sich wieder in gerade Posituon. Jos ist auch substituert und macht es ähnlich wie Karla, nur mit dem Unterschied, dass Jos eine Dose Bier in der Hand hält und in der anderen Hand eine Kippe. Immer wenn entweder sich die Dose Bier in der Weise schräg neigt, dass sie ausläuft und in Jos' Schoss oder wenn die Kippe ihm aus der Hand fällt und auf seinen Oberschenkel, reagiert er ein wenig und richtet die Dose wieder auf und tapst mit der Hand nach dem Glimmstengel, während bei ihm die Augenlider untätig bleiben. Hinzu kommt nun noch Jana, die nicht substituiert ist, aber Stoff braucht, jedoch ihr Dealer sie hat sitzen lassen und nun hat sie gehörig Stress. Sie hastet überreizt von Person zu Person und fragt, ob was geht. Bis zu diesem Zeitpunkt hat sie keinen Erfolg, nichts geht, was schlecht ist, was wirklich schlecht ist für das blonde Mädchen, das jung ist und nahtlos von Potter zu Hasch übergegengen ist und zu Shit. Ihre Hände zittern, die Stirn in kaltem Schweiß. Fuck, flucht sie. Verdammte Drecksscheiße und tritt mit dem Fuß gegen den Mülleimer, der nur Klonk macht und sich nicht weiter um Befindlichkeiten schert. Das ist nicht seine Aufgabe. Josef ist heute nicht da. Er liegt im Krankenhaus, nachdem er im Suff nächtens irgendwo liegen blieb auf einer Parkbank oder unter einem Busch und ein Tschetschene hat ihm das Springmesser zwischen die Rippen geschoben und, als wäre das nicht genug, wurde er indes noch derart mit den Füßen getreten, im Gesicht und überall, dass er nach einem Lungen- und Leberriß auf der Intensivstation gelandet ist und dort gemeinsam mit dem Personal der Klinik ums Überleben kämpfen durfte. Die Schneidezähne sind auch weg und sein Gesicht ist ein einziger Haufen Bluterguss. Josef ist ein alter Penner, wie er im Buch beschrieben ist. Er hat einen Bart, gegerbte Haut und an seinen Klamotten krabbeln Kleiderläuse. Josef ist in Ordnung. Er ist ein guter Kerl und sitzt immer am selben Fleck auf einer Bank, bei Regen, bei Sonne, bei Schnee; ist freundlich und lächelt. In Zukunft eben ohne Zähne, aber ich bin gewiss, sobald er wieder am Damm ist, weiß er seinen Ort.

Benjamin und Annika sind noch nicht lange in der Stadt. Die ersten paar mal hab ich sie immer ein bisschen gerüttelt und gefragt, ob denn auch alles ok wäre und ob ich mir auch keine Sorgen machen müsste, dass sie überdosiert hätten. Benjamin hat dann immer gelächelt und durch mich hindurchgeguckt, indes Annika daraufhin stets meinte, iwo, nur n bisschen übermüdet. Und ich hab auch gelächelt und gesagt, dass dann ja gut wäre. Benjamin ist ein hübscher Junge, blond, groß, ein bisschen zu dünn; er lehnt mit dem Rücken an den Schienbeinen von Max und krault Sec, den alten Hund von Maria. Benjamin ist weit weg und die schwarzen Teller in seinen Augen sind gerade feierlich und hell. Sein Tag schillert, währed der Sommer über den Straßen der Stadt niedergeht und die Gegend aufkocht. Annika ist ein wenig anders drauf, aber ähnlich. Sie hat auch das Vorneübergeneigte. Sie sitzt im Schneidersitz am Kopfstein neben Ben, während ihr Oberkörper der Schwerkraft nicht mehr trotzen mag, wandert ihre gesamte Statur nach vorne, ganz langsam, in Zeitlupe, bis sie mit der Stirn am Steinboden ankommt und so bleibt sie, bis ihr das unangenehm wird und dann richtet sie sich wieder ein wenig auf, bis der Rumpf erneut zu Boden geht und so weiter. Manchmal legt sie den Kopf auch auf Sec und Sec macht das nichts aus und Maria macht es auch nichs. Annika ist ein wunderbares Kind. Sie ist siebzehn, hat große Augen, lange schwrze Dreads, eine Lieblingsjeans, einen toten Bruder, der am Gift krepiert ist, kann Mundharmonika spielen, dass die Zeit und die halbe Stadt anhält, um zu horchen, hat zerstochene Armbeugen, hat ein Lippenpearcing, hat so einen Haufen Licht um den Körper, dass man ganz leise wird, ein bisschen wie Rosen im Abendlied eines Sommers und heute schaut sie auf, ganz heiter und lächelt und will wissen, weshalb ich denn bei der Hitze eine Mütze tragen würde.


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Kommentare zu diesem Text

LudwigJanssen (54)
(02.07.10)
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 Elén meinte dazu am 03.07.10:
Ich freu mich über Deinen Besuch. lg

:)

 Lala (07.07.10)
Hallo Elén,

wollte mehr schreiben, aber beim Lesen dieses Textes fühle ich immer wie Nordkorea beim Fußball: Hoffnungslos unterlegen. Das ist deprimierend.

Gruß

Lala
argot (30) antwortete darauf am 16.07.10:
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 beneelim (09.07.10)
Es geht kaum leiser. Fast hätte ich das alles vergessen. Danke, lg p
eilika (33)
(11.07.10)
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argot (30)
(16.07.10)
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Müller (45)
(16.07.10)
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octave (24)
(17.07.10)
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 Vaga (15.08.10)
Ich wette, du hast meinen PK vom 4.7.10 übersehen . Bei den vielen Kommentaren ist das verständlich, denn die PKs hängen immer so unglücklich unten drunter . Lb. herzl. Gruß - Vaga.

 Elén schrieb daraufhin am 22.08.10:
oha. ich bin in letzter zeit immer so flüchtig. entschuldigung und, - ich freu mich immser über nen besuch von dir! lieben Dank Dir, A.

 Ingmar (04.09.10)
fragiler gehts fast nicht. du beschreibst hier etwas, wie man glas beschreiben müsste. vorsichtig, behutsam, damit es nicht kaputt geht. deutlich und klar, damit es durchsichtig bleibt. und dabei schneiden deine sätze wie glassplitter.

ingmar

 Janoschkus äußerte darauf am 04.09.10:
herrlicher kommentar!
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