Ich werde bewohnt!

Groteske zum Thema Innenwelt

von  Feuervogel

Ich habe eine Schnecke.
Also, eigentlich hat die Schnecke ja mich.
Das verhält sich folgendermaßen, die Schnecke bewohnt mich, also ich bin ihr Haus.
Nun, das ist seltsam, ich gebe es zu und so etwas passiert einem ja nicht alle Tage. Aber ich gehöre eben zu jenen Menschen, die von einer Schnecke bewohnt werden. Ich weiß,  davon gibt es nicht sehr viele. Ich selber habe noch keinen getroffen, aber meine Schnecke hat mir berichtet, dass ich nicht die Einzige sei.
Also, meine Schnecke bewohnt mich, ich bin ihr Haus. Sie trägt mich die ganze Zeit auf ihrem Rücken. Am Anfang konnte ich dieser Position nicht viel abgewinnen. Inzwischen genieße ich es mehr denn je. Ich habe in meinem Leben ja wahrlich schon manche Last getragen und lerne es täglich mehr zu schätzen, getragen zu werden.
Das mit dem Bewohnen allerdings ist so eine Sache. Ich gebe zu, es fällt mir noch immer nicht leicht zu akzeptieren, dass dieses Tier in meinen Eingeweiden ein Zuhause gefunden hat. Am Anfang tat es richtig weh. Sie fand einfach nicht den richtigen Eingang. Das Ohrloch war zu klein, die Nase zu kurz und als sie es durch den Mund probierte, habe ich, was jeder vestehen kann, heftig zu würgen begonnen und sie schließlich immer wieder ausgespuckt. So einigten wir uns schließlich auf den unteren Ausgang, ich meine Eingang. Durch die Vagina, also na ja, das war schon eher angenehm, aber da stieß sie doch bald an ihre Grenzen. Die Gebärmutter benutzt sie heute deshalb  eher als Separee. Also, was sollte ich machen, sie ging schließlich durch den Darm und ließ sich häuslich nieder. Natürlich hatte ich am Anfang häufigen Stuhldrang, aber das bekam ich durch gezieltes Training gut in den Griff.
Der Umzug gestaltete sich etwas schwierig. Es ist kaum zu glauben, was so eine Schnecke alles mit sich herum trägt. Ich dachte, dass ertrag ich nicht, aber dann ist doch alles gut gegangen. Sofa, Kühlschrank, Bücherregale, selbst ein neuer HD Fernseher und auch der Computer fanden ihren Platz. Heute leide ich zwar manchmal an Sodbrennen und Völlegefühl, aber ich will dies nicht überbewerten, habe ich doch sonst ein wirklich schönes Leben seit dato.
Natürlich konnte ich nicht mehr in meiner gewohnten Umgebung bleiben, da die Nachbarn und auch die gesamte Gemeinde sich total über meine neue Lebensweise muckierten. Für sie war es einfach undenkbar, dass ich mich als Mutter und Ehefrau den ganzen Tag von einer Schnecke auf dem Rücken spazieren tragen ließ. Ich gebe zu, dass war und ist ja auch ein seltsamer Anblick. Aber ich bin wie ich  bin, jetzt lebe ich nun einmal mit einer Schnecke, und mit Verlaub, nur Zuckerschlecken ist das auch nicht. Beim Liegen erschlaffen die Muskeln und der ganze Kram den ich da in mir sicher Verstauen musste, ist nicht zu verachten. Natürlich habe ich auch zugenommen, jedoch die Schnecke trägt an mir mit stoischer Geduld. Nie höre ich ein Wort der Klage.
Letztlich habe ich Mann und Kind verlassen. Ich wollte ihnen meine seltsame Lebensweise nicht weiter zumuten. Da ich ja berentet bin, fehle ich ja auch dem Arbeitsmarkt nicht. Eigentlich vermisst mich niemand.
Jetzt lebe ich am Waldrand, mit Blick auf die Stadt. Es geht nur langsam vorwärts, aber ich vermisse nichts.
Manchmal bekomme ich Besuch von meiner Familie und von Freunden. Meist herrscht dann betretenes Schweigen. Sie wissen nicht, was sie sagen sollen.
Jedoch ich merke, alle denken, ich sollte mich von dieser Schnecke trennen. Meine Lebensweise macht sie traurig.
Seit einiger Zeit träume ich davon, mich einer Metamorphose zu unterziehen. Ich will selber zur  Schnecke werden und mir dann einen Menschen suchen, bei dem ich Einziehen kann. Natürlich auch von hinten!

Ela

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Kommentare zu diesem Text


 Ingmar (23.07.10)
toller text! den schluss würd ich ändern. "Seit einiger Zeit trage ich mich mit dem Gedanken herum, mich einer Metamorphose zu unterziehen." das klingt so, als wär das kein problem, aber darin seh ich das problem, dass es den ganzen text unrealistisch macht. natürlich ist es ein unrealistischer text, aber dann eben auch doch wieder nicht, zumindest gibt es das nicht zu, und eben das ist seine stärke, da fährt er im windschatten eines kafka. daher würde ich den schluss dahingehend ändern, dass es da vielleicht heissen könnte: "Seit einiger Zeit träume ich davon, mich einer Metamorphose zu unterziehen." das wäre dann weniger eindeutig. es ist ein traum, ein wunsch, ob möglich oder nicht, sei dahingestellt. das wichtige ist ja: "Ich will selber zur Schnecke werden und mir dann einen Menschen suchen, bei dem ich Einziehen kann." ob es das freche "Natürlich auch von hinten!" braucht, weiss ich nicht. ich denke nein. weil das ohnehin klar ist, dass der zugang von hinten erfolgt, vor allem aber, weil es dem text widerspricht, denn es geht ja nicht um den zugang, sondern ums wohnen, nicht um die tür, sondern ums haus. ich denke, der letzte satz sollte daher weg. es ist ein satz, den die autorin dem leser gerne sagen möchte, aber dem text (und der hat priorität vor der autorin, ha!) tut der satz nicht eben gut.

grüsse,
ingmar

 Feuervogel meinte dazu am 23.07.10:
Hey Ingmar,

danke für deine konstruktive Kritik.
Dein Vorschlag weniger eindeutig zu sein, greife ich gerne auf und habe den Satz geändert.
Den Schluss jedoch behalte ich bei.
Ich freue mich über deine Auseinandersetzung mit meinem Text.

Herzliche Grüße Ela

 Ingmar antwortete darauf am 23.07.10:
ich würde mich freuen über deine auseinandersetzung mit einem text von mir: traumfrau. bräuchte da dringend ne meinung dazu, damit ich weiss, wo der text steht... aber bitte, nur bei lust und laune!
jedenfalls: gern geschehen, und gern wieder mal.

ingmar
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