Ich hab so über Dinge nachgedacht.

Text zum Thema Alleinsein

von  Erdbeerkeks

Gebäude ragen wie schiefe Zähne aus dem Boden. Sie bohren sich brutal in das gewaltige Firmament und verfärben das Blau zu einem triefenden Rot und einem zerlaufenem Orange. Es tropft ihnen von den Glaskuppeln.
Wenn man so bedenkt, was hier mal früher war, sieht es friedlich aus. Alles ist zerstört; die Häuser zerfallen langsam und bekommen Risse wie alte Haut. Trockenes Laub wird rasselnd vom Wind durch die echoenden Gassen gescheucht und Tiere nehmen die Wohnungen auseinander. Umgestürzte Bäume versperren die Straßen, die einst so belebt von bunten Autoschlangen waren, die sich wie Perlenketten über den Asphalt zogen.
Von hier oben sehe ich nur die bröckelnden Fassaden und löchrigen Dächer, die sich mir entgegenstrecken und mir ihr grau aufs Gesicht pinseln.
Die Stadt ist menschenleer.
Ich weiß schon gar nicht mehr, wann das passierte. Wann die Menschen aus den Städten strömten, Gott weiß wohin. Falls es Gott gibt, hat er gerade einen Heidenspaß. Der Erdboden verschlingt 19 Millionen Menschen und lässt einen einzigen zurück. Survival-Show vom Feinsten.
Ich hab es alles andere als schwer, das weiß ich. Es ist so ruhig hier, seit sie weg sind.
Da links unten, von mir aus gesehen, hat mal ein altes Ehepaar gelebt. Er hatte eine Schwäche für seine Frau und doch eine noch größere für den Alkohol. Ihre schmerzerfüllten Schreie drangen tagtäglich zu mir hinauf. Manchmal war es am Nachmittag, manchmal sogar schon am Morgen. Sie verstummten, als er irgendwann auf die Idee kam, sein Fenster zu schließen.
Daneben in dem Wolkenkratzer mit den riesigen Glasscheiben wohnte ein Mann in seinen Dreißigern. Er war so steinreich, sein Apartment war vollgestopft mit teuren Skulpturen und alten Gemälden. In seinem Wohnzimmer stand ein Schlangenledersofa und seine gesamte Einrichtung stammte von einem gefragten Designer aus New York. Er war reich, doch allein. Irgendwann war es selbst mir nicht mehr möglich, die zahlreichen Prostituierten zu ignorieren, die dort ein und aus gingen. Manchmal allein und manchmal zu zweit. Und doch entging mir nicht, dass er weinte, wenn sie verschwunden waren, weil er sich allein fühlte.
Eine der Prostituierten war Molly. Im Gegensatz zu den anderen hatte sie kein Haus, kein Apartment, keine Wohnung. Sie lebte auf der Straße, schnorrte sich hier und da eine Zigarette und leistete einsamen Männern in einsamen Nächten Gesellschaft. So schlief sie immer in einem warmen Bett, neben einem reichen Mann in einer noch reicheren Umgebung. Sie lag manchmal einfach wach, weil sie träumte, sie würde für ewig bleiben. So hatte sie sich das alles nicht vorgestellt und eigentlich wollte sie weg. Sie war siebzehn und nach Hause konnte sie nicht. Sie war zu stolz, hatte sich mit ihren Eltern zerstritten. Lebte von käuflicher Liebe und Koks.
Jeder dieser Menschen war zerstört, gebrochen, geschändet. Die Stadt ist voll von ihnen gewesen. Sie tummelten sich in Einkaufszentren, U-Bahnen und Büros, die mittlerweile der Zahn der Zeit zerfressen hat.
Ich lehne mich zurück und frage mich, ob es das gewesen ist. Ob sie irgendwann wiederkommen und ob sie dann irgendetwas besser machen würden. Doch ich weiß, sie würden nicht einmal verstehen; geschweige denn ändern.
Nichts mehr von dem, nichts mehr erreicht mich. Sie haben sich zerstört, aber nicht mich.
Ich sehe mir den Sonnenuntergang an und lächle in die Stille.
Die Ruhe ist erleichternd.

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Kommentare zu diesem Text


 SunnySchwanbeck (28.07.10)
der anfang ist richtig richtig gut. packt, reißt mit. man sieht sie quasi auf einem wolkenkratzer sitzen, diese ganz kaputte welt still in sich aufnehmend.

am ende, als du von molly erzählst und den anderen, ich finde da schwächelt es ein bisschen.
irgendwie war die protagonistin sonst so fern von allem, und aufeinmal weiß sie über all die leute bescheid.

der letzte satz ist unnötig, finde ich. den brauchst du nicht, man fühlt auch so die leere die bleibt und sich zwischen die wimpern setzt.

du hast es drauf.

kuss mit sonne,
sunny.
RememberMe (20)
(26.08.10)
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Jack (33)
(04.07.13)
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 Erdbeerkeks meinte dazu am 04.07.13:
Danke.
Ich schätze schon.

 Dieter_Rotmund (29.06.18)
Der Eröffungsabsatz gefällt mir überhaupt nicht (zu viele blumige Adjektive im Metaphernsalat), dafür wirds danach ganz stark, fältt danach jedoch zu einem Rührstück zusammen. Ich bin also hin- und hergerissen.
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