Testosteron

Roman zum Thema Ausweglosigkeit/ Dilemma

von  Mutter

„Wieso französischen? Wovon redest du?“  Mir ist klar, dass Frank die Antworten auf diese Fragen vermutlich ebenfalls nicht kennt. Vielleicht stelle ich sie nur, um Zeit z gewinnen. Ich deute auf einen Block und einen Kugelschreiber, den Manu mir reicht.
Ich schreibe Schellstädters Namen und den Bezirk auf, den Frank mir genannt hat. „Hast du eine Adresse?“
Konzentriert schreibe ich mit, was er mir ansagt.
„Das ist alles – mehr habe ich nicht. Zu dem Mann gibt es keine weiteren Akten.“
„In Ordnung – trotzdem danke. Das ist mehr, als wir hatten.“
„Keine Ursache. Wir bleiben in Verbindung, in Ordnung?“
„Klar.“ Ich bedanke mich noch einmal und wir beenden das Gespräch. Kaum lege ich das Handy auf den Tisch, sagt Manu: „Die Fremdenlegion.“
„Was?“
„Bürgern die nicht Leute ein, die lange genug dabei waren? Die können doch alle irgendwann Franzosen werden. Jede Wette, der Schellstädter war in der Fremdenlegion.“ Sie tippt auf meine Notizen.
„Klingt logisch. Aber was hat der mit Tiger zu tun?“
Sie lächelt, zuckt mit den Achseln. „Lass uns hinfahren. Ihn fragen.“
„Nach Hamburg?“
„Klar, warum nicht. Ist doch kein großes Ding. Jede Wette, so erfahren wir mehr, als wenn wir einfach nur anrufen. Nachher wimmelt er uns ab, weil er Lunte riecht oder generell Paranoia schiebt und wir haben nichts. Fahren hin, schauen ihn uns an und entscheiden dann, wie wir alles aus ihm herauspressen.“
Sie sieht so ernst bei ihren Ausführungen aus, dass ich unwillkürlich lachen muss. Anstatt verlegen zu sein oder sich aufzuregen lacht sie mit. „Okay, vielleicht nicht ganz so … crime-mäßig. Aber ungefähr.“
Ich nicke, um anzuzeigen, dass ich weiß, was sie meint. Ungefähr. Mit gerunzelter Stirn schiebe ich mir den Zettel zurecht. „Was denn?“, fragt sie.
„Frank meinte, der Typ sei aus Steilshoop. Das sagt mir irgendwas.“ Mit einem entwaffnenden Grinsen füge ich hinzu: „Aber ich habe keine Ahnung, was.“
„Was machst du?“, will sie wissen, als ich eine Nummer aus dem Handy raussuche. „Dirty anrufen“, antworte ich und bemerke, wie sich ihre Miene verdüstert, während das Freizeichen ertönt. „Was?“, frage ich, aber sie schüttelt mit dem Kopf. Sieht zur Seite.
„Alter, alles klar?“, meldet sich Dirty.
„Geht so. Ist einiges passiert. Sag mal – was machst du gerade?“
„Ich komm gerade aus der Dusche, stehe nackt im Wohnzimmer und kratze mich am sack. Wieso fragst du?“ Er lacht dreckig.
„Was hältst du davon, nachher mit Manu und mir nach Hamburg zu fahren?“
„Was, heute Abend?“ Ich kann schon an seiner Stimmlage hören, dass ihm das überhaupt nicht passt. „Ja. Wir haben eine Adresse von einem Typen, der sich nach Tiger erkundigt hat. Der möglicherweise in der Legion gedient hat.“
„Okay, krass. Luca, es tut mir wirklich leid, aber …“
„Was ist?“ Meine Stimme klingt schärfer als ich es will. Der Gedanke, dass Dirty mir keine Rückendeckung mehr geben könnte, mich nicht mehr unterstützt, lässt mich mürrisch und besorgt zugleich werden. Dabei weiß ich, dass er bereits mehr als genug getan hat. Ich keinerlei Recht habe, überhaupt noch etwas von ihm einzufordern.
„Henner hat mich heute Morgen angerufen. Es sieht so aus, als könne ich in drei Wochen ins Profilager wechseln. Er hat einen Fight für mich in Aussicht.“
„Das ist ja großartig.“ Meine Worte klingen so unehrlich, dass ich mir selbst widerlich vorkomme. Dabei freue ich mich wirklich für ihn. Maßlos – bei einer anderen Gelegenheit.
„Er hat für heute Abend einen Trainingskampf arrangiert, bei dem auch ein Promoter anwesend sein wird. Die nächsten paar Tage werden echt hektisch, fürchte ich. Und ich glaube nicht, dass ich mich da ausklinken sagen kann: Macht mal ohne mich!“ Er lacht gekünstelt.
„Hey Dirty, das verstehe ich. Ist doch klar. Manu und ich kriegen das schon hin. Wir erzählen dir hinterher, wie’s war. Möglicherweise ist es ohnehin nur eine falsche Spur.“
„Mann Luca, das fühlt sich echt Scheiße an. Du glaubst gar nicht …“
„Dirty! Hey, Dirty, hör mir zu. Ich schulde dir schon so viel – wahrscheinlich ist es der Kosmos, der verhindern will, dass ich mich noch weiter in den karmischen Dispo reinreite. Alles locker.“ Inzwischen glaube ich mir selbst fast, was ich erzähle. Und Dirty scheint es mir langsam ebenfalls abzunehmen. „Okay. Nehmt wenigstens meinen Wagen. Dann müsst ihr nicht mit dem Moped fahren.“
„Danke, das ist cool.“
„Ich bringe euch die Karre in anderthalb, zwei Stunden vorbei – ist das in Ordnung?“
„Ja, sind wir da.“
„Gut – bis dann.“ Wir verabschieden uns. Nachdem das Gespräch beendet ist, gehe ich Manu suchen. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und skribbelt. „Alles in Ordnung?“, will ich wissen.
„Sicher“, kommt es kurz angebunden zurück.
„Komm schon – weil ich Dirty angerufen habe?“ Ich verstehe nicht, worum es ihr geht.
Sie seufzt, schiebt das Blatt Papier ein Stück von sich weg. „Das ist blöd von mir. Es tut mir leid.“
„Aber es geht tatsächlich um Dirty?“
Sie schaut mich direkt an, nickt. „Ja, es geht um ihn.“
Ich bin verwirrt. „Aber warum?“
Jetzt wirft sie auch den Fineliner hin, ohne die Kappe zu schließen. „Weil das bisher irgendwie euer Ding war. Ihr seid zusammen nach Frankreich gefahren, habt da rumgestöbert. Dirty und du, du und Dirty  – das war bisher der Soundtrack der ganzen Sache. Und die letzte Zeit, die vergangenen zwei Tage … irgendwie dachte ich, das ist jetzt anders. Ich habe mich dir soviel näher gefühlt.“ Sie schafft es, ihren Blick noch zu intensivieren – er geht mir so unter die Haut, dass ich es nicht aushalte. Wegschauen muss.
Meine verlegene Reaktion ignorierend, fährt sie fort: „Ich hatte dir gesagt, dass ich mich genau wie du fühle. Dass ich was tun muss, um die Sache mit Luisa zu verarbeiten. Und ich hatte das Gefühl: Das tun wir. Wir verarbeiten das zusammen, indem wir daran arbeiten. Und jetzt – na, und jetzt sieht es so aus, als würde sich wieder verändern. Vielleicht wollt ihr mich gar nicht mitnehmen, wenn ihr nach Hamburg fahrt.“
Ich sehe die Sorge, und vor allem die Bitte in ihren Augen und muss lächeln. „Auf jeden Fall hätte ich dich mitnehmen wollen. Ich hätte viel zu viel Angst, dass zwei testosteron-geschwängerte Kerle das Ding an die Wand fahren. Du bist zu clever, um dich hierzulassen. Aber du machst dir unnötig Sorgen: Dirty steckt mitten in den Vorbereitungen für einen möglichen Profikampf. Der hat keine Zeit, um mit mir an die Alster zu fahren und Gespenster zu jagen.“
„Noch mehr Testosteron“, lächelt sie.
Ich nicke. „Jede Menge davon für Dirty. Aber du hast Recht. Eigentlich gehören wir zwei in diese Sache. Aber Dirty ist meine Krücke.“
Sie runzelt die Stirn, weil sie nicht versteht, was ich meine. Ich erkläre es ihr. „Diese ganze Sache ist so Gott verdammt verwirrend. Und beängstigend. Und manchmal weiß ich einfach überhaupt nicht mehr, was ich tun soll. Fühle mich vollkommen verloren, so ohne Luisa. Und Dirty – Dirty kommt und tut einfach Dinge. Manchmal, weil er es nicht besser weiß, manchmal weil er ungeduldig ist. Und manchmal macht er auch einfach Sachen richtig. Und es ist gut, zu wissen, dass er für mich da ist. Sich um mich kümmert. Verstehst du das?“
Sie nickt. Langsam schiebt sie ihren Stuhl zurück, steht auf. Tritt auf mich zu und berührt mich mit beiden Händen am Oberarm. „Ja, das verstehe ich. Vollkommen. Genauso geht es mir auch immer wieder. Aber weißt du, was ich gerne versuchen würde?“
Mein Hals fühlt sich leicht trocken an. Ich nicke, obwohl ich keine Ahnung habe, was sie gerne versuchen würde.
„Ich würde gerne ausprobieren, ob ich dein Dirty sein kann. Und ob du das Gleiche für mich machen kannst. Wollen wir das versuchen?“
Ich kann nur stumm nicken – ich traue meiner Stimme in dem Moment nicht mehr als damals im Stimmbruch.

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Kommentare zu diesem Text

FliegendesOink (27)
(08.08.10)
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 Mutter meinte dazu am 08.08.10:
Hehe, danke schön ...

Da ich bis auf das letzte Kapitel alles fertig habe, ist das wohl kein Problem. ;)
Drei Wochen sollten also 15 Kapitel ergeben ... :D
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