Herrengedeck

Roman zum Thema Andere Kulturen

von  Mutter

„Was willst du von denen?“, fragt Manu. Plötzlich scheint sie hellwach.
„Weiß ich noch nicht. Denen ein paar Fragen über Schellstädter stellen. Vielleicht können die was erzählen, das er uns nicht verraten will.“
„Und ich? Ich fahre ihm einfach hinterher? Bringe ihn nach Hause?“ Ich bin froh, dass sie bei diesen Worten lächelt. Hatte schon Sorge, sie lässt sich nicht darauf ein. Aber der Gedanke, Schellstädter auf eigene Faust zu verfolgen, scheint sie nicht abzuschrecken.
Ich nicke. „Um die Uhrzeit geht der bestimmt nur noch nach Hause. Ich komme so schnell wie möglich nach.“
„In Ordnung. Ich sehe dich später.“ Sie steigt aus, ich ebenfalls. Als wir beide ums Auto rumgehen und uns an der Motorhaube begegnen, halten wir kurz inne und nehmen uns in den Arm. Wir müssen beide grinsen – offensichtlich ist ihr ebenfalls aufgefallen, dass wir das heute schon sehr oft getan haben.
„Pass auf dich auf“, sage ich leise und im Weggehen. Das kann sie unmöglich gehört haben, aber es ist mir umso wichtiger, es zu sagen. Ich bin mir längst nicht so sicher wie sie, dass ihr keine Gefahr droht. Vor allem nicht, solange wir keine Ahnung haben, wen wir wirklich jagen. Tiger? Schellstädter? Jemand ganz anderen? Ich verspüre das dringende Bedürfnis, mit Wehmeier zu telefonieren. Von ihm zu erfahren, dass Horst Mann Wedel der Täter ist, er und niemand sonst, und die ganze Geschichte in trockenen Tüchern ist. Vorbei.
Mit einem Seufzer verdränge ich diese Gedanken – weiß, dass ich mir selbst etwas vormache. So einfach ist diese ganze vertrackte Sache ganz sicher nicht.
Ich stoße die Kneipentür auf und trete in den Geruch einer Mischung aus schalem Bier, kaltem Rauch und  saurem Männerschweiß. Arbeiterkneipe – in Berlin gäbe es hier vermutlich Molle mit Korn. Bier und Schnaps.
Drinnen finden sich noch zwei vereinzelte Gestalten an einem der Tische – er in einem zerschlissenen Sakko und fleckigem Gesicht, sie in einem verblassten Blümchenkleid und verbrauchten Zügen. Sie schweigen sich an, haben sich außer dem Rauch ihrer filterlosen Zigaretten nichts zu sagen. Denken vermutlich beide darüber nach, wie sie verhindern können, mit dem jeweils anderen nach Hause gehen zu müssen. Ohne Erfolg.
An der Theke hängen drei Männer, alle älter als vierzig, mit runden Rücken und hängenden Schultern. Ich bin mir sicher, dass sie von vorne ähnlich hoffnungslos aussehen – die ganze Kneipe atmet konsequente Hoffnungslosigkeit, ein und aus.
Der Kerl, der hinter der Bar arbeitet und gerade ein Pils zapft, ist der Jüngste im Raum. Ich würde ihn auf Ende Dreißig schätzen, vielleicht Anfang vierzig. Sein Gesicht ziert ein Hängeschnurrbart, der, wenn er gepflegter und besser ausrasiert wäre, einen Cowboy-Chic ausstrahlen würde. So sieht er einfach nur aus, als würde er seine Freundin schlagen.
Statt einer Begrüßung macht er nur eine Bewegung mit dem Kinn in meine Richtung. Ich lehne mich auf die schmutzige Theke und sehe nach links runter, was die Jungs trinken. Tatsächlich stehen dort neben den Pils-Gläsern einzelne Schnapsgläser.
„Herrengedeck?“, frage ich. Der Mann hinter der Bar lächelt, nickt. Noch ein Nicken von mir signalisiert: Nehme ich.
Wenig später setzt er einen halben Liter Pils, ich habe keinen Ahnung, was für eins, und einen Stampfer Schnaps vor mich hin.
„Zum Wohl“, sage ich und stürze den Korn.
„Prost“, kommt es mit einer gewissen Schnoddrigkeit zu meiner Linken zurück. Ich hebe das Pils und erwidere den Gruß.
„Nix für ungut, mein Junge – aber darf man fragen, was dich hier reinschneit?“
Ich mustere den Barmann, der sich vor mir auf den Tresen stützt und mich damit zwingt, leicht zurückzuweichen, wenn ich nicht seinen Schnurrbart im Gesicht haben will.
„Der alte Knabe – der gerade raus ist. Ich glaube, den habe ich schon mal gesehen. Kann das sein?“
„Ja? Möglich. Warum nicht?“ Er wuchtet sich hoch, wendet sich den Zapfhähnen zu.
„Der Hamburger Dom? War der mal Preisboxer?“. Der Rummel ist das Erstbeste, was mir einfällt - vielleicht, weil ich an seine Arme denken musste.
Der Barkeeper schnaubt, lacht heiser. „Schellie? Nein, eher nicht.“
„Okay, was dann – wo bin ich ihm begegnet?“
„Hase, ich habe keine Ahnung, was weiß ich. Bei der Truppe wirste ihn wohl kaum kennengelernt haben.“
Ein oder zwei seiner Jünger an der Theke lachen. Innerlich balle ich triumphierend die Fäuste – auf sowas habe ich gewartet. „Die Truppe? Beim Bund, oder was?“
„Oh Mann, wenn wir sowas wie ihn beim Bund hätten …“
„Was dann? Die Fremdenlegion?“ Ich weiß, dass Hamburg so etwas wie die Bastion der Legionäre in Deutschland ist – ihr Tor in die Welt. Und hoffe, dass mein angeblich zufälliges Stochern nicht zu zielgerichtet wirkt.
Mein Gegenüber mustert mich misstrauisch und verschränkt die Arme. „Was interessiert dich eigentlich Schellie?“
„Es ist die Legion, habe ich Recht?“
„Hör zu, ich habe keine Ahnung, warum du hinter ihm herschnüffelst, aber es schmeckt mir nicht.“
Ich lege den Kopf schief, presse die Lippen aufeinander, als hätte er mich ertappt. Bedeute ihm mit zwei Fingern, näher zu kommen. Er zögert, sieht kurz zur Seite und überwindet sich schließlich. Stößt sich mit dem Hintern ab und kommt rüber. „Was?“, grummelt er.
Auch ich sehe mich kurz sichernd um. „Er ist mir empfohlen worden.“
Seine rechte Augenbraue wandert höher. „Für die Legion?“
Ich nicke. „Ist schwer, an die ranzukommen.“ Meine Stimme sinkt immer tiefer, bis er mich kaum noch verstehen kann. „Der Laden hier und Schellstädter sind mir genannt worden.“
„Schellie? Wieso denn das? Was hat der mit der Rekrutierung zu tun?“ Sein Misstrauen ist sofort wieder da. Lederleim.
„Es geht nicht um die Rekrutierung. Es geht um … die Legion an sich.“ Ich schiebe mich noch weiter mit dem Oberkörper auf ihn zu, um eindringlicher zu wirken. „Ist die Truppe das richtige für mich? Halte ich das aus? Oder muss ich irgendwann das Ticket zurück nach Deutschland nehmen?“ Ich gebe mir alle Mühe, so viel Unsicherheit und Demut, wie ich kann, in meine Worte zu legen.
Der Kerl betrachtet mich aufmerksam. Nicht mehr mit unverhohlener Ablehnung, dafür findet sich eine Spur Verachtung in seinem Blick. Ich zucke mit den Schultern. „Hey, das ist keine Entscheidung, die man einfach so trifft, oder?“
„Nein, vermutlich nicht.“ Er kratzt sich den Kopf und macht einen Schritt auf mich zu, um mein halbvolles Glas zu nehmen und wieder aufzufüllen. „Und ganz ehrlich – bei manchen von den Geschichten, die Schellie hier abends so erzählt hat, hätte ich auch so meine Zweifel.“ Inzwischen redet er etwas lauter – befindet offenbar, dass unser Zweigespräch beendet und für die Allgemeinheit geöffnet ist.
„Ich weiß noch, wie er von der Chose in Guayana erzählt hat. Die sind nich viel mehr als wilde Hunde, wenn man mich fragt.“ Der Mann zu meiner Linken trinkt ausgiebig, als könne er seine Worte damit unterstreichen.
„Dich fragt aber zum Glück keiner, Olli.“ Der Barmann kommt zu mir zurück, als bereue er bereits, die anderen mit einbezogen zu haben. „Im Ernst – halte dich an Schellie. Er ist zwar schon ein paar Jahre raus aus dem Zirkus, aber er kennt sich aus wie kein Zweiter. Fast zwanzig Jahre für die Legion, und was er vorher alles gemacht hat, will ich glaube ich gar nicht wissen. Ein knallharter Hund. Die Fremdenlegion war wie gemacht für den. Rede mit ihm, hör dir an, was er zu sagen und sei vor allem aufmerksam. Jemand wie ihn triffst du so schnell nicht wieder.“ Dann hebt er den Zeigefinger. „Aber pass auf. Schellie hat keine Geduld mit Leuten, die langsam im Kopf sind. Hat eine kurze Lunte, unser Schellie. Komm ihm nicht quer, sonst schießt er dich einfach aus dem Wasser.“
Ich nicke. Nehme mir noch einen langen Schluck von meinem Bier und fische einen Fünfer aus der Tasche. „Danke. Mache ich.“

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