Die Vergangenheit hat mich wieder

Text zum Thema Selbsthass/verletzung/mord

von  ZornDerFinsternis

Eine kleine Runde um den Grillrost, der das Zeltdach und die Umgebung mit einem winzigen Teelicht und einer alten Kerze erhellt. Vom Ende des Geländes schallt betrunkenes Gelächter und die Gitarrenriffs irgendeiner Band.
Bierflaschen liegen quer verstreut. Kippen stapeln sich neben mir zu Hauf. Die Batterien im CD-Player neigen sich dem Ende. Das Lied setzt regelmäßig aus.
Die Melodie ist einfach nur Herzschmerz und zerreißt mich. Die Mauer, die ich vor vielen Jahren schuf, um mich vor Gefühlen und Leid zu schützen ist längst eingerissen und ich bin wieder Opfer.
Opfer meiner Vergangenheit und den fahlen, glanzlosen, schmerzenden Bildern.
Stecke mir die nächste Kippe an. Starre irgendwo in den angrenzenden Wald. Weiche den Blicken der Leute um mich aus.
Jedem. Ausnahmslos, jedem Blick weiche ich aus. Ich kann es nicht mehr ertragen, die Augen eines anderen Menschen mit den meinen zu treffen. Sofort drängen sich die alten Fragmente in meinen Geist. Und es zerreißt mich.
Zerfrisst mich. Tötet mich. Und doch bemerkt niemand die ganzen Schreie, die mich nicht verlassen.
Ich ziehe an meiner Zigarette. Heute waren es schon zwei Schachteln, und die dritte, ist auch schon halb leer.
In mir kommt kein Gefühl mehr an. Es gibt kein STOP und kein Überlegen mehr. Es zählte einstmals, einzig, irgendwie zu überleben. Aber selbst das schaffe ich nicht mehr. Bin ganz langsam für mich, für dich, für euch, gestorben.
Wandle als lebloser Körper über diese Feldwege, die mich in so schöne Waldlandschaften entführen. Stehe immer und immer wieder, in den Nächten, in dunklen Tannenwäldern. Spüre die Schönheit dieser Welt nicht mehr. Das Leben war niemals schön. Und ja, ich vermisse dein Lachen. Schon seit endlosen Jahren. Es gibt niemanden. Keinen Menschen, der es schafft, diesen Krater auszufüllen. Ganz gleich, wie viel Liebe er mir schenken würde. Wie tief er mich ins Koma prügeln, oder wie viele Knochen er mir auch brechen würde. Dieser verdammte Schmerz, über dein Ableben, er wird mich und meine Seele nicht mehr verlassen. So viele Stunden haben es mir wieder, und immer wieder bewiesen. Dass Leben ohne dich keine Bedeutung mehr hat. Dass nie mehr der Sommer in meine Welt einziehen wird.
Es gibt keine Rettung, für einen Menschen wie mich.
Mitternacht ist nicht mehr weit. Meine Lieblingsband wird spielen. Fünf, sechs, vielleicht auch bloß vier Lieder.
Egal.
Jemand hat den CD-Player mit neuen Batterien bestückt. Johny Cash zertrümmert den letzten Fetzen Glückseligkeit in meinem Innern.
Starre in die Glut meiner Zigarette. Habe das Gefühl, sie würde meinen Geist komplett in sich aufgesaugt haben. Frage mich, was aus mir geworden ist. Denke an so viele Menschen, denen ich selbst nach meinem Ableben nicht wiederbegnen werde.
Es zerreißt mich. Und das Verlangen nach körperlichem Schmerz brodelt auf. Vier Monate habe ich die "schlechte" Seite von mir begraben. Keine Klinge durch meinen Körper gezogen. Keine Nägel in mein Herz geschlagen. Keine Narben in mein Fleisch gemalt, um den Schmerz auszuhalten. Nicht daran gedacht, mich komplett abzuschießen, mit 'ner Überdosis Alk und Pillen im Krankenhaus zu liegen und bitte, nie mehr aufzuwachen.
Meine Augen stehen offen. Und doch, habe ich sie geschlossen. Versuche, irgendwie von diesem Ort zu fliehen. Fühle mich unwohl zwischen diesen Menschen. Sind sie doch alle fremd. Viel zu schön. Zu nett zu mir.
Und ja, ich vermisse die Tage, an denen du mich verprügelt hast, einzig, weil ich dich ansah.
Und es schmerzt. Eben, in diesem Moment. Ja, es zerfetzt mich. Und ich sehne mich danach, dass du mir das letzte Bisschen "Ehre" und Liebe ausprügelst.
In den letzten Tagen hatte ich das Gefühl, ich könnte vielleicht doch noch erleben, wie das ist, wenn man 30 ist.
Auto fährt. Daran denkt, eine Familie zu gründen. Wie es ist, Arbeit zu haben. Kollegen dort. Urlaub zu machen. Spaß zu haben.
Aber du hast mich nach gut 4 Jahren wieder eingeholt. Mit deinem Geschrei. Den ganzen blutigen, verzerrten Erinnerungen. Und ich ekel mich vor Alkohol. Vor dir. Vor ihnen, die sie um mich sitzen. Den Grill mit der Kerze anstarren. Rauchen und massenhaft Bier in sich hinein schütten. Ja. Ich fürchte mich. Habe Angst. Angst, wieder diesem schwachen Moment zu unterliegen, nach der Flasche zu greifen und mich genauso erbärmlich im Alkohol zu verlieren, wie du damals.
Zugegeben, ich habe nie eine bessere Gedankenausflucht kennengelernt, als jene. Im Alkohol überlebt nichts.
Weder die guten Gedanken, aus viel zu lang vergessenen Tagen, die doch nie wiederkommen werden. Weder die schlechten Bilder. Im Delirium bin ich jungfräulich. Bin ich Kind. Vielleicht sogar ein Glückliches. Oder, zumindest eines, der Glücklichsten.
Ja, und ich habe keine unerträgliche Last auf meinen Schultern, die mich langsam unter Wasser drückt und mir gewaltsam den Atem aus der Lunge presst.
Ja, ich habe keinen blauen Flecken. Keine braunen Augen, die mich verachtend anstarren, während der Mann, der zu ihnen gehört, sich an mir vergeht.
Kein dreckiges Gelächter, das sich durch meinen Kopf gräbt und alles zertrümmert.
Dieser Wunsch, er verlangt nach mir. Nach meinem Fleisch. Ich will Schmerzen. Ich will spüren. Leben. Bemerken, dass ich noch wach bin. Lebe.
Drücke die Kippe an meinem Arm aus. Vergangenheitsspuk erstickt im kurz aufkeimendem Schmerz.
Die anderen lachen und feiern weiter. Ich für mich, ich bin wieder über den Punkt hinaus geeilt. Diesen Punkt, an dem ich hätte umkehren sollen. Aufhören. An etwas Schönes denken sollen.
Die Selbstzerstörung hat mich zurück - das Leben kann mich mal.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

SigrunAl-Badri (50)
(23.08.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Dieter Wal (23.08.10)
Ergreifend geschrieben. Mehr zum Inhalt privat bei KV.
pfützenpiratin (36)
(23.08.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 23.08.10:
Dankeschön, Chrisi. Danke an alle.
Ich danke dir, für dein Lob, aber es ist lediglich eine Momentaufnahme vom letzten Wochenende. Von daher, wie alles andere hier, nicht sonderlich spannend und lobenswert :) Vielen Dank.
Anni
Fub (24)
(23.08.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 ZornDerFinsternis antwortete darauf am 23.08.10:
Fubi, ich nehm dich in den Arm und lass dich nicht mehr los.Danke, dass ich dich habe..
Fub (24) schrieb daraufhin am 23.08.10:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 ZornDerFinsternis äußerte darauf am 24.08.10:
Müll?o.O
Müll lag nur vorgestern auf dem Festivalgelände... und zwar haufenweise o.o
-knuddel-
Träumerveve95 (17)
(24.08.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 ZornDerFinsternis ergänzte dazu am 24.08.10:
Veve... du findest immer die treffenden Worte. Ihr alle, ihr alle findet diese Worte. Schreibt so zauberhaft-liebenswerte Zeilen, die mich innerlich fast (vor Freude) zerreißen. Ich würde dir gerne ein Lächeln mehr schenken, Liebes. Deines annehmen, das kann ich nicht. Aber ich schenke dir eines von meinen, damit du Stück für Stück den Regenbigen in deinem Herzen aufblühen siehst.
Anni

 Feuervogel (02.09.10)
Ich habe hierzu keine Worte...was sollte ich auch sagen...LG Ela

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 07.01.11:
Lass dich drücken, Liebes -knuddel- Ich bin immer für dich da.
Valnar (22) meinte dazu am 28.06.11:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 15.07.11:
Danke, :)
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram