Teil 04

Roman

von  AnastasiaCeléste

Das war seine Arbeit, die ihm seinen Lebensunterhalt und zumindest einen gewissen Teil Sicherheit lieferte. Manche nannten ihn Krieger, andere Auftragskiller. Und er war sich nur zu bewusst, dass er sich selbst verriet. Er tat genau das, wofür er diese Welt verachtete. Er verabscheute die unglaubliche Gewalt, die an die Oberfläche der Menschheit getreten war und dabei war er doch selbst ein ausführender Teil davon. Er verriet seine eigenen Vorsätze immer wieder aufs Neue.
Das Vorhaben, diese Arbeit abzulegen jedoch, verlangte möglicherweise einen gefährlichen Rollentausch. Einmal in dem Netz derjenigen, die die Fäden zogen, kam man nicht mehr ohne Weiteres heraus, aus diesem Marionettenspiel.
Als er damals an Corvin geraten war, der ihm diesen Job als persönlichen Assistenten, wie er ihn immer nannte, anbot, war er noch voller Wut, aufgewühlt durch den gewaltsamen Tod, den seinen Eltern kurz zuvor gefunden hatten. Es war eine Art Rachegefühl, die ihn blind machte. Zu blind, um genau zu realisieren, was sein Boss von ihm verlangte. Denn er war nichts anderes als ein Handlanger. Die letzten Jahre hatten in erkalten lassen. Er stumpfte ab, von Auftrag zu Auftrag ein wenig mehr.
Aber dieser weiße Schleier war mittlerweile doch weitgehend gelüftet. Sein Bruder hatte einen großen Teil dazu beigetragen, dass Ave realisierte. Immer öfter suchten ihn Schuldgefühle heim, denn er war sich durchaus bewusst, was für ein Monster aus ihm geworden ist. Er war ein Killer. Ein Killer der tötete, wenn man es ihm Auftrug. Ein Killer, der Geld und Annehmlichkeiten genoss, dafür, dass er Menschen umbrachte, die vielleicht nicht mehr getan haben, als verzweifelt versucht, ihr verkorkstes Leben zu ändern.
sein Leben ändern, war für Ave jedoch eine heikle Sache. Denn Corvin als sein Boss, als Boss dieser Stadt, war der Herr über das Schicksal, über Leben und Tod. Auch wenn Corvin Ave, als seinem „besten Mann“ ein Leben im Überfluss bot, konnte er ihn genauso gut von einer Sekunde auf die Nächste zum Abschuss freigeben, sollte Ave sich jemals gegen ihn Stellen oder auch nur von ihm abwenden. Dieser Mann war unberechenbar.
Kündigen stellte sich in diesem Fall also als äußerst riskant und unabsehbar heraus.

Er lenkte den alten Chevy wie mechanisch durch die Stadt. Er starrte durch die dreckige Windschutzscheibe. Die Beretta lag neben ihm auf dem Beifahrersitz. Wieder wog sie eine Seele schwerer. 
Ave fühlte das Gewicht der Geldbündel an seiner Brust. Und für einen kurzen Augenblick schien es, als wollten sie ihm gleichzeitig die Luft abschnüren und sich in seine Haut brennen. Da war sie wieder, diese Spannung, die er eben noch durch den Lauf, der auf ihn gerichteten Waffe gespürt hatte. Er war unkonzentriert gewesen, und das war wirklich etwas, dass ihm nie passieren durfte.
Er atmete energisch ein und trieb den Wagen weiter an. Er wollte sich nicht unterkriegen lassen von dem Chaos, das in ihm herrschte. Es war keine Zeit für Schwäche. Es sollte so etwas wie Schwäche gar nicht geben.
Langsam rollte der Wagen in die Tiefgarage unter Corvins Etablissement, wo er sich zwischen alten Karren, Oldtimern, teuren Limousinen und sündigen Sportwagen einreihte. Überfluss kam weit oben auf Corvins Rangliste der Wichtigkeiten in seinem Leben, gleich nach Macht und Geld und Sex.
Der Fahrstuhl, des ehemaligen Hotels brachte ihn auf die Privatebene seines Bosses. Corvins Leibwächter machte wie immer seine Runde auf dem Flur. Selbst hier konnte man das Treiben im Erdgeschoss und der darüber liegenden Etagen hören. In diesem Gebäude herrschte niemals Ruhe, es stand nie still. Dafür sorgte sein Besitzer schon.
Ave klopfte an Corvins Tür, einmal, zweimal. Dann wartete er ab.
Er vernahm etwas dumpfes, regelmäßiges, gepaart mit winzigen, hellen Klängen, die sich nicht ganz einfügen wollten in diesen Takt. Er kannte dieses Geräusch, es war ihm ganz und gar nicht  fremd. Ave seufzte tief, bevor er noch einmal die Hand hob und klopfte, diesmal energischer und in einer kurzen Abfolge von Schlägen, die Corvin symbolisierten, dass es Ave war, der draußen wartete.
Schlagartig war der dumpfe Takt verklungen und ließ das andere Geräusch allein zurück. Ein paar Sekunden verstrichen bevor Corvin ihn hinein bat.
Ave hatte kaum die Tür geöffnet, als ihm der Ursprung des alleingelassenen Lautes ins Auge fiel.
Sie war klein, blond und kauerte neben dem Sofa auf dem Boden, in ein weißes Laken gehüllt, das sie sich krampfhaft an den zitternden Körper presste. Ihre tränennassen Augen waren starr auf den Boden geheftet und wagten nicht aufzusehen. Hin und wieder entfuhr ihr ein leises Schluchzen oder Wimmern, was sie jedoch kläglich zu vermeiden versuchte.
Ave ging an ihr vorbei, wie schon an vielen solcher Mädchen zuvor. Mädchen, jungen Frauen wie sie, die nicht wirklich freiwillig ihren Dienst in diesem Haus leisteten. Die er sich irgendwo unter falschen Versprechungen von der Straße holen ließ, um regelmäßig Frischfleisch anbieten zu können, sobald andere nutzlos oder lästig wurden.
Und sie war hier, weil der Boss es zu seiner persönlichen Ehrenaufgabe gemacht hat, die neuen Küken zu bändigen, zu brechen.
Ave kannte diese Prozedur nur zu gut. Anfangs hatte er Mühe, die Abscheu hinunterzuschlucken, die er Corvin deswegen entgegen bringen wollte, aber wie alles in diesem Beruf und Umfeld, verlor auch der Anblick dieser Mädchen irgendwann seinen Schrecken, wurde alltäglich. Ein Teil seiner Arbeit, der nur noch mehr dazu beitrug, abzustumpfen.
Corvin stand in Shorts und offenem Hemd neben seinem riesigen Schreibtisch und wartete mit einem zufriedenen kleinen Grinsen auf seinen Partner. Er hatte ein Gespür dafür entwickelt, zu erkennen, ob er seinen Auftrag erfüllt hatte oder nicht.
Ohne Worte zog Ave das Geld aus seinem Mantel und warf  es Corvin auf den Tisch.
Dieser nickte anerkennend. Sie brauchten für so eine Abwicklung keine großen Worte.
Langsam zog er eines der Bündel heran. Nahm es an sich, fast liebevoll, wie ein verloren geglaubtes Kind. Geld war ohnehin die einzige Liebe die Corvin hatte, zumindest soweit Ave es beurteilen konnte. Geübt begann er Scheine abzuzählen, bevor er einen kleinen Stapel herauszog und Ave überreichte. Er bekam seinen Anteil, der Art des Auftrags entsprechend. Gefahrenzulage inbegriffen.
„Macht er mir noch einmal Schwierigkeiten?“, wollte Corvin wissen. „Nein“, gab Ave zurück und bestätigte mit diesem einzigen Wort, dass der Schuldner in diesem Fall, doch nicht so günstig davongekommen ist, wie er es hätte können, wenn alles problemlos gelaufen wäre. Denn dies war kein expliziter Auftrag zu töten. Aufträge dieser Art beschrieb Corvin für gewöhnlich anders.
Der Boss stapelte das Geld aufeinander und lagerte es in seinem Safe hinter einem Gemälde ein. Beiläufig fragte er dabei: „Brauchst du sonst noch etwas?“
Ave verneinte. Dieses Angebot hatte er schon lang nicht mehr angenommen. Er brauchte weder Frauen noch Drogen.
Er brauchte heut nur noch eine Menge Zigaretten und seine Ruhe.
Corvin kam auf ihn zu. Anerkennend klopfte er seinem privaten Auftragskiller, die Schulter: „Was würde ich bloß ohne dich machen, mein Bester?“
Die Antwort kannte Ave. Wenn er es nicht wäre, wäre es vermutlich ein anderer skrupelloser Kerl, der nach Corvins Pfeife tanzte. Jemand wie er war leicht zu ersetzen.
Er war nichts weiter als eine Marionette für Corvin, genauso wie diese Mädchen, im Grunde wertlos für ihn, aber eine gute Art, sein Leben angenehm zu gestalten und gestalten zu lassen.
Während sein Boss sich an der Bar zu schaffen machte, wandte sich Ave um.
Die Kleine saß noch immer unbewegt auf dem Boden. Sie hatte sich halbwegs beruhigt, einsehend, dass ihr hier nichts und niemand halfen. Wobei sich Ave aber ganz sicher war, dass Corvin sie sehr bald soweit haben würde. Spätestens sobald ihr Körper und ihre Seele auf den Stoff ansprangen, die er den neuen Mädchen wohlwollend anbot, um nicht zu sagen, aufzwang. Wenn sie erst einmal den Vorteil erkannten, dass Drogen es ermöglichten, ihre Arbeit einfacher ertragen zu können, war es für Corvin ein Leichtes, sie an sich zu binden.
Als Ave diesmal an ihr vorbeiging, hob sie ihren Blick. Ihr zartes Blau fand das kräftige Grün seiner Augen. Ihr sehnlicher Blick sprach Bände, denn sie klammerte sich an den letzten Schimmer Hoffnung, die sie in dem Fremden sah.
Doch dieser Funken erlosch schnell. Der Fremde ging stumm an ihr vorbei, wobei sein Mantel für einen Bruchteil einer Sekunde ihr Bein streifte. Wie gern hätte sie sich daran festgeklammert, nicht wissend wer er war.
Ave nahm dieses Mal die Treppe, somit wollte er sich den Weg durch den Club sparen. Der Hinterausgang führte auf einen verlassenen Parkplatz. Er hätte problemlos wieder den Chevy nehmen können, zu dem er immer den Zweitschlüssel bei sich trug, aber sein Gehirn forderte frische Luft. Also machte er sich zu Fuß auf den Weg zu seiner Wohnung.
Asher würde ihn wahrscheinlich schon mit einem fragenden Blick erwarten. Und er wird sich selbst wieder rausreden. Asher war eine gute Seele. Er war ein Bruder, wie man ihn sich nur wünschen konnte. Und obwohl sie knappe fünf Jahre voneinander trennten, war es Asher, der seinen großen Bruder regelmäßig auf den Boden der Tatsachen zurückholte und ihn stärkte. Auch wenn Ave das nicht so oft zugab oder zeigte. In so etwas war er einfach nicht besonders gut.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram