Fischfutter

Roman zum Thema Aggression

von  Mutter

Vor dem Haus sehe ich nichts – keine Bullen, kein SEK, kein Blaulicht. Scheiße. Wahrscheinlich braucht Wehmeier zu lange, um sein Team zusammenzusuchen. Der soll einfach jeden, der eine Dienstwaffe trägt und auf dem Hof rumhängt, einpacken. Ich steige in die Eisen, reiße brutal die Handbremse hoch, um den Wagen schneller zum Stehen zu bringen.  Es riecht nach verbranntem Gummi. Meine Finger fischen das Handy aus dem Fußraum, ich springe aus der Karre, werfe die Tür zu.
Mache mir nicht die Mühe, den Clio zuzublippen – bin mir nicht mal sicher, ob ich den Schlüssel eingesteckt habe. Ich lasse den Wagen einfach in zweiter Reihe stehen.
Schwungvoll werfe ich mich mit der Schulter gegen die Altberliner Haustür – das Schloss gibt nach, die Tür schwingt nach innen und knallt gegen die Wand, während ich mich hastig hindurchschiebe.
Auf der Treppe drücke ich Wahlwiederholung vom Telefon. Haste die Stufen hoch, immer zwei, drei auf einmal, während ich dem Freizeichen lausche, das weit entfernt aus meiner hin und her pumpenden Hand ertönt. Ich warte darauf, dass es endlich verstummt. Dass Manu rangeht. Aber das Freizeichen begleitet mich bis oben.
Ich hämmere gegen die Tür, während ich hektisch nach dem Schlüssel in meiner Hosentasche suche. Finde ihn, taste mit zittrigen Fingern nach dem Schloss, stopfe den Schlüssel rein. Mit einem Klacken schließe ich auf - gerade, als sich die Tür öffnet.
„Luca!“
„Scheiße, Manu. Alles in Ordnung?“
Sie steht in der geöffneten Tür, die Klinke in der Hand, und sieht mich aus viel zu großen Augen an.
„Ja, natürlich. Was ist passiert?“
Ohne zu antworten trete ich ein, lasse sie widerstrebend zurückweichen. Ziehe den Schlüssel aus dem Schloss, schließe die Tür mit einem satten Geräusch. „Mann, Manu, du hast mir richtig Schiss eingejagt. Warum gehst du nicht an das verdammte Handy?“
„Oh“, sagt sie bloß und geht zu der Kommode im Flur, wo ihre Handtasche liegt. „Das ist noch lautlos. Vom Krankenhaus. Was war so wichtig?“ Sie hält das Telefon in der Hand und klickt sich durch meine Anrufe. Überrascht sieht sie hoch, als ihr klar wird, dass ich öfter angerufen habe.
Ich versuche, meine unregelmäßige Atmung unter Kontrolle zu bringen. Die aufkommende Panik soweit niederzukämpfen, dass ich in Ruhe mit ihr reden kann.
„Warte, ich hol dir ein Glas Wasser“, sagt sie und geht in die Küche. Ich folge ihr. „Tiger hatte einen weiteren Anfall im Kommissariat. Und er hat geredet. Also klarer als vorher. Manu, es geht nicht um ihn. Sein Vater braucht ihn für diese Scheiße nicht – Tiger war auch nicht dabei, als er Matti Kincaid umgebracht hat.“ Ich rede zu schnell, verhaspel mich, bekomme es aber nicht besser hin.
„Nicht?“ Sie lässt ein großes Glas am Hahn volllaufen. „Hier.“
„Die Bullen sind unterwegs. Die müssen sich um dich kümmern.“ Jetzt habe ich ihre volle Aufmerksamkeit. Sie steht an der Spüle und starrt mich an. „Ich dachte, es ist vorbei“, sagt sie mit leiser Stimme.
Ich schüttle den Kopf. „Eventuell nicht. Kommt wohl darauf an, wie schwer es in erwischt hat. Tiger sagt, sein Vater benutzt ihn als Medium. Als würde Tiger die Frauen aussuchen – alleine dadurch, dass er sie kennt. Frauen, die mit ihm Kontakt hatten und entfernt seiner Mutter ähneln, sind in Gefahr.“
„So wie ich.“
„So wie du. Aber wenn die Bullen hier sind, soll er mal versuchen, an dich ranzukommen. Dann kriegen sie das Schwein.“
Ein Geräusch aus dem Flur lässt mich herumfahren. Meine Nackenhaare stellen sich auf.
„Was ist los?“, fragt Manu, die Stimme instinktiv leise.
Das metallische Kratzen kommt von der Tür. „Scheiße!“ Geduckt bewege ich mich den Flur entlang. Ich bin mir sicher, dass draußen jemand versucht, das Schloss zu öffnen. Und es sind bestimmt nicht Wehmeier und seine Jungs.
Ich habe den Flur nicht mal zur Hälfte durchquert, als das Geräusch verstummt. Ich halte inne. Das ist ein modernes Sicherheitsschloss. Ich glaube nicht, dass man das aufbekommt, ohne es aufzubohren. Vielleicht verzeiht sich der Wichser wieder. Ich bin mir sicher, dass Damian Lefevre sich auf der anderen Seite der Tür befindet. „Ruf die Bullen“, hauche ich Manu zu, die wie erstarrt direkt hinter mir steht. Sie nickt, nimmt sich ihr Handy und entfernt sich leise aus dem Flur.
Ich drehe mich gerade wieder zur Haustür um, als die mit einem berstenden Geräusch nach innen platzt. Sie knallt auf und schwingt dann langsamer wieder zu, und gibt in der Zwischenzeit den Blick auf das zerstörte Schloss und den bleichen Lefevre frei, der sich mit beiden Händen noch am Türrahmen festhält. Sein rechtes Bein mit dem Springerstiefel setzt wieder auf und er schiebt sich nach vorne, indem er die kaputte Tür zur Seite drückt.
Er ähnelt einer Erscheinung – sein Gesicht ist gespenstisch bleich, tiefe Augenringe verstärken diesen Eindruck noch. Inzwischen trägt er einen Sweater über seinem Hemd – aber der dunkelgrüne Stoff schimmert  bereits ebenfalls feucht-schwarz. Keine Ahnung, ob er versucht hat, sich einen notdürftigen Verband anzulegen. Die Blutung hat er offenbar nicht stoppen können.
Mir ist klar, dass der Franzose kaum noch Zeit hat. Ihm vermutlich auch. Hohlwangig und mit feuchtem Schweiß, der ihm die Haare durchtränkt, ist es nur eine Frage der Zeit, bevor er in Manus Flur zusammenklappt. Allerdings habe ich Sorge, dass die Zeit möglicherweise ausreicht, um ihn beenden zu lassen, weswegen er hier ist. Wir starren uns gegenseitig an, sein Atem kommt stoßweise. Ich bemerke das Ziehen in meinen Rippen. Fit bin ich auch nicht. Komm schon, Wehmeier, du Arschloch, worauf wartest du?
„Verzieh dich, Lefevre. Die Scheiße ist vorbei.“
Er starrt mich an, als hätte er nicht verstanden, was ich gesagt habe. Sieht über die Schulter zurück in den Flur. Blickt mich wieder an, schüttelt den Kopf, als hätte er Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Er beugt sich nach vorne, packt eine Ledertasche, die ihm Flur stand und hebt sie an, um sie einen halben Meter vor sich in den Flur zu werfen. Es klappert metallisch in der altmodische Tasche. Durch die Anstrengung entfährt ihm ein Grunzlaut.
Unsicher macht Lefvre einen Schritt nach vorne, so dass er die Tür hinter sich schließen kann. Seine Linke greift an den Rücken, ich höre das Schaben von Stahl auf Leder. Ich atme tief durch, als er sich mir erneut zuwendet, halte den Blick auf die Klinge gerichtet, die er in der Hand hält. Ähnlich wie das Messer, das er in Treptow verloren hat und ich ihm postwendend i den Bauch gerammt habe, kann man auch an dieser Waffe sehen, zu welchem Zweck sie geschaffen würde: Es handelt sich um ein Kampfmesser mit einer Klinge so lang wie meine Hand.
Vorsichtig bewegt er sich nach vorne, stützt sich mit der Rechten an Manus Wand ab. Und hinterlässt blutige Handabdrücke. Die Abdrücke erinnern mich an die Bilder, die oft in den Fenstern von Kindergärten hängen, wenn die Kinder mit Fingermalfarbe ihre Hände aufs Papier drücken.
Seine Augen hat er auf mich gerichtet, mustert mich wachsam mit fast schwarzen Pupillen. Langsam weiche ich zurück – als wäre der Flur unendlich lang, und ich müsste nur lange genug ausweichen, bis jemand uns erlösen würde. Wehmeier, der kommt und dafür sorgt, dass alles gut wird.
Instinktiv werden meine Schritte kleiner – nicht mehr weit bis zur Tür. Ich ducke mich tiefer und mir ist klar, dass er sich gleich auf mich werfen wird. „Sie bekommst du nicht. Nicht Manu.“ Meine Stimme klingt merkwürdig gepresst und heiser in meinen Ohren. Wie hypnotisiert starre ich auf den silbernen Stahl. Von dem ich keine Ahnung habe, wie ich verhindern soll, dass er mich und Manu aufschlitzt. Mit einem Schaudern erinnere ich mich daran, wie das erste Messer in Lefevres Bauch geglitten ist. Der Ruck, mit dem das Heft aufgeprallt ist, als die gesamte Klinge sich bereits in seinem Körper befand.
Aus der Ferne sind Polizeisirenen zu hören. Meine erste Reaktion ist Erleichterung – Erleichterung, die mich flutet und mich fast heulen lässt. Den Bruchteil eines Sekunde später ist dieses Gefühl von Erlösung wie weggewischt. Mit einem Heulen wirft sich Lefevre noch vorne.  Die Klinge, auf die ich immer noch den Blick gerichtet halte, vollführt einen silbernen Bogen auf mich zu. Ich schmeiße mich nach links, um seinem Angriff zu entgehen und nicht wie ein aufgeschlitzter Köder zu enden. Ausgeweidet und ins Meer geworfen.

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Kommentare zu diesem Text

mannemvorne (51)
(07.09.10)
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 Mutter meinte dazu am 08.09.10:
Nom-nom ...

Ja. :D

Ich schau mir das nachher nochmal an - danke für die Vorlage. Verstehe auf jeden Fall, was Du meinst ... :)

M.
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