Sirenen

Text zum Thema Zeitgeist

von  autoralexanderschwarz

In aller Heimlichkeit waren die Sirenen auf die Dächer der Großstadt gestiegen und allein weil sie die Menschen liebten, sangen sie warnend ihr altes Lied von dem nahenden Untergang. Sofort aber wurde es in den Straßen still und während die ersten zarten Klänge in den Köpfen der Menschen Resonanz fanden, wurden sogar die Starken für einen Moment besinnlich.
„Das Gehirn wurde ein fetter Blutegel“, dozierte ein berühmter Forscher, nachdem er eine ganze Weile ratlos in seinen Papieren geblättert hatte, „es saugt und saugt den Gefühlsstrom ins Abstrakte und wie lächerlich hilflos blutleer pumpt da das schwache Herz. Bald, bald wird es gänzlich vertrocknet sein.“
„Wir müssen uns gegen uns selbst wehren“, rief der Reaktionär entrüstet.
„Vielleicht geht es gar nicht darum besser zu sein, als die anderen“, flüsterte ein Intrigant in der ersten Reihe, „vielleicht geht es einfach darum, den anderen besser zu verstehen.“
„Schönheit ist vergänglich“, sagte derweil der Chirurg tröstend und zeichnete mit sicherer Hand eine kleine Blume auf einen entblößten Bauch.
„Der Körper zittert nur, weil er versucht sich zu wärmen.“
„Vielleicht gibt es keinen Gott“, predigte der Priester hinunter auf die Gemeinde,
„und wenn es ihn gibt, dann ist die Moral fraglich, die wir aus seiner Vorstellung ableiten.“
„Warum ist der stehlende Arme böse, der spendende Reiche gut?“, fragte ein Polizist in die Stille des Verhöres hinein und ein Arbeiter wischte mit den Händen über seine blutige Schürze, während er sinnend die Bolzenschussanlage bestaunte, die er seit Jahren bediente.
„Die Menschen wollen, dass es Sommer wird“, sagte der Politiker schließlich zum Lobbyisten und „wir müssen den Winter beliebter machen“, antwortete dieser, als das Lied verklang und die ersten Bomben fielen.

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Kommentare zu diesem Text

nichts (25)
(14.04.11)
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