Telefonisch von der Entscheidung unterrichtet

Satire zum Thema Politik

von  3p1l

Es gibt Gespräche, deren Existenz allgemein bekannt ist, deren Bedeutungsschwere viel berichtet wurde und bei denen man sich doch einmal den Wortlaut zu kennen wünscht. So war es Ende Mai 2010, als Bundespräsident Horst Köhler überraschend zurücktrat und auch der Kanzlerin, nach eigener Aussage, erst kurzfristig seine Entscheidung am Telefon mitteilte. Was sagten sich Dr. Angela und Dr. Horst zum Abschied? Wie unterhalten sich zwei Verfassungsorgane miteinander? Und wer darf das Gespräch beenden?

- eine Rekonstruktion -

Bürochefin der Bundeskanzlerin: Frau Merkel, da ist ein Herr, Moment, Köhler in der Leitung, der Sie dringend sprechen möchte.

Merkel: Köhler? Hat der einen Termin?

Büro: Soweit ich sehe nein, soll ich ihn abwimmeln?

Merkel: Worum geht es denn?

Büro: Das möchte er Ihnen persönlich sagen, es sei sehr wichtig. Er könne aber sonst auch zuerst Herrn Westerwelle…

Merkel: Nein, nein. Stellen Sie sofort durch!

Büro: Sofort.

Merkel: Merkel, guten Tag?

Köhler: Ja, hier ist das Bundespräsidialamt, Köhler am Apparat.

Merkel: Ach Herr Köhler, ich hab ja lange nichts von Ihnen gehört. Zurück aus Afghanistan?

Köhler: Ja, deshalb rufe ich an.

Merkel: Mensch, das ist ja schön, dass Sie sich melden. Sie hätten mir ruhig mal eine Postkarte aus Masar-e Scharif schicken können!

Köhler: Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie können sich gar nicht vorstellen, was da los war, und so viele Soldaten! Sind Sie schonmal dagewesen?

Merkel: Immer nur kurz übers Wochenende. (Pause) Sie wollten mich sprechen?

Köhler: Ja. Wissen Sie, erinnern Sie sich an Roland Koch?

Merkel: Leider, ja, aber da ist ja nun bald Ruhe.

Köhler: Genau. Ruhe, darum geht es. Was ich Ihnen nämlich sagen wollte, also was Koch da vor einigen Tagen angekündigt hat…

Merkel: Moment, wenn Sie den zurückholen wollen, ohne mich! Den lassen Sie mal schön draußen aus der Politik.

Köhler: Aber nein, das wollte ich doch gar nicht. Ich bedaure, wenn es in dieser Frage zu Missverständnissen kommen konnte. Es ist nur so…

Merkel: Ja nun sagen Sie schon.

Köhler: Es war mir eine Ehre.

Merkel: Wie bitte?

Köhler: Entschuldigung, ich bin in der Zeile verrutscht.

Merkel: Lesen Sie beim Telefonieren immer ab?

Köhler: Dies gebietet der notwendige Respekt für mein Amt.

Merkel: Hören Sie, ich plaudere sehr gerne mit Ihnen, wir hören uns ja leider auch viel zu selten, aber ich muss noch einige wichtige Telefonate führen, Sie wissen schon, Israel.

Köhler: Sicher, vielen Dank, dass Sie mir etwas Zeit geschenkt, mir Ihr Vertrauen entgegengebracht und meine Arbeit unterstützt haben.

Merkel: Das ist doch selbstverständlich, so von Verfassungsorgan zu Verfassungsorgan. Haben Sie noch etwas auf dem Herzen?

Köhler: Frau Merkel, ich erkläre hiermit, dass ich den Hörer des Bundespräsidialamtes jetzt auflegen werde — mit sofortiger Wirkung!

Merkel: Ich akzeptiere Ihre Entscheidung. Auf Wiederhören.

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