Das eigene Geschichtsbild

Persiflage zum Thema Persönlichkeit

von  loslosch

Quid vero historiae de nobis ad annos DC praedicabunt? Quas quidem ego multo magis vereor quam eorum hominum, qui hodie vivunt, rumusculos (Cicero, 106 v. Chr. bis 43 v. Chr.; Ad Atticum). Was aber werden die Chroniken in etwa 600 Jahren über uns verkünden? Das beunruhigt mich weit mehr als das Geschwätz der Menschen, die heute leben.

Vorausblickend sieht sich der Staatsmann Cicero im Spiegel der Zeitgeschichte. Moderne Politiker klittern an ihrem Bild, indem sie ihre Memoiren post festum  schreiben, wenn sie von der politischen Bühne bereits abgetreten sind. Das gilt sogar  für Politiker der zweiten Reihe. Vorher bleibt ja keine Zeit fürs eigene Geschichtsbild, im Gegenteil: Es würde als kontraproduktiv empfunden. Wenn Wahlkampf angesagt ist, schiebt der Machtinstinkt diese Perspektive beiseite. Franz Josef Strauß, nachmaliger Verteidigungsminister, erklärte vor der ersten Bundestagswahl: "Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll der Arm abfallen." Konrad Adenauer ließ vor der zweiten BT-Wahl kleine Zettel kleben mit der Aufschrift "Adenauer war nie Soldat, wir folgen ihm". 1953 selbst gelesen als kleiner Sextaner. Die längere Fassung lautete: "Adenauer war in seinem Leben nie Soldat. Seinem Beispiel wollen wir folgen." Ein wahrer Satz übrigens, der eine Aussage suggeriert, die als feiste Lüge daherkommt. Adenauer, der alte Fuchs, wird kaum an Cicero und seinen weisen Ausspruch einen Gedanken verschwendet haben. Bekanntes Bonmot: "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern."  Ab 1963 fand er genügend Zeit, in seinen Memoiren an seinem Geschichtsbild zu feilen: "Erinnerungen" (vier Bände, die letzten beiden posthum erschienen).

George W. Bush veröffentlicht soeben seine Memoiren ("decision points", Momente der Entscheidung). Alles übers water boarding, Sex über 50-jähriger Frauen und nicht aufgespürte Massenvernichtungswaffen im Irak. Laura Bush war übrigens schneller: "Spoken from the Heart" (2010). Sie ist verheiratet mit einem netten Mann. Er hatte nur den falschen Beruf.


Anmerkung von loslosch:

Aus aktuellem Anlass.

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Kommentare zu diesem Text


 Bergmann (10.11.10)
Churchill soll gesagt haben, er schreibe die Geschichte lieber selber, denn dann sei sie richtig dargestellt. Tja, das korrespondiert auch ein wenig mit der Tatsache, dass Sieger Deutungshoheit haben...

 loslosch meinte dazu am 10.11.10:
GWB dachte wohl so. Vllt. irrt er. Eine internat. Org. will sein Eingeständnis, er habe water boarding selbst angeordnet, vor ein Tribunal zerren. Lo

 Rudolf (10.11.10)
Ein schöner Text. Danke. Eine Historikerin wies mich darauf hin, dass Geschichte grundsätzlich verzerrt ist, da sie von den Siegern geschrieben wird. Das ist also gar nicht unbedingt eine Persiflage, sondern mehr eine Erkenntnis, wie Geschicht entsteht.

 loslosch antwortete darauf am 10.11.10:
Stimmt. Persiflage nur insoweit, als ich die großen Staatslenker ein bisschen durchleuchte und vorzuführen versuche. Lo
Graeculus (69)
(28.11.16)
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 loslosch schrieb daraufhin am 28.11.16:
postumus, den nachgeborenen, nachkömmling meinte wohl tiberius.
Graeculus (69) äußerte darauf am 28.11.16:
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 loslosch ergänzte dazu am 28.11.16:
das nenne ich mal eine quaestio posterior.

posthum ist natürlich volksetymologie. schönes wort.
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