Szene 3:Freie Sicht bis Geradeaus

Einakter zum Thema Reisen

von  Dart

[Die Bühne ist jetzt das Cockpit, das man von vorne sieht. Der Pilot und der Co-Pilot sitzen gelangweilt in ihren Sesseln und spielen Karten.]

Pilot:
Hast du…eine Sechs?

Co-Pilot:
Nein. Hast du…eine Fünf?

Pilot:
Nein. Hast du….eine Vier?

Co-Pilot:
Nein. Hast du…eine Drei?

Pilot:
Nein. Hast du…eine Zwei?

Co-Pilot:
Nein. Weißt du, was ich denke?

Pilot:
Ich glaube zu wissen, was du zu denken meinst.
[Beide werfen ihre Kartenstapel hinter sich.]
Quintett funktioniert einfach nicht mit einem normalen Kartenspiel.
[Pause.]

Co-Pilot:
Und was spielen wir jetzt?

Pilot:
Ich sehe was, was du nicht siehst…

Co-Pilot:
Wolken!

Pilot:
Wow, du bist gut.

Co-Pilot:
Tja, was ein wahrer Meister ist…Ich sehe was, was du nicht siehst und das…

Pilot:
Wolken!

Co-Pilot:
Nein, das…

Pilot:
Ein Pilot!

Co-Pilot:
Nein, aber da…

Pilot:
Hebel?

Co-Pilot:
Nein, sondern…

Pilot:
Nichts verraten! Schalter?

Co-Pilot:
Nein.

Pilot:
Ja, aber hier gibt es doch gar nichts außer Hebeln, Schaltern und Wolken! Oh Moment, du meinst dieses Flugzeug direkt vor uns!

Co-Pilot:
Genau – du bist spitze!
[Beide klatschen sich ab.]

Pilot:
Quatsch – du bist spitze.

Co-Pilot:
Wir sind beide spitze.

Pilot:
Ja, das sind wir.
[Pause.]

Beide:
[Alarmiert.]
Flugzeug?!
[Das Flugzeug fängt plötzlich an, sich zu schütteln, beide schauen dem Flugzeug hinterher, was über sie hinweg fliegt.]
Woooow!
[Die Stewardess stürmt herein.]

Stewardess:
Was ist denn…Woooow!
[Der Steward stürmt herein.]

Steward:
Turbulenzen oder Abschuss? Oh…Woooo!
[Pause, dann hört das Schütteln auf.]

Co-Pilot:
Das war ein langes Flugzeug.

Pilot:
Ich mache mal sicherheitshalber eine Durchsage an die Passagiere.
[Er nimmt eine leere Dose, an deren Ende eine Schnur befestigt ist und spricht hinein.]
Hallo, meine lieben Passagiere und Passagierinnen, sowie ferner die kleinen Bastarde, die sie Kinder schimpfen…Soeben sind wir…in eine Regenwolke geflogen und dabei etwas nass geworden. Um dann das böse, schwere Wasser wieder loszuwerden, haben wir uns ein wenig geschüttelt. Wie so ein Hund eben.

Rummelsburg:
[Seine Stimme kommt irgendwo von hinten.]
Oh Gott – wir hätten fast ein anderes Flugzeug gerammt!

Pilot:
[Zur Crew.]
Verdammt, es muss noch ein anderer Pilot unserer Airline an Bord sein!

Co-Pilot:
Freiwillig? Vielleicht war das Rummelsburg vorhin!

Pilot:
Ha – der funkt mir nicht dazwischen!
[In die Dose.]
Liebe Insassen und Insassinnen, hören sie nicht auf den verwirrten Mann, der gerade dazwischen gerufen hat. Er ist…er ist ein irrer Psychopath und Massenmörder!

Rummelsburg:
Das eine Mal war keine Absicht! Was kann ich denn dafür, dass nur ein Fallschirm an Bord war?

Stewardess:
Irgendwo hat er Recht.

Pilot:
Quatsch!
[In die Dose.]
Wie gesagt – hören sie nicht auf ihn, er ist wirr! Setzen sie ihn in ein Flugzeug und er wird alle umbringen!
[Er legt die Dose weg, im Hintergrund wir Lärm hörbar.]
Sehr schön, die Passagiere wurden beruhigt, was machen wir als nächstes?

Co-Pilot:
Wir könnten Rate-welchen-Knopf-ich-gerade-gedrückt-habe spielen.

Pilot:
Das hatten wir doch schon mal versucht und…
[Es klopft an die Kabinentür. Die Stewardess geht hin öffnet. Dahinter steht der ältere Herr mit einer Mistgabel in der Hand, neben ihm ein russischer Passagier.]

Stewardess:
Ja, bitte?

Russischer Passagier:
Systema!
[Er hält eine nicht brennende Fackel hoch.]

Älterer Herr:
Hallo, der liebe Mann hier möchte wissen, ob sie eventuell noch ein Feuerzeug hätten. Unsere wurden alle zusammen mit unseren Nagelscheren während des Sicherheitschecks konfisziert. Und da wir die Fackeln mit unseren Pistolen und Macheten nicht anzünden können, dachten wir, dass sie uns da vielleicht weiter helfen könnten.

Pilot:
Tja, dafür sind die Sicherheitschecks ja da.
[Er kramt in seinen Taschen herum. Sobald er sein Feuerzeug findet, gibt er es dem russischen Passagier.]
Wir wollen ja nicht, dass sich während des Fluges jemand unbefugt eine Fackel anzündet. Da muss man schon fragen kommen!

Russischer Passagier:
Perestroika!
[Ab.]

Pilot:
Was hat er gesagt?

Älterer Herr:
Dass Bäume grün sind.

Pilot:
Und damit hat er voll und ganz Recht!
[Der ältere Herr ab. Kurz danach klopft es erneut.]
Nanu, haben die was vergessen?
[Die Stewardess öffnet, eine junge Frau und ein junger Mann, beide im Anzug, stehen in der Tür und lächeln um die Wette.]

Mann:
Erwachet!

Frau:
Wir sind gekommen, um mit ihnen über Gott zu sprechen!

Stewardess:
Öh…also wissen sie…

Pilot:
Ist das schon wieder so ein Versicherungsheini? Sag ihm, dass wir mit unserem Toweranbieter sehr zufrieden sind.

Mann:
Nanana, wir wollen ihnen doch nichts verkaufen, sondern etwas geben.

Frau:
Genau, die Möglichkeit für den Einzug ins Paradies nämlich.

Pilot:
Den kann ich ihnen auch geben. Dazu müsste ich nur diesen Steuerknüppel nach unten drücken.

Frau:
Aber bei uns gibt es diese wunderbare, göttliche Aura beim Einzug.

Pilot:
Ich liefere ihnen eine spektakuläre Flammenaura, wenn das Flugzeug auf dem Boden aufprallt.

Mann:
Dörte, darf ich die Religion wechseln? Das hier klingt viel, viel cooler!

Frau:
Sei still und lass dich nicht einfangen! Hören sie, wir haben hier eine kleine Broschüre mit ein paar Fragen drin, die sie für sich beantworten können. Fragen über Gott und die Welt und so.

Pilot:
[Er blättert in der Broschüre.]
Ein paar Fragen?

Frau:
Ja, da nehmen sie sich mal fünf oder zehn Minuten und schauen, ob das Endergebnis für sie positiv oder negativ ist. Im letzteren Fall brauchen sie dringend religiösen Beistand. Den wir ihnen durch Zufall bieten.

Pilot:
Die letzte Frage ist mit Nummer fünfhundertachtundzwanzig beschriftet.

Frau:
Und?

Pilot:
Ich soll in fünf bis zehn Minuten fünfhundertachtundzwanzig Fragen beantworten?

Frau:
Ja, aber keine Sorge, wenn das Ergebnis schlecht ausfällt – wir werden ihnen helfen. Mit Gottes kraft und der Bibel.

Co-Pilot:
Sie haben die Bibel gelesen?

Mann:
Wie groß ist denn der Feuerball, wenn wir mit Höchstgeschwindigkeit aufprallen?

Frau:
Sei doch mal still! Natürlich haben wir die Bibel gelesen und sie hat uns überzeugt. Nicht wahr, Egon?

Mann:
Und macht es auch ganz doll Bumm, wenn wir explodieren?

Pilot:
Haben sie den Koran gelesen?

Frau:
Öh…. Nein.

Pilot:
Oder die Thora?

Frau:
[Zögernd.]
Nein.

Pilot:
Marx’ Kapital? Irgendetwas über Buddhismus oder Schintoismus? Nein? Sie kennen die anderen Religionen gerade mal dem Namen nach, behaupten aber trotzdem, dass ihre die bessere ist?

Frau:
Das müssen sie relativieren.

Co-Pilot:
Was ist mit den Hindus?

Steward:
Die babylonischen Götter?

Stewardess:
Die Götter der antiken Römer und Griechen?

Mann:
Flugzeug?

Frau:
Halt den Mund! Hören sie, wir wollen doch nur, dass sie ein wenig über Gott nachdenken.

Mann:
Ich denke nicht mehr an Gott, sondern nur noch an zerberstende, zerschellende, explodierende Flugzeuge! Bumm, Krach, Explodier!

Frau:
Hör endlich auf, so einen Mist zu erzählen! Natürlich glaubst du nach wie vor an Gott!

Mann:
Nein, ich glaube jetzt an die Explosion von Flugzeugen! Darf ich mal ans Steuer?

Pilot:
[Hastig.]
Nein! Dazu müssten sie meinen Beruf haben, auf meinem Platz sitzen, meine Uniform tragen, aussehen wie ich, sich verhalten wie ich, genau genommen ich sein. Da ich aber immer noch ich bin und auch vorhabe, ich zu bleiben, und sie somit nicht ich werden können, sondern nur ihr eigenes Ich behalten können, ich als meinige Person hier das Kommando habe und sie als Nicht-Ich-Person nicht ich, also auch nicht mit meiner Kommandogewalt ausgerüstet sind, dürfen sie nicht dieses Flugzeug fliegen! Das darf nur ich!
[Pause.]

Mann:
Aber ich denke, dass ich auch ich bin. Und sie sagen, dass nur ich das Flugzeug fliegen darf, also darf ich das Flugzeug fliegen.

Steward:
Auch ich bin der Meinung, ich ich bin, also will ich auch das Flugzeug fliegen.

Stewardess:
Ich bin auch ich…

Pilot:
Aber wenn du auch ich bist, so wie die anderen…dann sind wir ja alle ich!

Mann:
Aber wenn wir alle ich sind…dann haben wir ja gar keine Persönlichkeit!

Steward:
Oh Gott – niemand steuert dieses Flugzeug!!

Mann:
Dann darf ich jetzt das Flugzeug steuern?

Pilot:
Nein!

Mann:
[Traurig und schmollend.]
Schade.

Frau:
Jetzt haben sie zwei Zeugen Jehovas sehr traurig gemacht, ich hoffe, sie sind zufrieden mit sich!
[Mann und Frau ab.]

Pilot:
Was heute alles an Spinnern unterwegs ist…

Steward:
Niemand steuert dieses Flugzeug! Warum tut denn keiner was?
[Es klopft schon wieder, der Steward öffnet. Ahorn steht in der Tür.]
Ja?

Ahorn:
Hallo, ich dachte, sie könnten mir vielleicht eine kleine Frage beantworten.

Steward:
Welche denn?

Ahorn:
Wie heißt die Stadt, die wir gleich überfliegen werden?
[Alle schauen aus dem Fenster.]

Pilot:
Tja…Warschau?

Co-Pilot:
Wir müssten dafür mal in die Karte schauen.

Ahorn:
Gut, ich stelle meine Frage anders: Welche große Stadt könnten wir auf unserem Flug von Berlin nach Moskau überfliegen, in deren Mitte ein Bauwerk steht, dass dem Eifelturm verdächtig ähnlich sieht?

Pilot:
Uh…

Co-Pilot:
Oh…

Stewardess:
Ah…

Steward:
Oi…

Ahorn:
Alle vier falsch! Das da ist doch ganz eindeutig Paris! Paris liegt aber nur auf einer Linie mit Berlin und Moskau – der falschen!
[Die Stewardess schiebt Ahorn sofort gewaltsam aus dem Cockpit, während die Piloten hektisch an den Armaturen arbeiten.]

Stewardess:
Ach was, wir machen alles richtig! Setzen sie sich einfach wieder ruhig auf ihren Sitz, entspannen sie sich, lassen sie sich von uns einen Blasen- oder Nierentee bringen und denken sie einfach an das Motto unserer Airline: Have a nice Flight.

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