Ehrfurcht gebietendes Gedicht

Erörterung zum Thema Gedichte/Lyrik

von  loslosch

Adeo sanctum est vetus omne poema (Horaz, 65 v. Chr. bis 8 v. Chr.; Epistulae). Jede alte Dichtung ist besonders heilig.

Zwar etwas altbacken, bieder klingend. Doch verehren wir nicht, in Maßen und abgewogen, unsere Vorfahren und somit auch ihre Kulturgüter? So liegt etwas Wahres in dieser Sentenz. Weniger das Alter fasziniert an solchen Texten als vielmehr die für heutige Augen und Ohren altertümliche Fassung. Als Beleg für diese Einschätzung ein berühmtes Beispiel aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts (Verfasser unbekannt; womöglich ein Mönch, der einer Nonne dieses schrieb?):

Dû bist mîn, ich bin dîn:
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen:
verlorn ist daz slüzzelîn:
dû muost immer drinne sîn.

Im Original anheimelnd, in der "modernen" Übersetzung mit dem Charme eines Poesie-Albums:

Du bist mein, ich bin dein;
dessen sollst du sicher sein.
Du bist eingeschlossen
in meinem Herzen.
Verloren ist das Schlüsselein,
Du musst immer drinnen sein.

Als Variante, mit adaptierter alter Metrik, kommt es nur wenig besser daher:

Du bist mein, ich bin dein;
des sollst du gewiss sein.
Du bist verschlossen
in meinem Herzen.
Verloren ist das Schlüsselein.
Du musst nun immer drinnen sein.

Die Poesie der Urfassung ging verloren, mit ihr der süße Rausch früher Liebe.

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Kommentare zu diesem Text

Kolbenfresser (46)
(15.12.10)
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 loslosch meinte dazu am 15.12.10:
Stimmt. Aber die alte Hülle hat was eigenes. Lo
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