Bescherungen, 1. Teil

Groteske zum Thema Weihnachten

von  Sanchina

BESCHERUNGEN

Weihnachten bedeutete für Gernot Ritzl nicht viel mehr, als ein paar Tage frei zu haben, an denen er sich hemmungslos betrinken konnte.

Für Mutter Walzburga bedeutete Weihnachten sehr viel Arbeit; regelmäßig kamen die Schwiegereltern zu Besuch; Walzburgas Weihnachtslaune war arg schwer zu ertragen.

Die drei Kinder – Vipi, Petra und Perry – fürchteten sich alle Jahre wieder davor, dass das wochenlang angedrohte „Weihnachtsdonnerwetter“ tatsächlich ausbrechen würde.

Doch an Weihnachten 1967 war alles anders als alle die Jahre zuvor. Gernot Ritzl hatte seiner Familie nämlich einen Winterurlaub in Österreich geschenkt. Gleich nach Weihnachten – am 27. Dezember – sollte die Reise beginnen.

Die Koffer standen schon fertig gepackt auf dem Flur. Die Großeltern waren ausgeladen worden; ihnen war gesagt worden, Abreisetag sei schon der 23. Dezember. An diesem Tag hatte Gernot Ritzl das Telefon mit einem breiten, braunen Klebeband fest umwickelt, damit der Hörer auf keinen Fall abgenommen werden konnte. Es hätte ja sein können, dass seine Mutter anrufen würde, um sich davon zu überzeugen, dass die jungen Leute tatsächlich verreist waren.

Das Blechglöckchen schepperte. Die Kinder kamen zur Bescherung herein. Sie trugen ihr „Hauszeug“: drei gleiche ausgebeulte weinrote Trainingsanzüge. Für wen hätte Walzburga die Mädchen herausputzen sollen, wenn doch gar niemand da war?

Unter dem Baum lagen drei gleiche Paar Skier. Gleiche Farbe, gleiche Marke, versteht sich. Andernfalls hätten die Kinder womöglich an Weihnachten um die Skier gestritten. Nur Vipis Paar Ski war ein wenig länger. Vipi war zwar nicht größer, aber sie war eineinhalb Jahre älter als die Zwillinge Petra und Perry; deshalb bekam sie die längeren Skier. Und nur Vipi konnte sich über die nagelneuen Bretter aufrichtig freuen, denn sie war mit ihrer Klasse im Skilager gewesen. Die Zwillinge konnten nicht Ski fahren; ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen.




Am ersten Feiertag schickte Walzburga die Mädchen mit den Skiern hinaus in den Garten, damit auch die Nachbarn die teueren Weihnachtsgeschenke zu sehen bekamen.

Petra fror erbärmlich. Perry übte, ausdauernd auf ihren Skiern zu stehen. Nur Vipi rutschte ein wenig herum. Doch als sie Anstalten machte, den fest gefrorenen und zugeschneiten Komposthaufen – welcher die einzige Bodenerhebung im Ritzlschen Garten darstellte – zu erklimmen, schritt der Vater ein. Ein Komposthaufen, fand Gernot Ritzl, war kein geeigneter Ort, um Sport zu treiben.

Im Übrigen verlief das Weihnachtsfest 1967 ohne allzu üble Zwischenfälle.

Richtig aufgeregt war die ganze Familie dann am Abreisetag. Nachdem der Taxifahrer bereits an der Haustüre geklingelt hatte, eilte Gernot Ritzl noch einmal durch alle Zimmer und kontrollierte, ob auch alle Heizkörper ausgeschaltet waren.

Der Taxifahrer hatte zwei Koffer bereits mitgenommen; Gernot trug nun die beiden anderen zum Wagen. Vipi schulterte stolz ihre Skier und Walzburga schleppte den Proviant.

Auf der Straße stand eine Limousine. Der Taxifahrer sagte: „Die Skier kann ich nicht mitnehmen!“ Der Kofferraum war zu klein, ein Dachgepäckträger war nicht vorhanden und in den Fahrgastraum passten die langen Dinger auch nicht hinein. Der Taxifahrer schlug vor, einen zweiten Wagen kommen zu lassen. Gernot Ritzl lehnte dies ziemlich barsch ab und entschied: „Die Skier bleiben hier!“

„Nein!“ kreischte Vipi laut auf und handelte sich eine Ohrfeige ein. Der Vater trug die Skier eigenhändig zurück ins Haus und Vipi fuhr ohne Skier in den Winterurlaub. Auf der Fahrt zum Busbahnhof machte sie den Taxifahrer damit nervös, dass sie ununterbrochen laut heulte.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (21.12.10)
Das fängt ja schon gut an. LG

 Martina meinte dazu am 23.12.10:
...denke ich auch =)
Unschuldsengel (31)
(21.12.10)
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