X-Dominion

Satire zum Thema Fantasie

von  KayGanahl

Region Lala im Staat der Wahrheit                                    2241 n. Chr.
Die Hause Agnoton
Zentrale Beobachterstelle
Gruppe der beauftragten Beobachter Nr. 34



Bericht Nr. 2
an Herrn MZ. Dekker Zelton, Chef-Beauftragter für Fragen des Zeit-Flips im Ministerium für Raumfragen in der Hause Agnoton



Wir grüßen Sie, MZ. Dekker Zelton!

Gemäß Vorschrift Nr. 79 im Handbuch für Beauftragten-Gruppen „Beobachtungen in Fragen des Raum-Zeit-Wechsels“ teilen wir Ihnen höflich Folgendes mit:
Wir sind die beauftragten Beobachter und bilden eine Beobachter-Gruppe, -  unsere Technik ist dermaßen perfekt, dass kein Beobachteter imstande wäre, die Beobachtung zu bemerken. Der exakte Zeitpunkt unserer historischen Beobachtung auf der Erde ist, wie Sie schon wissen, verehrter Dekker Zelton, das Jahr 2141 nach Christus. In unserer technisch erzeugten Zeitlosigkeit sind wir als die Beobachter der historischen Phase der Erd- und Menschheitsgeschichte eingesetzt, als man tatsächlich allgemein, auch die herrschenden Wissenschaften, dem Irrglauben verfallen war, dass die Prozessentwicklung der Geschichte hin zu der Vollendung des Menschentums auf der Erde ihr Ende gefunden hatte. Das ist etwas, das jetzt schon zu 100 Prozent durch unsere Beobachtungen bestätigt worden ist. Es wird in späteren Berichten noch davon die Rede sein.
Weiter: Kaum ein Mensch auf Erden riskierte noch etwas, was wir sofort bei Beginn der Beobachtungsphase REAL-VID-RAY realisiert haben. Wer kannte noch Jesus Christus oder irgendeinen anderen Propheten oder Heilsbringer – geschweige denn einen berühmten Philosophen?!
Der Geist des Menschen war in höchster Gefahr. Dessen sind wir uns sofort sicher gewesen.
Eine Beobachtung während einer Phase richtet sich manchmal auch nur auf einzelne Personen. Und um 19.20 Uhr mittel-dominionischer Zeit haben wir einen gewissen Demoniak Socke (Erklärung: Demoniak = Funktionsbezeichnung des Beobachteten, Socke = Personenname des Beobachteten) fixiert. Nun gut, einer saß auf dem braunen Haufen des Ekels, auf welchen Regentropfen niedergingen: eine Nacht, zwei Nächte lang. Es war eben dieser Demoniak Socke, der vor sich hin lächelte und weder Sorgen noch Freuden kannte in seinem Leben, dessen Uniformität er ganz fabelhaft fand. Er war in sich ruhend vollkommen. Kein Wässerchen konnte ihn trüben. Das haben wir detailgenau beobachtet und digital abgespeichert. Diese Person kennen wir.
Genau, und wir wissen weiter von ihm: selten war er kommunikativ, glaubte nicht, sich mit anderen menschlichen Wesen oder Androiden unterhalten zu müssen. Socke war als Demoniak Nummer 22231 zum Wachdienst abkommandiert worden.
Beobachter-Kommentar: Damals war solch ein Befehl die Normalität. Von heute aus gesehen – in unserer technischen Zeitlosigkeit und mitten in einer Sphäre des Spätfreien Zeitalters - erscheint solch ein Befehl als sehr menschenfeindlich. Derartiges lehnen wir heute ab, weil es ein kleiner, aber extrem inhumaner Auswuchs in der Menschheitsgeschichte ist. Von uns aus kann es aber nicht mehr korrigiert werden. Das könnte auch nicht unser Auftrag sein!
Weiter: Das linke Auge Sockes war künstlich verschlossen. Und in seinem Vollkörper-Panzer aus elastischem Kunststoff, mit dem er durch die Erdatmosphäre bis hoch in die Erdstratosphäre schweben konnte, sah er schon ein bisschen futuristisch aus, doch es störte die, die ihn ab und zu betrachteten, nicht sonderlich. Wach-Demoniaks wie ihn gab es zu Tausenden in der Region.
Man hatte Socke bestens auf seine Lebens- und Berufssituation eingestellt. Während er auf Erden wandelte, also während der Zeit der „Vollendung alles Guten“ fanden sich zahlreiche brave Beamte wie er. Sie waren hoch angesehen in der Region. Ihr Pflichtbewusstsein war sprichwörtlich.
Socke rauchte dort, wo er jetzt auf Wache war, mit größter Seelenruhe eine teure Zigarette. Die Zigaretten waren im Einzelhandel in diesen Jahren sehr teuer. Es hieß sogar, dass sie rationiert werden sollten. Eigentlich waren sie, hieß es, nur noch ein Relikt aus ferner Zeit, als die Menschen noch von Gefühlen redeten und von Freiheit träumten. Inzwischen war alles längst perfekt geregelt. Menschliche Wesen waren nichts Besonderes mehr, hatten in den Androiden ihre treuen Seelen, mit denen sie beliebig oft Umgang haben durften. Es war von der X-Dominion in der hiesigen Region selbstverständlich erlaubt.

Die X-Dominion als führende Steuereinheit aller Demoniaks und wichtiger Beamten sowie von diversen organisatorischen Untereinheiten in der hiesigen Region hatte beschlossen, die Arbeit am Menschengehirn, das Menschengehirn an sich, weiter mit äußerster Disziplin zu perfektionieren.
Gewissheit bestand im Übrigen darüber, dass die Gehirnkontrolltechnik zur Überwachung aller Einwohner in der hiesigen Region längst perfektioniert war, eigentlich musste gar nicht mehr so viel passieren, um menschliche Wesen für ihr Leben einzunehmen, da es doch ganz gleichgültig war, ob jemand lebte oder nicht. Der eine oder andere, der meinte, nicht am Glück aller teilhaben zu wollen, wurde einer speziellen Gehirn-Bewusstseinskorrektur unterzogen, die ihn nicht wenig kostete, vor allem aber seine Nerven, denn er musste sich ihr bei vollem Bewusstsein unterziehen.
Es gab eine Alternative zur Arbeit am menschlichen Gehirn, die eindeutig öffentlichen Charakters war, nämlich jeden Einzelnen, der das befohlene Alltagsleben, wie es geplant war und jedermann zu leben hatte, nicht mit machen wollte, die Macht der X-Dominion spüren zu lassen, indem Demoniaks los geschickt wurden, um Ordnung zu schaffen und Ordnung zu nehmen. Sie demonstrierten die Herrschaft der X-Dominion eindrucksvoll. In Öffentlichkeitsarbeit war man sehr erfahren in der Region – und überall auf der Erde.

Wie schön! (Beobachter-Kommentar). Wahrhaftig wurde es erheblich weniger bequem im ganzen Staat, in dem angeblich, so lautete die Staatsdoktrin, jeder mit seinen eigenen Gedanken und Absichten, sogar mit seinen eigenen Gefühlen leben durfte. Wer hier lebte, wusste es viel besser: Lüge, alles war Lüge. Die menschlichen Wesen hier waren Lüge! Das soziale System der X-Dominons, das alles und alle durchdrang, zu erfüllen schien, in Wirklichkeit jedoch aushöhlte, war eine einzige Lüge, was die Humanität anbetraf, die stets überall, bei jeder Gelegenheit, als wesentliches Merkmal einer jeden X-Dominion behauptet wurde! Wer von denen, die hier dauerhaft lebten, fiel auf diese Lüge noch herein?
Wir konnten uns dies kaum vorstellen. Es durfte naive menschliche Wesen auf Erden gar nicht mehr geben.

Das voll kontrollierte Alltagsleben in der X-Dominion, die wir beobachteten  – hier waren, wie man in der Öffentlichkeit nicht müde wurde kundzutun, alle menschlichen Wesen angeblich glücklich und alle satt und alle gut! - wurde seit ein paar Jahren erstens teurer (die Arbeitslosigkeit unter denen, die sich Randständler nannten, war zum Normalfall geworden!), zweitens musste seit zwei Monaten bei der zentralen Steuerungseinheit  des Staates, der X-Dominion DELTA, jedermann per digitalem Input Rechenschaft ablegen über jeden einzelnen Tag seines Lebens, obwohl es doch die Gehirnkontrollfunktion gab!
Das war jetzt wohl zu viel, denn das kostete Zeit und machte Mühe. Die meisten menschlichen Wesen hier kamen sich sowieso längst viel zu überwacht vor, obwohl (eben!) ihre Gehirne vom Mega-Com ihrer zuständigen X-Dominion permanent durch logische Intensiv-Analyse ihres Denkens und Fühlens kontrolliert wurden. Der Sinn dieser täglichen Meldung leuchtete fast keinem der Überwachten ein.

Das man in seiner Stamm-Region, so dachte Demoniak Alodrius Socke (Kommentar der Beobachter-Gruppe: unsere Gedankenüberwachung funktioniert bestens!), immer noch so viel zu kontrollieren hatte, wunderte ihn mittlerweile durchaus. Er gehörte nämlich zu dem Wachpersonal, das die Ausführung der Regierungsverfügung in Form der oben erwähnten Rechenschaftslegung während der Umsetzung in die Praxis lückenlos zu überwachen hatte.
Die zentrale Steuerungseinheit X-Dominion DELTA war – bei uns, den Beobachtern - bekannt für ihre rücksichtslosen Methoden, die die individuellen Belange der menschlichen Wesen oftmals mit Verständnislosigkeit traktierte, sowieso ablehnend war gegenüber denjenigen, die auch nur noch im kleinsten Ansatz Kritik am System der Herrschaft der X-Dominions zeigten. Kritik galt in der Region, im ganzen schönen Staat offiziell als Höllengeburt, die unverzeihlich war.
Das, was man einstmals Recht nannte, galt als vorsintflutliche Absurdität, die in der von uns beobachteten Gegenwart nichts zu suchen hatte. Einem Demoniak Alodrius Socke war das alles gleichgültig. Er war pflichteifrig tätig.

Ende des Berichts an MZ. Dekker Zelton.

Gruß an MZ. Dekker Zelton!

Ihre Beobachter-Gruppe Nr. 34
Beobachter Klaero Knacks



Ende des Textes



Kay Ganahl
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