Kartoffelbrei fürs Volk

Text zum Thema Essen/ Ernährung

von  Rudolf

Zu Hause angekommen stellte Nepomuk wie jeden Tag, wenn er aus der Schule kam, seinen Tornister neben den Schuhschrank im Korridor. Später würde er ihn in sein Zimmer mitnehmen, aber jetzt lockte den Jungen der unwiderstehliche Duft eines frisch zubereiteten Mittagessens in die Küche.

Das Desaster der Religionsstunde nagte in ihm.

„Mama, wusstest Du, dass Gott die Welt gemacht hat?“, ahnungsvolle Empörung schwang in der Frage mit.

Der kleine Nepomuk stand neben seiner Mutter und begutachtete das Spiegelei, das lecker duftend in der Pfanne spratzelte. Cremiger Kartoffelbrei dampfte in einem Topf am Rand der Herdplatte. Die Mutter hatte frische Kartoffeln geschält, gekocht und sie mit ein wenig des Kochwassers und viel Milch zu Brei gestampft. Zum Schluss hatte sie den Brei mit einem großen Löffel guter Butter und etwas Salz verfeinert. Unzählige Male hatte der kleine Junge seiner Mutter bei der Zubereitung zugesehn und er wusste, das Ergebnis war der leckerste Kartoffelbrei von der ganzen Welt. Angewidert hatte Nepomuk so manches Mal nur der Höflichkeit halber den Kartoffelbrei anderer Mütter gegessen. Es erschien wie ein Frevel, diese Erzeugnisse zweifelhafter Konsistenz mit dem einzig wahren Kartoffelpüree zu vergleichen, das allein seine Mutter herzustellen vermochte.

Neben dem Kartoffelbrei stand ein Topf mit Rahmspinat. Aus ihm drang bei genauem Hinhören von Zeit zu Zeit ein Blubb, wenn es eine Gasblase schaffte, sich vom Boden des Topfes an die Oberfläche vorzuarbeiten. Der Spinat war der schwächste Teil des heutigen Mittagmahls. Nepomuk wusste, dass seine Mutter einfach nur einen grünen, gefrorenen Ziegelstein aus dem Supermarkt in den Topf gelegt hatte, der sich unter dem Einfluss der Wärme langsam in grünen Brei gewandelt hatte. Nicht schlecht, aber doch tot gefroren und nicht vergleichbar mit dem lebendigen Brei aus frischen Erdäpfeln. Kartoffelbrei und Spinat hatten bereits darauf gewartet, dass Nepomuk aus der Schule käme. Nun konzentrierte sich die Mutter auf das Ei in der Pfanne. Es durfte keine braunen Ränder bekommen. Die mochte Nepomuk nicht. Das Ei briet in guter Butter. Butter war überhaupt das Geheimnis der Küche seiner Mutter. Sie mied das künstliche Fett, das den Hausfrauen über Fernsehen wie auch Zeitschriften aufgeschwatzt wurde, und folgte nicht dem Gerede der Margarine- und Bratfettvermarkter, sondern ihrem Gaumen.

„Mama, wusstest Du, dass Gott die Welt gemacht hat?“ Die Frage schwebte nach wie vor im Raum.

„Hm“, kam die abwesende Antwort der Mutter.

Das war für eine Frage, die am Morgen Nepomuks Weltbild für immer verändert hatte, unangemessen kurz, aber es hieß in jedem Fall ja. Nepomuks Befürchtung war bestätigt, seine Empörung wuchs, war nicht mehr geahnt, sondern wurde real. Alle wussten es und niemand hatte es ihm verraten – so eine Gemeinheit!

„Es gibt aber auch Leute, die sagen, die Welt wurde nicht von Gott gemacht. Sie sagen: Religion ist Opium fürs Volk“, legte die Mutter unerwartet nach.

Was war das jetzt? Davon hatte die Lehrerin im Religionsunterricht nichts gesagt. „Opium?“, überlegte Nepomuk, „das hatten wir in der Schule noch nicht.“

„Was ist Opium?“, fragte er laut.

„Ein Betäubungsmittel, es ist verboten, Leute nehmen es heimlich wie Medizin, wenn sie Schmerzen haben oder traurig sind.“

Wie die Mutter das sagte, verriet Nepomuk, dass sie sich mit Opium nicht auskannte. Opium fürs Volk, Betäubungsmittel, Schmerzen, das ging in die falsche Richtung. Mittlerweile saß der Junge am Küchentisch und vor ihm stand ein Teller mit lecker duftendem, hellgelbem Kartoffelbrei, tiefgrünem, sahnigen Spinat und einem weiß glänzenden Spiegelei, auf dem das perfekte Halbrund des rotgelben Eidotters thronte. Das war Nepomuks Lieblingsgericht. Das Leben konnte sehr schön sein. Die Empörung verrauchte, während ihm das Wasser im Mund zusammenlief und er nach der Gabel griff.

„Und Du? Was sagst Du, wer die Welt gemacht hat?“, plötzlich wusste Nepomuk wieder, was in ihm nagte.

„Ich weiß es nicht. Ja, es war Gott. Aber, wer ist Gott? Frag deinen Vater, der weiß doch immer alles.“

„Wir haben jetzt Religion in der Schule. Die Lehrerin heißt Frau Kurz.“

Während Nepomuk erzählte, was er im Religionsunterricht gelernt hatte, trennte er mit der Gabel kleine Stücke vom Spiegelei ab, dazu nahm er ein wenig des cremigen Kartoffelpürees und eine Gabelspitze des sahnigen Spinats. Zufrieden kauend arbeitete er sich langsam vom Rand des Eis zum Dotter in der Mitte vor. Die Mutter hörte ihrem Sohn zu, sah glücklich, wie es ihm schmeckte. Happen für Happen verschwand in seinem Mund, ein wenig Kartoffelbrei, ein wenig Spinat, ein Stück Ei.

Wie er sich blamiert hatte, erwähnte Nepomuk nur am Rande. Die Wunde war noch zu frisch. Gerade soviel, wie es nötig war, um den Schmerz zu lindern. Es tat gut, der Mutter andeutungsweise von der üblen Niederlage erzählen zu können und dabei sein Lieblingsgericht zu essen.

Umso ausführlicher spulte er sein neu erworbenes Wissen ab: „Frau Kurz sagt, dass Gott die Welt gemacht hat, sechs Tage hat er dafür gebraucht. Erst war alles noch dunkel und durcheinander, aber dann hat Gott für Ordnung gesorgt. Als Letztes hat Gott die Menschen gemacht und am siebten Tag hat er sich ausgeruht. Deswegen gibt es den Sonntag. Gott hat eine vollkommene Welt erschaffen und dafür müssen wir ihm dankbar sein.“

Später bei den Hausaufgaben musste Nepomuk oft aus dem Fenster in den Garten blicken. Das alles hatte Gott gemacht, die Pflanzen, die Tiere, die Sonne, den Himmel. Oder nicht? Was war mit den Wissenschaftlern und ihren Materieansammlungen? Es gab Wissenschaft und Religion und das schien getrennt zu sein, und es gab Leute, die sagten: „Religion ist Opium fürs Volk.“ Für alles sollte man Gott dankbar sein. Nepomuk war verwirrt, aber er war auch dankbar, dass er eine Mutter hatte, die wusste, wie man richtigen Kartoffelbrei mit Ei und Spinat machte. Nepomuk entschloss sich, das Grübeln einzustellen und weiteres Wissen zu sammeln. Schließlich hatte das Schuljahr gerade erst begonnen.


Anmerkung von Rudolf:

20110217: minimale Korrekturen

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Kommentare zu diesem Text


 Mondgold (15.02.11)
dem, der so über das wahre wesen von kartoffelbrei schreibt.
glaubt man ohne beweis (-; sehr gern gelesen M*

 Rudolf meinte dazu am 15.04.11:
Seitdem ich meiner Tochter diesen Text zum Lesen gab, muss ich am Wochenende Kartoffelbrei zubereiten. Ordentlich stampfen ist eine Sache, aber die Butter ist glaube ich das Entscheidende.

Danke fürs Lesen und Loben.
kleinerflirt (47)
(17.02.11)
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 Rudolf antwortete darauf am 15.04.11:
Danke. Beziehst Du Dich auf den Kartoffelbrei, die Verknüpfung der Sinnfrage mit einer Alltagssituation oder worauf? Wäre interessant zu wissen, wo es genau getroffen hat.
rätselhaft (78)
(02.04.11)
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 Rudolf schrieb daraufhin am 15.04.11:
Ich weiß genau, was Du meinst. Erst letzte Woche hat der Bischoff von Doncaster einen Vortrag im Rahmen von Veranstaltungen während der Fastenzeit gehalten. Da saßen ein Haufen gestandener Christen und er fragte sie: „Wie kommt es eigentlich, dass Umfragen zufolge Christen spontan antworten, dass Gott ihnen ihre Sünden vergibt, aber wenn sie gefragt werden, ob sie frei von Schuldgefühlen seien, dies verneinen?“ Irgendwie sind selbst die, die am „unschuldigsten“ sein sollten, verbaut, verbittert, verbohrt. Den Gesichtern der Anwesenden nach, hatte er mit der Frage ins Schwarze getroffen.
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