Nicht die Wissenschaft, sondern Ich, Moritz, stellte fest ...

Dokumentation zum Thema Biographisches/ Personen

von  Lala

Moritz' Welt
I.

Ich habe festgestellt, dass ich keinerlei Ideen mehr habe oder wenn ich doch eine habe, keine Lust mehr habe anzufangen, sie auszuformulieren. Überdies habe ich festgestellt, dass ich Texte, die länger als drei Zeilen sind, die gar über eine Bildschirmseite hinausgehen, nicht mehr lesen mag. Romane? Romane sind mir ein Gräuel. So grauenhaft wie ellenlange Beschreibungen oder Bedienungsanleitungen. Zum Auslaufen! Ähnlich verhält es sich mit Musik.
Musik schalte ich konsequent ab. Wenn, dann höre ich Nachrichten. Aber nicht um ihnen zuzuhören, sondern einfach nur so, als sei da jemand, der mit mir spräche. Einfach als Geräusch im Hintergrund. Nicht, weil es mich interessierte, was gesagt wird. Zuzuhören ohne hinzuhören darauf bin ich gewissermaßen konditioniert. Privat wie beruflich. Ja, nein, nicken, „Na, denn ein andern mal“ sagen. Es macht mir nichts aus, wenn mir jemand Nachrichten vorliest. Das höre ich nicht. Das rauscht wie das Meer und massiert mir die Stille.
Musik hingegen ist anstrengend. So anstrengend wie ein seitenlanger Text, der mir aufgenötigt wird, wie ein auf mich einquatschender Japaner oder Russe bzw. jemand, der in einer Sprache faselt, die ich nicht verstehe, und zwar ohne Punkt und Komma faselt und mit dem Gestus, dass ich ihm doch bitte zuhöre, dass ich ihn doch unbedingt verstehen möge und wohlmöglich auch noch gut finde. So die Nerven zerreibend klingt Musik in meinen Ohren. Wahrscheinlich könnte ich besser einem schwachsinnigen Kinde, das stundenlang debil auf Zimbeln oder Glockenspielen rumhämmerte, zuhören.
Krach enthält keine Information. Es ist schlicht Krach. Er will nichts von mir. So wie der Nachrichtensprecher auch. Der will nichts von mir und der weiß auch nichts von mir, aber Texte, Musik, Bücher, Filme und Bilder, die wollen immerzu etwas von mir, die erwarten, dass ich mich ihnen gegenüber verhalte. Ich will mich aber nicht verhalten. Ich bin blanko. Ich bin - ich verhalte mich nicht mehr!


II.

Ich habe festgestellt, dass es in Berlin zu wenige Nummernschilder gibt. Ich habe festgestellt, dass jeder Berliner mindestens einen Zweit- und einen Drittwagen besitzt. Vielleicht auch mehrere davon. Das stelle ich jedes Mal fest, wenn ich einen Parkplatz suche. Die Fahrbahnen sind links und rechts vollgestellt mit Stehzeugen. Insgesamt sind das so viele, dass die Zahl der möglichen Nummernschilder bei Weitem nicht ausreichen kann. Das kann ich beweisen:

Wenn es keine Parkplätze gibt und Berlin über achtzehnmillionen Meter Fahrspuren hat, von denen morgens und zu Feierabend genau siebzehnmillionenneunhundertfünfund-achtzigtausendsiebenhundertdreiundvierzig Meter Stoßstange an Stoßstange zugestaut sind, mit Fahrzeugen einer Durchschnittslänge von zweieinhalb Metern, dann fehlen Berlin einemillionsiebenundachtzigtausendvierhundertundfünf Kennzeichen. Selbst wenn ich die Pendler aus Ostland samt den Import-Export Lastern aus dem Orient und Okzident rausrechne und obendrein die öffentlichen Betriebsfahrzeuge und Droschkenfahrer abziehe, selbst dann fehlen immer noch achthundertachtundfünfzigtausenddreihundertundneun Nummerschilder mit dem Kennzeichen B.
Wo sind die, frage ich? Wo? Und wer, wenn es denn zu den Doppelten zählt, fährt gerade mit meinem Kennzeichen herum? Wer?
Ich habe festgestellt, dass ich es nicht komisch fände, wenn jemand mit meinem Kennzeichen führe und ich für sein Tun verantwortlich gemacht werden würde. Ich bin einzigartig und habe ein Anrecht auf ein individuelles Kennzeichen.


III.

Ich habe festgestellt, dass die Veterinärdichte in Berlin Zehlendorf, um genau zu sein: in der Lindentaler Allee, signifikant ist. Quasi in jedem zweiten Haus, korrigiere Villa, hinter dem Mexikoplatz ist das Schild der Veterinärmedizin angeschlagen. Es war so verwirrend, dass ich Hausnummer Sechs mit Hausnummer Neun verwechselte bzw. es gerade noch vermeiden konnte, mich in der Sechs zum Affen zu machen.
Wie allgemein bekannt, ist Zehlendorf das Viertel von Berlin mit der geringsten Zahl an Hartz Vier Empfängern und der größten Proteststärke gegenüber den abknickenden Flugrouten des neuen Flughafens BBI. Aber das sind Allgemeinplätze, außer der Ableitung, dass Neuköllner und Spandauer taub oder tumb sein müssen.
Wichtiger ist es, festzustellen, dass die Haustiere in Zehlendorf kurze Wege zum Facharzt oder Arzt ihres Vertrauens haben und deren Besitzer kein Problem damit haben, sich vorab zu verpflichten, die gesamte Rechnung in bar zu bezahlen - ansonsten blieben ihre tierischen Begleiter unbehandelt. Als Veterinärfacharzt oder –Ärztin würde ich meine Praxis auch nicht in etwaigen Gehaltsgettos eröffnen, denn ich habe festgestellt, dass der Besitz von Haustieren ihren Haltern eine gute Vorstellung des modernen Humanmedizinmanagment und den Auswirkungen des freien Wirkens eines Marktes liefern können. Aber darum geht es auch nicht.
Ich habe festgestellt, als ich vor vier Jahren Ablassweihnachtsgebäck an die Kinder von Matze und Elke in Cottbus Sachsendorf brachte, dass Haustiere, hier in Gestalt von drei kleinen Katzenkindern, auch in Hartz IV Familien beliebt sind.
Heute verstehe ich aber, als wir beim Kaffe in der Küche saßen, warum die Kinder davon überzeugt waren, dass das „Schlittenfahren“ der Kätzchen ganz normal sei. „Das machen die alle, Onkel Moritz.“ Aha, dachte ich damals und heute? Finger in Po - Mexiko! Damals hatte ich immerhin schon für mich feststellen können, warum wir alle, die wir da am zweiten Advent beisammensaßen, schlechte Zähne hatten.


IV.

Ich habe festgestellt, dass wir Ostfriesen geworden sind. Zwar schaffe ich es immer noch alleine, eine Glühbirne einzudrehen ohne dass neun andere meine Leiter drehen müssen, aber wenn ich bedenke wie viele Menschen vulgo Ostfriesen es mittlerweile braucht, um einen Geistesblitz zu haben, um Erleuchtung über die Menschheit zu bringen, dann, so habe ich festgestellt, sind wir mittlerweile ein Volk von Ostfriesen geworden.
Und während am Watt schon eine Birne reicht, um zehn Idioten helles Licht zu spenden, so hat heute eine neue Erkenntnis im Weltwissen nur eine kaum merkliche Veränderung der Helligkeit zur Folge. Mit immer größerem Aufwand wird an der Schraube des Wissens gedreht und was aber machen die Idioten? Sie lassen ihre Jalousien herunter, weil es ihnen zu hell geworden ist …

Ich habe festgestellt, dass wir Ostfriesen den falschen Blickwinkel haben. Ich habe festgestellt, dass wir Ostfriesen zu weit weg von denen sind, die auf den Wissenstürmen, auf den Weisheitsbergen hocken und mehr Licht ins Dunkel bringen. Wir aber stehen am Fuße dieser Gebirge. Wir sind zu weit unten. Uns erreicht dieses Licht nicht mehr. Nur noch in Form von Konsumartikeln oder Glühbirnen, die unsere Welt verschönern und erleuchten sollen. Wir benutzen sie aber wie die Ostfriesen die Glühbirne. Wir verstehen nichts von ihr.

Ich habe festgestellt, dass es sehr bequem ist, ein Ostfriese zu sein.


V.


Ich habe festgestellt, dass die tödlichsten Erreger der Menschheitsgeschichte durch und von Scheiße übertragen werden. Zu spät, sich das Arschloch zuzukleben.

Ich habe festgestellt, dass die Infizierung mit Scheiße autogen erfolgt und unvermeidlich ist. Zu spät, sich das Arschloch zuzukleben und unütz.

  Die Scheiße, so viel ist sicher, wird von innen erzeugt, aber ich habe keine Ahnung, warum es so lange braucht, um festzustellen, dass Scheiße Scheiße ist?

Pontius Lala empfiehlt: Waschen Sie sich stets - vor allem vor und nach Ihrer Notdurft - Ihre Hände.

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (42)
(13.03.11)
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 Lala meinte dazu am 14.03.11:
Echt? Dankeschön.

 Songline (13.03.11)
Das ist ein sprachlich und inhaltlich sehr gelungener Text. Meine persönlichen Highlights:
"Das rauscht wie das Meer und massiert mir die Stille."
"Die Fahrbahnen sind links und rechts vollgestellt mit Stehzeugen."
"Als Veterinärfacharzt oder –Ärztin würde ich meine Praxis auch nicht in etwaigen Gehaltsgettos eröffnen"

 Lala antwortete darauf am 14.03.11:
Hallo songline,

ja die massierende Stille, die fand ich auch ganz gelungen. Danke.

Gruß
Lala

 claire.delalune schrieb daraufhin am 21.03.11:
Meine drei Lieblingssätze hat Songline schon rausgepickt.
Toll erzählt.
LG, Kathrin
Sheol (23)
(13.03.11)
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 Lala äußerte darauf am 14.03.11:
Hallo Sheol,

ob Nummer V. und VI. etc. folgen? Mal sehen. Ansonsten empfehle ich die Jalousien hochzuziehen. Danke für Lob und Lesen.

Gruß

Lala
Abrakadabra (41)
(14.03.11)
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 Lala ergänzte dazu am 14.03.11:
Hallo Zauberman,

Ionesco? Naja, da sage ich nicht nein. Aber da es mir wie Dir geht, habe ich die I. zur I. gemacht. Interessant, dass ich wieder Lese- und Schreibgefühl bei uns zu decken scheinen. Obgleich ich einen weiteren Teil auch für janz jut halte.

Gruß

Lala
fdöobsah (54)
(17.03.11)
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 Lala meinte dazu am 18.03.11:
Ah, Herr fldöobsah,

das finde ick ja sehr schön. Und ja, es war beabsichtigt mit diesem no go zu beginnen, welches bei Literaturforen ein eindeutiges Stoppsignal zum weiterlesen ist, bzw. anzeigt: der Autor musste Blätter füllen. Gut zu wissen, dass Du dann bei mir nicht gleich abdrehst. Allerdings die "V. ..." ist eher windelweich von mir plaziert worden. Den Anschluss an die erste Zeilew sah ich schon als gegeben an, aber andererseits dachte ich da noch, dass baue ich weiter aus, vielleicht zu einer Kolumne. Doch mittlerweile finde ich, dass diese Einleitung zu sehr einengt und sich allzuschnell abnutzt. Mit dem Watt und der Birne hast Du den Text geannt, den ich neben I. für am flutschigsten halte und daher stellte ich den einen voran und den anderen hintendran.

Danke fürs Lesen und noch mehr für den Kommentar.

Gruß

Lala
(Antwort korrigiert am 18.03.2011)
Regentrude (52)
(21.03.11)
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 Lala meinte dazu am 22.03.11:
Hallo Regentrude,

nicht mehr und auch nicht weniger war das unbescheidene Ziel: unterhalten. Wenn es süffig war, dann schenke ich mir jetzt darauf auch noch einen ein ;) Danke.

Gruß

Lala

 Ingmar meinte dazu am 25.03.11:
keine zeit zum kommentieren. keine zeit zum lesen, aber. wie hätte ich aufhören können. keine zeit zum kommentieren. ein wort nur, gar nicht von oben herab, wie es klingt: bravo.

ingmar

 Lala meinte dazu am 28.03.11:
Hallo Ingmar,

du gehst mit dem Finger in eine offene Frage. Der Titel von wegen Moritz' Welt bzw. ich, Moritz, der schmeckt mir nicht mehr. Den Moritz baute ich ein, um einen ironischen Bruch hinzubekommen. Aber selbst der scheint nicht zu verfangen und mir stößt er heuer eher sauer auf.

Schon ein paar Tage nach dem upload dieses Textes, dachte ich und denke noch immer, dass weder Moritz noch Gott in den Titel passt, sondern nur "ich". Wer verwechseln will, wird eh verwechseln. Aber der Moritz ist irgendwie feige, wie ein Versteck.
Meine Leseerfahrung, mein intimes Verhältnis zum Text, welches ensteht, wenn ich das erste mal und am Besten unbehelligt von anderer Leute Meinung, den Text lese, ist göttlicher Natur: mein Empfinden ist nicht teilbar und authentisch. Beim schreiben, verfassen oder hochladen eines Textes, dem Aufblasen einer kleinen Welt, ist es doch noch extremer, oder? Es ist immer von oben herab, nicht? Dabei müssen wir ständig uploaden ... Das könnte die V. sein.

Grüße von

Lala, Moritz, Einstein und natürlich himself: HEL.
*Frieda* (48)
(25.03.11)
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 Lala meinte dazu am 28.03.11:
Hallo *Frieda*

Schön, dass Dir der Watt und die Birnen gefallen haben. Da ich leider eine Rechtschreibschwäche habe und auch sehr unbeweglich bin, ging es mir, wie Dir, als ich die roten Wellenlinien unter meinem Greuel sah: grausam. Grausam mir meinen Greuel, als Gäulegräule auf dem Viehmarkt Konrads Duden zu verkaufen.

Aber dann dachte ich mir, dass ich, ich, der Orthographie- und Grammatik-Chaot - schau Dir meinen Titel noch mal genau an - immer noch keine bella figura mache, wenn ich bewusst Greuel schreibe, aber ansonsten Gräuel verbreite.

Trotzdem habe ich lange mit dem Grauen gerungen ;)

Gruß Lala
dunham (41)
(03.04.11)
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 Lala meinte dazu am 14.04.11:
Danke, dunham. Darf ich abtreten?
dunham (41) meinte dazu am 15.04.11:
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Wellblecheisenbahn (39)
(10.04.11)
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 Lala meinte dazu am 14.04.11:
Zuviel des Guten, mein Bester. Göttlich möchte ich im Leben nicht werden und ich freue mich viel mehr auf ein: Lass gut sein, lass los, lass fallen.

 Vaga (08.09.11)
Ach, Lala, ich konnte mal wieder so herrlich lachen. Du fasst die Worte und gibst ihnen einen eigenen (intelligenten) Schopf. Es freut mich immer wieder, wenn mir der Zufall sowas beschert .
Ein paar kurze Anmerkungen noch
dass ich ihn doch unbedingt verstehen möge und wo[...]möglich auch noch gut finde.
Wobei ich mir nicht sicher bin, ob du womöglich (wohlmöglich) an der richtigen Stelle absichtlich falsch geschrieben hast, denn es passt hier so richtig schön .
Das stelle ich jedes Mal fest, wenn ich einen Parkplatz suche
und
um festzustellen, dass Scheiße Scheiße ist?
Die Stehzeuge mag ich - nebenbei bemerkt - sehr . Grüße - Vaga.

 Lala meinte dazu am 08.09.11:
Hallo Vaga,

freut mich wenn es Dich unterhalten hat, auch wenn es vielleicht an der oder der Stelle so nicht beabsichtigt war ;) Ja, ich finde es auch immer wieder echt mutig von mir, mich mit der deutschen Sprache anzulegen :))

Zum Fall womöglich, sage ich nichts ohne meinen Anwalt. Ansonsten habe ich die Verbesserungen, Korrekturen übernommen. Danke.

Aber was mich gerade am meisten irritiert ist, dass ich gar nicht mehr in Erinnerung habe, wann, wo und was ich da an V. Stelle reingeschrieben habe. Das wirkt auf mich sehr fremd. Weia.

Gruß

Lala
schronzdorf (27)
(19.11.11)
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 Lala meinte dazu am 20.11.11:
Hallo schronzdorf,

schön wenn es gefällt, was ich so verzapfe. Aber für einen Roman fehlt mir der Atem, die Disziplin und der Fleiß - wenigstens eine Idee hätte ich ja schon. Aber es freut mich, wenn Du Kontraste entdecken konntest. Die halte ich - so wie Du - für wichtig, um nicht allzu langweilig zu werden.

Gruß

Lala
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