Zacharias Bretzelburgs wundersame Antenne

Text zum Thema Weihnachtsgeschichte

von  Lala

V.

Natascha fluchte. Die Bedienungsanleitung war zwar auf russisch und von Onkel Alexej verfasst, aber sie hatte trotzdem große Mühe, diese Seemine von einer Antenne anzuschließen. Obwohl Natascha eine gute Schule durchgemacht hatte; eine Schule, die darauf basierte, nichts außer Ideen zu haben. Was dieser Schule der Sowjetunion an Material mangelte, wurde durch Erfindungsreichtum ausgeglichen. Natürlich hatte das Grenzen. Mikroschaltkreise werden nicht mit Kleber und Kleiderbügeln repariert, aber die Antenne von Onkel Fock atmete noch den Geist der alten Zeit, in der sich alles mit ein bisschen Öl, Lötzinn und einer Überbrückung richten ließ.

Andererseits war die Antenne aber auch störrisch. Natascha hatte es geschafft sie an den Fernseher anzuschließen, denn ein Antennenkabel sei ein Antennenkabel, wie sie wiederholt, dem stumm und voller Erwartung vor dem dunklen Altarbild des Fernsehers sitzenden Zacharias immer wieder versicherte, aber die Verbindungen der pickligen Pole, die wie Stifte auf der Außenhülle der Antenne steckten, bereiteten ihr Ärger und schlimmere Fingernägel, als sie eh schon waren. Zacharias Eisenbahnerkiste, in der er reichlich Märklinzubehör zur Elektrifizierung eines Schienenkreises gehortet hatte, erwies sich Nadeschda zwar als nützlich, aber selbst als sie es endlich geschafft hatte, alles so miteinander zu verdrahten, wie es auf der Anleitung stand, blieb das Bild des Fernsehers? Schwarz. Um genau zu sein: pechschwarz. Eine Blamage! Zacharias zwischenzeitlichen Hinweis, ob sie bemerkt hätte, wie schwarz das Schwarz doch sei, war ihr kein Trost gewesen.

„Ist sie kaputt?“, fragte Zacharias zaghaft. Einerseits war er von den Fähigkeiten Nataschas beeindruckt, andererseits sah er in dieser Halbkugel mit verdrahteten Noppen keine Antenne sondern eine Technik, die ihn an diese Plastikautos erinnerten, die auch so stanken, wie sie aussahen.
„Nein, Herr Bretzelburg, sie ist nicht kaputt. Sie funktioniert  - nur noch nicht so ganz.“ Und Natascha machte eine Pause. „Ich weiß noch nicht, was Alexej mit einem Elektroabakus meint. Das ist das Problem. Hier steht EA und in der Legende steht dafür: Elektroabakus. Andrej, welcher ist mein Bruder, hat mir versichert, er hätte alles so gesendet, wie es war. Ich verstehe es nicht. Dieser Elektroabakus müsse in den Elektroschlitz, der hier, genau in der Mitte des Gerätes ist, eingeführt werden. Aber in der Kiste ist kein Elektroabakus oder irgendetwas, was da rein gesteckt werden könnte. Nichts!“
„Schlitz? Hast Du Schlitz gesagt“, fragte Zacharias.
„Hast Du Borschtsch in den Ohren? Ja. Schlitz. Und?“ Natascha war genervt.
„Vielleicht meint Dein Onkel eine EC Card oder so was?“
Natascha schaute Zach an, schaute auf die Maschine, schaute auf den Schlitz, dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, Zach, als Onkelchen gelebt hat, hat noch niemand auf der ganzen Welt und auch nicht in den USA eine EC-Karte benutzt.“
„Aber Dein Onkel ist Erfinder, oder?“ fragte Zach und begann Interesse am Problem zu entwickeln.
„Aber er hat nicht erfunden Bankautomat.“
„Aber da ist ein Schlitz, oder?“
„Ja. Und? Was hast Du nun vor?“
Und bevor Natascha die Frage zu Ende formulieren konnte, war Zacharias aufgesprungen, kramte aus einer Schublade seines Wohnzimmersideboards eine Chipkarte hervor und hielt sie Natascha triumphierend vor die Nase.
„Was ist das?“, fragte Natascha, die nicht glauben wollte, dass Zacharias ernsthaft glaubte, mit irgendeiner Chipkarte die Antenne ans Laufen zu bringen.
„Das, Frau Silberstein, ist ein Elektroabakus fürs Fernsehen. Fürs Privatfernsehen. Pay-TV“, und Zach betonte jeden Buchstaben, während er die Karte in den Schlitz führte: „Die Karte ist zwar abgelaufen, aber die Antenne ist ja wahrscheinlich auch älteren Datums, nicht?“

Diese Form der Problemlösung lag Zacharias: Schlitz verlangt Karte. Wenn Karte in Schlitz, dann neue Instruktionen oder Bilder. Das war für ihn wie puzzeln. Er hatte zwar keine Ahnung oder auch nur eine Vorstellung, woher die Puzzleteile gekommen waren oder aus was sie bestanden, aber er wusste: Eine Karte gehört in einen Schlitz. Eine Karte war ein Werkzeug. Er wusste, dass eine EC-Karte wie ein dünner Ast ist. So dünn, dass seine nächsten Verwandten, also sein pelziger Onkel Affe, dünne Äste wie EC Karten in die Löcher eines Ameisen- oder Termitenbaus stecken und lecker belegt mit Insektenprotein wieder herausziehen würden. Kurzum: Schlitz verlangt Karte! Und so schob Zacharias seine abgelaufene Schnupper-Pay-TV Superchannel-Sky Karte in den Schlitz von Onkel Alexejs Bildempfangsmaschine. 

Voller Spannung starrten die Beiden abwechselnd auf die Antenne und den Fernseher, auf den Fernseher und auf die Antenne - aber es geschah? Nichts.

„Jetzt stinkt sie noch mehr.“ meinte Zach, und bevor er weiterreden oder Natascha antworten konnte, machte die Maschine plötzlich eine Art Bäuerchen. Zach und seine Nachbarin erschraken und wichen ein paar Schritte zurück. Jetzt spürten sie auch ein Vibrieren. Basswellen schoben sich durchs Wohnzimmer, sodass der Nippes in Zachs Glasvitrine zu tanzen begann; die Spitzen der Noppen auf der Antenne begannen in einem tiefen Blau zu leuchten und schoben sich langsam heraus wie die Antennen der alten Taschenradios. Es war nicht zu übersehen, dass alle Spitzen sich so ausfuhren, dass sie sich ziemlich bald, in einer Mitte treffen würden.

„Ich glaube es funktioniert.“ flüsterte Natascha, die vollkommen fasziniert war. Bretzelburg antwortete nicht. Er hatte furchtbare Angst. Er hatte mal eine Dokumentation über den Wettlauf zum Mond gesehen und das Bild der riesigen, russischen Rakete, die in einem Feuerball auf dem Startplatz in Baikonur zerplatzt war, prangte auf allen Monitoren in seinem Gehirn. Immerhin: seine zerebralen Fernseher, schienen wieder zu funktionieren. Kurz bevor es soweit war, kurz bevor sich die Spitzen trafen, griff er Nataschas Hand und drückte sie ganz fest.

Die Konsistenz der Luft war durch den Vibrationsbass geleeartig. Als die Spitzen sich trafen, machte die Maschine ein dumpfes, tönernes Geräusch, das wie  „Uuuumph!“ klang. Natascha und Zacharias sahen sich an und sahen sich und das Zimmer so verschwommen, als läge es auf dem Grund eines Wasserbassins. Dann machte es Zapp! Ein blauer Lichtball schoss aus der Mitte der Fockschen Antenne hinaus aus dem Fenster, flog in die Nacht und verschwand im Sternenhimmel - und der Fernseher ging an. Der Raum war mit einem mal erfüllt von herrlicher Musik und traumhaften Farben.

„Jetzt, bin ich aber erleichtert“, schnaufte Zacharias, der zwischenzeitlich einem Herzinfarkt nahe gewesen war und jetzt gar nicht mehr aufhörte vernehmlich die Luft herauszulassen und eine ganze Weile „Jetzt, bin ich aber erleichtert“ zu wiederholen. Nataschas Hand hatte er natürlich sofort losgelassen. Die war hin und weg von ihrer technischen Glanztat und hüpfte im Zimmer auf und ab und klatschte in die Hände.
„Super, super, super“, sang sie und auf russisch „Каждый день, Микки Маус“

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