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von  RainerMScholz

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Zwischen dem Be- und Entladen gibt es auch Pausen, die gerade im Winter sehr lang werden können. Wer nichts zu lesen dabei hat, um sich die Zeit zu vertreiben, muss schon Meister im Löcher-in-die-Luft-starren sein oder Karten spielen können. Manche Kollegen bringen auch ihren Schlafsack mit, so können sie nach der Schicht frisch zur Uni durchstarten und ihr Studium fortsetzen oder was auch immer. Medizin, Jura, Informatik, einige Ingenieure, Geisteswissenschaftler eher selten. Einer ist 'mal ausgeflippt und hat den Gepäckmeister mit einer Eisenstange bedroht, vielmehr, er ist ihm durch die ganze Halle hinterhergelaufen, hat ihn aber nicht erwischt. Die Arbeitsethik am Flughafen passte wohl nicht ganz zum Kategorischen Imperativ. Oder umgekehrt. Frankfurter Schule schon eher, sozusagen. Feldforschung für Soziologen. Wie auch immer. Ich dachte jedenfalls, dass ich ganz passabel Skat spielen könne. Der Philosophiestudent tauchte nicht mehr auf und ich verlor jede Schicht um die dreißig Mark bei einem Pfennig pro Punkt. Klar, Ansgar und der zweite Vorarbeiter, Didi, hatten gewiss mehr Muße, sich den im Grunde recht simplen Regeln dieses Spiels zu widmen, ihre spielerischen Fähigkeiten zu vertiefen. So kam ich jeden Morgen in meinem Spielerstolz geknickt und um ein oder zwei Stundenlöhne erleichtert nach Hause und musste erst einmal ein paar Bier wegmachen, während ich am Fenster stand und zusah, wie alle anderen zur Arbeit strömen, bei jedem Wetter, den Kragen hochgeschlagen gegen den Wind und niedergedrückt in der täglichen Tretmühle. Motörhead läuft auf der Anlage, und von Zeit zu Zeit gelingen ein, zwei mehr oder weniger vollständige Sätze auf der Schreibmaschine, die den nächtlichen Stumpfsinn aufwiegen, wenn auch nicht gerade in bare Sinnanalogien ummünzen. Die grauen Mäntel, die verhangenen Gesichter der Vorbeieilenden, die grauenhaft groteske Gestalt des Marktleiters auf der gegenüberliegenden Straßenseite, der die Auslage des Supermarktes hinauskarrt auf den Gehsteig und das jeden gottverdammten Morgen - all das verschaffte mir eine gewisse Genugtuung für die Gängeleien und die Dritte-Arbeitsmarkt-Stelle in der Aushilfenposition am Flughafen. Unterste Schublade. Ich hatte eines Morgens Gelegenheit zu beobachten, wie der kleine ernsthafte Mann im weißen Kittel einem lächerlichen Sonnenschirm hinterhergejagt ist, den der Wind ob seiner Leichtigkeit einfach hinfortgeweht hatte - im Winter -, und es hat geregnet und gestürmt und es war November und kein Sonnenschirmwetter. Ich habe die Rollläden heruntergelassen, dass er mich nicht am Fenster stehen sieht, habe das Licht abgedreht und mich ins Bett gelegt. Ich hatte eine gewisse Ahnung davon, was Heldenmut bedeutet. Täglich um sieben die beladenen Tische aus dem noch dunklen Markt zu schieben und versuchen, das Beste daraus zu machen, die Nerven zu bewahren und weiterzumachen aus einem vielleicht unerfindlichen Grund. 18, 20, 2, 3, 4 - und weg.

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