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Text

von  RainerMScholz

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Atec brüllt, als triebe er eine Herde besonders blöder Ochsen auf die Weide. In der Ankunftshalle fragen Passagiere nach ihrem Gepäck und beklagen die Servicewüste und sehnen sich nach den billigen Sklaven in ihrem Urlaubsland (wir sind die teuren), während ich nur Koffer, Koffer, Koffer sehe. Auf dem Beton des Rollfeldes ist es dreißig Grad Celsius in der Nacht. Ich schwitze und stinke in den blauen Arbeitsklamotten. Plötzlich läuft ein Hund zwischen den Gepäckbändern und -wagen frei herum, entkommen aus einer der Tierboxen. Diese Nacht geht vorüber; wie alle Nächte.
Ich will so wenig wie möglich mit dem Flughafen und allen die hier arbeiten zu tun haben. Ich will kein persönliches Gespräch und ich will keine komplizierte Lebensbeichte hören oder was die Freundin gerade macht. Ich möchte nicht einmal das seichte Gequatsche, das jedoch unausweichlich zu sein scheint und schließlich auch eine Art von Nähe und Identifikation herstellt. Ich will professionell (haha) meine Arbeit verrichten, die Zeitkarte in die Stechuhr stecken und nach Hause gehen, um wieder ich selbst sein zu können, ich selbst mit einer kalten Flasche Bitburger und den Kopfhörern auf, um wieder Motörhead und The Exploited und Discharge zu sein, ich selbst, an die nikotingelbe Raufaserwand starrend und die Nacht zu vergessen suchen.
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Dennoch bleibt ein gewisser Kontakt selbstverständlich nicht aus. Ötzi, der im richtigen Leben Özdemir heißt, versuchte mir im Postflieger die Grundzüge der türkischen Sprache zu erklären, leider ohne Erfolg, und von Uludan habe ich mehr über die türkische Kultur und Mentalität kennengelernt, als je ein liberal-aufgeklärter verkopfter Deutscher von seinem Alibi-Türken aus dem Kebabschuppen um die Ecke erfahren könnte. Oder wollte. Uludan war schon nicht mehr der jüngste unter den Studenten, ein beleibter untersetzter Mann mit Familie und einem bedauerlichen Sprachfehler: er lispelte und sein Deutsch war allein durch diese Unzulänglichkeit gebrochen und schwer verständlich, was die Bildzeitungsleser unter den Kollegen zu unablässigem Spott herausforderte. Schwer zu ertragen für einen aufrechten Menschen wie ihn, der zudem einen überaus hohen Bildungsgrad aufwies, gezwungen zu sein, unter soviel dummen Kreaturen zu arbeiten. Ihm zuzuhören war der Mühe wert, und ich verabscheute diejenigen, die ihn mit einem Jaja abspeisten, weil sie glaubten, die Geduld nicht aufbringen zu können. Uludan hat das mit einem lächelnd nachsichtigen Kopfschütteln abgetan. Nur ein einziges Mal habe ich ihn wirklich in Rage gesehen, und da ging es um etwas anderes. Und zwar war er zugegen, als die türkischen Kollegen über die deutschen Studenten verbalisierten und in ihm wohl den Gesinnungsgenossen sahen, weil er doch Türke ist. Uludan ist in ihren separierten Aufenthaltsraum hineingestürmt, hat eine Viertelstunde gebrüllt, dass die Scheiben zitterten und ist dann mit hochrotem Kopf an die nächste Staubahn, um Koffer abzureißen. Er wollte es nicht sagen, aber es hatte wohl etwas Unanständiges mit unseren Müttern zu tun. Nur dass die Typen so dumm sind, zu vergessen, dass unter all den von ihren elterlichen Rockschößen hängenden Muttersöhnchen eben auch ein paar türkische Akademiker sitzen, die ihrer Gossen-Hinterwaldbauern-Sprache durchaus mächtig sind, wenn auch nicht willens, sie zu teilen oder zu ertragen -, und dann: wie viele Muttersöhnchen haben es schon nötig für ihr Geld zu arbeiten.
Uludan war wirklich ein guter Freund. Als er keine Chance mehr sah für sein Studium und Geld verdienen wollte für seine Familie, hat der Flughafen abgelehnt. Trotz jahrelanger Erfahrung und trotz allen Bemühens. Er hat dann einen anderen Job angenommen, ebenfalls am Fließband und noch schlechter bezahlt, ich weiß nicht wo. Solch einen miesen Job, dass er sich zurücksehnt zu den Koffern, der Hitze und dem Lärm. Vielleicht zu den Kollegen. Sein distinguierter Schnurrbart hat gezittert als er ging.

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