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von  RainerMScholz

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Ohnehin hassen die Festies im Grunde die Akademiker, die Intellektuellen, die ständig diskutieren möchten, labern und scheinbar soviel nachdenken. Willst du mit mir diskutieren oder was? In Gedanken: willst du ein paar in die Fresse. Ich will nicht komisch werden, aber jeder größere Revoltengedanke sollte dieses Element unbedingt beachten.
Manche Festies benutzen den Begriff des Akademikers bewusst als Beleidigung. Man kann es am Tonfall hören, wie ein Ausspucken vor Leuten, die sich vermeintlich für etwas Besseres halten, die zukünftige Leitende sein könnten, und denen man jetzt noch ungestraft den Vettel vor die Füße schmeißen kann. Stellvertreterposition. Natürlich auch was die eigene Blödheit anbelangt. Dabei sind die meisten Studies hier, m. E., vom Intellektualismus soweit entfernt wie der Prophet von der Jungfrauenempfängnis. Eher demenzverdächtige Fälle. Doch scheint der Anfangsverdacht gegenüber dem Geistigen in der Evolution selbst zu liegen. Eine tiefsitzende Angst des Neandertalers gegenüber dem Homo Sapiens, eine Naziangst: weg mit der Schrift, dem Spiegel, dem Abbild, dem Zweifel, dem Menschen selbst, und lass die Schizophrenie mich regieren, den Biologismus, der mich reinwäscht von meiner Schuld und frei macht von der Verantwortung. Aber vielleicht geht das doch ein wenig zu weit und ich bin bloß paranoid, weil ich mein Geld selbst verdienen muss. Also ungefähr so gestört, wie alle anderen auch. Nur, dass ich es vielleicht gewundener umschreibe.
Ich komme dem Geheimnis näher: So überlebt ein Festie, der nie mehr dort wegkommen wird, wo er ist und darum weiß, der dort in Rente geht, hier bis ans Ende seines Vorruhestandslebens arbeitet und schuftet. Ich lege meine Bin-was-besseres-Allüren ab, meine Intellektuellenattitüde und begreife: das ist nicht nur eine Phase - das ist bereits das Leben. Alles andere ist Lüge. Mehr kommt da nicht und der Rest ist eitle Gaukelei und wohlgefälliges Schauspiel. Diese Erkenntnis ist Teil des Flughafendiploms. Für den Abschluss lasse ich mir noch ein wenig Zeit.
Für Lukas ist das ganz einfach: Er verdient hier seinen Lebensunterhalt. Damit hat's sich. Das ist, was sich für ihn ergeben hat. In der ehemaligen Tschechoslowakei wäre alles ungleich komplizierter gewesen, mühseliger und von der Hand in den Mund. Aber hier in Deutschland! Alles fantastisch organisiert bis zur Vergasung (Tschechen sind auch sehr humorvoll, wenn es sein muss.). Er weiß um den alltäglichen Irrsinn und hat sich damit arrangiert. Da muss man durch. Das gehört dazu und umsonst ist der Tod. Das ist es eben und so sind die Karten verteilt. Man muss sie spielen oder ausscheiden. Als wir uns näher kennenlernten, fragte er bereits zu Beginn, was in Gottes Namen ich hier eigentlich verloren hätte, wo ich doch studiere, ein Studierter sei, Akademiker. Geld verdienen ist damals meine Antwort gewesen und sie war zu dieser Zeit schon nicht mehr wahr. Alle haben verdient, dass sie hier sind, haben es verdient, sich selbst zuzuschreiben, waren zu träge oder zu blöde, etwas anderes zu machen, etwas auf die Beine zu stellen, wegzulaufen, ohne sich umzudrehen. Der Flughafen ist eine Ausrede, eine bequeme Lüge, ein Trugschluss, eine Ausflucht vor dem Leben. Jeder der hier Beschäftigten hätte das machen können, wonach er bis zum Zeitpunkt der Übernahme in das Beschäftigtenverhältnis gestrebt hat, bis sie alle hier angefangen haben. Aber sie haben es nicht getan, haben nicht losgelassen, konnten oder wollten es nicht. Martin arbeitet seit acht Jahren hier - Architektur. Kemal seit sechs - Jura. Marc seit sieben - ebenfalls Jura. Ansgar hat seine Entscheidung ebenfalls gefällt - BWL. Oder Jura? Thomas seit sieben Jahren - Ingenieurswesen. Viele legen nach ihrem absolvierten Studium noch ein weiteres nach, um die Beschäftigung aufrechterhalten zu können. Äußere Umstände, ja, aber auch: Leben in der Parklücke, in der Flucht, der Ecke, in der Schwebe und auf Abruf. Achmed kam als gelernter Friseur , weil das einfacher gewesen sei. Hier gibt es Schlosser, Metallarbeiter und Anstreicher, Installateure, Kraftfahrer und Schreiner. Keiner soll sich verdammtnochmal beschweren. Es war ihre Entscheidung so wie es meine gewesen ist. Ich kann jederzeit die Rampe verlassen. Und ins richtige Leben eintreten. Das Neonlicht ausknipsen und verschwinden. Ich kann einfach weggehen. Doch: wie das wohl sein würde, das richtige Leben? Ich bin noch hier. Immer noch hier. Sitze wie die Spinne im Netz und warte auf einen fetten Brocken, der irrtümlich vorbeifliegt, sich verfängt, noch ein wenig zappelt, bevor ich ihn verschlinge. Der muss dann reichen bis zum nächsten Mal. Solange träume ich vom Fliegen dann und warte. Bin ich immer noch hier.

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