Graziler Gang

Alltagsgedicht zum Thema Verlust

von  EkkehartMittelberg

Versunken schwebt sie durch das Kirmeszelt.
Noch kennt sie nicht die Eitelkeit der Welt.
Von Anmut zeugt ihr federleichter Gang.
Um dessen Wirkung ist ihr noch nicht bang.

Wenn sie erst süße Komplimente hört,
bewusst  kokett sie jung und alt betört.
Bald wird sie sexy ihre Hüften wiegen,
die Männer werden ihr zu Füßen liegen.

Berechnung wird dann ihre Schritte leiten,
Vorbei ist’s mit dem unbewussten Gleiten.
Noch heute ist sie das natürliche  Mädchen,
doch morgen hängt ihre Anmut am seidenen Fädchen.

© Ekkehart Mittelberg, Juli 2011

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (02.07.11)
Erst dachte ich: every inch a lady. gegen schluss dann geriet die dame auf metrische weise ins stolpern.

so einen hätt ich dir nicht zugetraut, ekki.

ps: ...um dessen Wirkung ist ihr gar nicht bang ...
rein klanglich.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.07.11:
Das metrische Problem in den letzten beiden Versen war mir bewusst, Lothar.
Dann dachte ich aber, dass ein fünfhebiger Jambus in den Schlusszeilen, die fünfhebig bleiben, die Abweichung durch Daktylen vertragen könne.
Wenn du einen Vorschlag machen kannst, der auch dort die reinen Jamben erhält, wäre ich dankbar.
LG
Ekki
(Antwort korrigiert am 02.07.2011)

 tigujo antwortete darauf am 02.07.11:
:-)

Bin zwar jambischer Novize, doch fiel mir grad eben

Heut ist sie noch das natürliche Mädchen,
schon morgen hängt Tugend am seidenen Fädchen

von der Daktylenpalme auf den Kopf

LG tigujo

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 02.07.11:
Vielen Dank, tigujo, mit deinem Vorschlag verlasse ich den fünfhebigen Jambus. Ich lasse es, wie es ist. Mein Metrum spiegelt die Unsicherheit, die mit dem Verlust der Anmut eintritt.
Liebe Grüße
Ekki
Nimbus (35)
(02.07.11)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 02.07.11:
Vielen Dank für deinen tiefschürfenden Kommentar, Heike. Mit dem Sündenfall des Bewusstseins (Koketterie) wird sich die Anmut des grazilen Gangs verlieren. Danach wird er vielleicht aufreizend sein.
Liebe Grüße
Ekki
Gruszka (62) ergänzte dazu am 02.07.11:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.07.11:
Wichtig, Gruszka, dass du den Verlust der Anmut /der Sensibilität auch auf Männer übertragen hast. In der klassischen Literatur dazu (Kleist: Über das Marionettentheater) wird es am Beispiel eines Jünglings (des Dornausziehers) verdeutlicht, der sich seiner anmutigen Bewegung bewusst wird und sie erfolglos zu wiederholen versucht.
Vielen Dank und liebe Grüße
Ekki
chichi† (80)
(02.07.11)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.07.11:
Vielen Dank, Gerda. Ich vermute, dass durch die Naivität zerstörenden Verführungen unserer Gesellschaft der Verlust der Anmut immer früher eintritt. Vielleicht gibt es ganz wenige Beispiele dafür, dass sie erhalten bleibt.
Liebe Grüße
Ekki
ichbinelvis1951 (64)
(02.07.11)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.07.11:
Ja, vielen Dank, Klaus, das seidene Fädcchen kann halten, aber es ist wohl ein schönes Symbol für die Gefährdung von Anmut in unserer Zeit.
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (02.07.11)
Die beiden letzten Zeilen sind sicher ein Problem in diesem Reimgedicht. Inhaltlich freilich köstlich. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.07.11:
Vielen Dank,lLieber Armin. Ich habe bisher noch jedes metrische Problem lösen können. Hier schaffe ich es nicht. Es sei denn, ich weiche auf einen vierhebigen Jambus aus, aber das wäre auch nur einen Notlösung.
Liebe Grüße
Ekki
LudwigJanssen (54)
(02.07.11)
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Wellblecheisenbahn (39) meinte dazu am 02.07.11:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.07.11:
Vielen Dank, lieber Ludwig, wenn es denn witzig ist, dann freuen wir uns doch mal alle, über so viel Witz - von allen Seiten.

Hallo Wellblech, Herrenreiterschmonzetten? Du warst wohl im falschen Film: "Wellblech reitet für Deutschland"-)))

Ekki
LudwigJanssen (54) meinte dazu am 03.07.11:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.07.11:
Lieber Ludwig,
du hast deine Sicht noch einmal ausführlich dargestellt und mir und den Lesern damit Zeit und Bemühen um Klärung geschenkt. Danke.
Nach nochmaligem Lesen meines Gedichts ist mir bewusst geworden, dass der Tugendbegriff darin missverständlich ist. Ich räume ein, dass ihm etwas Moralisierendes anhaftet. Ich werde ihn auf die Gefahr der Ausdruckswiederholung durch Anmut ersetzen.
Verlust der Anmut, so, wie ich sie verstanden wissen möchte, hat mit der Moral dessen, der die Anmut verliert, nichts zu tun, sie passiert durch Bewusstwerdung, wie ich es gegenüber Viktor versucht habe zu erklären. Wie gesagt, dieses Verständnis von Anmut hat sich in der antiken Mythologie herausgebildet und wurde bis über die Klassik hinaus weitergeführt. (Meiner Erinnerung nach wird es auch in dem Mythos von Adonis thematisiert, der sich in sein Spiegelbild verliebte.) Ich habe aus einigen Reaktionen gelernt, dass dieses Begriffsverständnis nur noch rudimentär vorhanden ist. Es scheint so, dass nach heutigem Verständnis Anmut von Charme kaum zu trennen ist. Das muss ich zur Kenntnis nehmen.
Mein Gedicht hat Beobachtungs- und Erlebnishintergrund, der mich ein wenig traurig gemacht hat, so wie man traurig ist über Dinge, die nicht zu ändern sind. Keinesfalls wollte ich aber moralische Entrüstung zum Ausdruck bringen.
Meine Reaktion auf die „Herrenreiterschmonzette“ von Wellblech. Tut mir leid, in meinen Augen ist er ein vorschneller Trittbrettfahrer deiner Kritik Wer mir so kommt, dem komme ich auch so.
Ekki
SigrunAl-Badri (52)
(02.07.11)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.07.11:
Aber sicher, Sigrun.
Vielen Dank und liebe Grüße
Ekki

 princess (03.07.11)
Hallo Ekki,

wenn „süße Komplimente“ junge Mädchen zu „sexy Hüftschwüngen“ verführen und im Hintergrund der „Verlust der Tugend“ anklingt, bin ich geneigt, die skizzierten männlichen Gucker und Quatscher des Diebstahls zu bezichtigen. Vorsichtig formuliert. Denn „süß“ sind solche Komplimente... für Mädchen nicht.

Insofern ist dies ein Text, den ich mit sich zuschnürendem Hals lese. Ich weiß nicht, ob du diese Textwirkung nachvollziehen kannst, möchte sie dir aber mal hier lassen.

Liebe Grüße, Ira

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.07.11:
Vielen Dank, Ira, wir sind uns wohl darüber einig, dass solche süßholzraspelnden Komplimente süßstichig sind. Wie Mädchen darauf reagieren, nun, das ist wohl sehr unterschiedlich.
Liebe Grüße
Ekki

 ViktorVanHynthersin (03.07.11)
Dreh- und Angelpunkt, lieber Ekkehart, Deines für mich gelungenen Gedichtes, ist "das seidene Fädchen". Es zeigt die Fragilität der Gradwanderung auf, welche das Mädchen zur Frau werdend (der Junge zum Mann), absolvieren muss. Unachtsamkeiten im Verhalten oder ein "falscher Schritt" werden im besten Fall als Eitelkeit ausgelegt, im ungünstigsten Fall als Berechnung.
Herzliche Grüße
Viktor

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.07.11:
Herzlichen Dank, Viktor, "Fragilität der Gradwanderung", das hast du genau auf den Begriff gebracht. Anmut junger Menschen hat es immer gegeben und wird es immer wieder geben. Doch was ist Anmut? Es ist ein bezaubernder Einklang des jungen Menschen mit sich selbst, der von der Schönheit seines Lächelns, seiner Bewegungen, seiner Stimme nichts weiß. Und dann wird ihm das irgendwann - oft durch Einflüsterungen- bewusst, und er versucht, die Anmut bewusst, willentlich zu präsentieren. Aber das gelingt nicht mehr. Schiller ("Über Anmut und Würde") und Kleist ("Über das Marionettentheater") haben dafür die Formulierung "Sündenfall des Bewusstseins" gefunden, der die Vertreibung aus dem Paradies der unbewussten Anmut anzeigt.
Liebe Grüße
Ekki
LudwigJanssen (54) meinte dazu am 03.07.11:
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 moonlighting meinte dazu am 03.07.11:
Ich schließe mich dem Viktor an....

LG
Moonlight

 Momo (03.07.11)
Was ist ein natürliches Mädchen? Ein Mädchen ohne Koketterie, ohne Bewusstsein? Auch schon sehr kleine, hübsche Mädchen wissen oft schon von ihrer Wirkung. Die spüren sie, da braucht es gar keine „süßen“ Komplimente. Und natürlich setzen sie dieses Wissen auch ein zu ihrem Vorteil.
Ob das dann auch ein Verlust ihrer Tugend zur Folge hat, sei dahin gestellt. Was mich aber sofort zur nächsten Frage veranlasst: Was ist Tugend, Tugendhaftigkeit und haftet diese nur Mädchen und Frauen an oder besitzen sie auch Jungen und Männer?

Tugend: Fähigkeit und innere Haltung, das Gute mit innerer Neigung zu tun, im allgemeinen Kontext bezeichnet Tugend den Besitz einer positiven Eigenschaft (Wiki), also auch Heldenmut und Tapferkeit.
Hier ist die Tugendhaftigkeit oder auch Sittlichkeit gemeint, die ‚unschuldigen’ Frauen oder Mädchen zugeschrieben wird. Es ist die Frage, ob sie es jemals waren oder ob es nicht eher lediglich eine Zuschreibung ist/war.

In deinem Gedicht verknüpfst du Anmut untrennbar mit Bewusstlosigkeit.

„Es ist ein bezaubernder Einklang des jungen Menschen mit sich selbst, der von der Schönheit seines Lächelns, seiner Bewegungen, seiner Stimme nichts weiß.“

Mit Eintritt des Bewusstseins von sich und der Wirkung auf die Welt scheint sie unwiederbringlich verloren.
Anmutigkeit ist aber eine Eigenschaft des Wesens, die nicht durch das Bewusstsein verloren gehen kann. Es gibt viele erwachsene, anmutige Frauen und Männer, die sich durchaus ihrer selbst bewusst sind.
Ich glaube, diese Art von Bewusstlosigkeit, die du meinst, haben nur noch sehr, sehr kleine Kinder, alles andere wäre Projektion.

Liebe Grüße, Momo

 loslosch meinte dazu am 03.07.11:
ich verstehe noch immer nicht das gewaltige beben in der kommentarfolge. der austausch tugend/anmut war geboten, verstärkt den metrisch-ironischen kreis sogar. alle anderen (kritischen) betrachtungen sind voll daneben. ich bin - sogar ekki einbeziehend, der die ironie zuerst nicht angezielt hat - wohl der einzige hier, der satirisch-ironisches herauslas. mann, mann. :)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.07.11:
Liebe Momo, auch dir danke ich sehr für deine ausführliche Argumentation. Ich habe schon gegenüber Ludwig eingeräumt, dass der Tugendbegiff in meinem Gedicht missverständlich ist. Ich habe ihn durch Anmut ersetzt.
Der Verlust von Anmut als Bewusstwerdung der Wirkung, die man auf andere ausübt, betrifft Jungen und Mädchen gleichermaßen.
Dieser Verlust tritt in der Regel nach der Puberät durch Bewusstwerdung ein (Ansätze dazu mag es in der Kindheit geben),
indem der früher Anmutige/ die Anmutige jetzt versucht, seine bezaubernde Wirkung auf andere gezielt einzusetzen. Er ist jetzt nicht mehr derselbe Mensch. Ich räume gerne ein, dass es auf den Rezipienten ankommt, ob er diese vom Bewusstsein gesteuerte Wirkung als Koketterie, Galanterie oder Charme empfindet oder als Berechnung oder als linkisch. Vielleicht ist mein Begriff von Anmut zu eng. Für mich jedenfalls ist das Verhalten nicht mehr dasselbe wie die Anmut deren/dessen, die/der von seiner Wirkung nicht weiß.
Liebe Grüße
Ekki

 irakulani (04.07.11)
Lieber Ekki, die Botschaft deines Gedichtes ist sehr feinsinnig - in diesem Zusammenhang lege ich Worte wie "Tugend" oder "am seidenen Fädchen" nicht auf die Goldwaage. Sie wirken im Zusammenhang und als Metaphern und unterstreichenden Moment, wenn kindliche Unbefangenheit umschlägt in Befangenheit. Ich glaube, eine jeder kennt das aus eigener Beobachtung oder eigenem Erleben. Genau diesen Moment hast du trefflich eingefangen!

L.G.
Ira

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.07.11:
Ich freue mich sehr, Ira,dass du dieses Gedicht ganz so auslegst, wie ich es gemeint hatte.
Herzlichen Dank und liebe Grüße
Ekki
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