Zum Tode von Agota Kristof

Essay zum Thema Erinnerung

von  Dieter_Rotmund

Dieser Text gehört zum Projekt    Essays.
Um es vorauszuschicken: Ich bin nicht dazu berufen, einen Nachruf auf die verstorbene ungarisch-schweizerische Autorin zu schreiben. Ein einziges Buch habe ich von ihr gelesen und das ist Jahre her. Andere mögen kommen und mich in Kommentaren zu diesem Text der Nichtwürdigkeit zu bezichtigen. Ich bitte darum, möchte aber gleich zugeben dass sie Recht haben. Ich fürchte, das wird nicht passieren, weil die meisten hier nur in ihrer eigenen Gedichtesuppe vor sich hin köcheln und Frau Kristof war nicht einmal Lyrikerin. Nein, sie hat Romane geschrieben, die von bestechender Un-Blumigkeit waren, ein weiterer Aspekt, die sie für die meisten kV-Geister unbedeutend macht. Ich schließe jetzt einfach mal von dem Buch, dem einzigen von ihr, dass ich gelesen habe, auf alle ihre Werke. Dieses einzige Buch habe ich immerhin im Original gelesen, obwohl ich die französische Sprache nicht besonders gut beherrsche. Es war „Le Grand Cahier“, den deutschen Titel weiß ich nicht und werde ihn jetzt auch nicht nachschlagen, immerhin hat Frau Kristof ihr Werk genau so und nicht anders genannt und da sollte man - nun erst recht - respektieren.
Damals habe ich „Le Grand Cahier“ in einer kleinen Runde mit zwei anderen diskutiert, die es ebenfalls gelesen hatten. Die beiden sind inzwischen der Heimsuchung und dem Irrglauben verfallen, sie würden sich unbedingt fortpflanzen müssen und waren fortan für Kunst und Kultur kaum noch empfänglich, eine der beiden ist regelrecht verwahrlost, um es mal auf den Punkt zu bringen, unverblümt. Unverblümt wie Agota Kristof schrieb, denke ich, hoffe ich. Die inzwischen Verwahrloste war damals felsenfest davon überzeugt, der Roman spiele zu derundder Zeit an derundder Grenze. Im Roman selbst waren weder Zeit noch Gebiet explizit genannt, nicht einmal angedeutet waren sie. Sie leitete ihre Überzeugung allein davon ab, was sie von dem Leben der Autorin wusste. Ich glaube, damals habe ich mich endgültig von der dämlichen Vorstellung getrennt, man könne ein Werk nur dann vollständig begreifen, wenn man den Lebenslauf des Verfassers kenne. Tatsache ist, dass Agota Kristof „Le Grand Cahier“ als Roman verstanden haben wollte und nicht als Autobiografie. Von mir aus mag man Parallelen zu derundder Zeit an derundder Grenze erkennen und in einer Diskussion nennen, aber eine Gewissheit gibt es natürlich nicht. Ich denke, derartiges hermeneutisches Gelaber dient nur dazu, dem Ego des Interpretanten (Interpretierers? Interpreten?) zu schmeicheln, beziehungsweise es in solch einer Diskussion zu erhöhen, zu vergrößern: Seht her, ich weiß mehr als ihr Unwissenden, die ihr „nur“ den Roman vor euch liegen habt, ich hingegen jedoch bin im Besitz weitreichenderer Weisheiten usw. usf. blablabla.
Soweit meine doch recht emotionalen Erinnerungen an das Werk von Agota Kristof, genauer gesagt an „Le Grand Cahier“ und die nachfolgende Diskussion. Ihr Nachruf in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat mich immerhin dazu veranlasst zu erwägen, ein weiteres Werk von ihr zu lesen. Und dann völlig werkimmanent zu verstehen. Hoffentlich.

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Kommentare zu diesem Text

magenta (65)
(28.07.11)
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 Dieter Wal meinte dazu am 28.07.11:
Such grad den Link zu dem Nachruf. Erfolglos. Grrrrrmpf!

 Dieter Wal (28.07.11)
Für mich ist die Autorin schlicht die weltweit bedeutendste Stilistin. Sie teilt sich diesen Platz in meinen Augen mit Kafka. Empfehle ihren letzten autobiographischen Roman. Aber du kannst mit welchem ihrer Werke auch immer absolut nichts falsch machen, egal was du von ihr liest.
(Kommentar korrigiert am 28.07.2011)

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 29.07.11:
Es freut mich zu hören, dass es hier auch noch andere FAZ-Leser gibt, die sich zudem nicht nur für den Wirtschaftsteil interessieren: Sie kommen in den exklusiven Genuß von hervorragenden Artikeln, die nicht sofort im Internet stehen, nein...
Und Danke für die zwei Empfehlungen der Tirade!
parkfüralteprofs (57) schrieb daraufhin am 02.10.12:
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 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 03.10.12:
Schön, dass nach so langer Zeit doch noch jemand etwas über Agota Kristof zu berichten weiss.

 Nostuga (02.08.13)
Hallo Dieter_Rotmund,

nichts für ungut, aber danach

"Andere mögen kommen und mich in Kommentaren zu diesem Text der Nichtwürdigkeit zu bezichtigen. Ich bitte darum, möchte aber gleich zugeben dass sie Recht haben."

habe ich aufgehört, zu lesen.

Beste Grüße
Nostuga

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 02.08.13:
Ja, vielleicht etwas zu viel Demut und dann fehlt auch noch ein Komma...

 FRP meinte dazu am 02.08.13:
... das Komma fehlt, doch dein "dass" lässt es formell antizipierend im Raum schweben ...

 Dieter Wal (10.02.14)
Mir gefällt deine betont dialogisch angelegte Form eines Essays im Fragment, die ev. erst durch (idealerweise kundigere) Kommentatoren vervollständigt werden soll. Vermute ich richtig?

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 10.02.14:
Nein.
(Danke für den Hinweis auf das Krüppel-Dativ...)

 Dieter Wal meinte dazu am 10.02.14:
Den Dativ? ;)

"Der Beweis" las ich zuletzt von Kristof. Packend.

 TrekanBelluvitsh (19.01.15)
Ich schließe jetzt einfach mal von dem Buch, dem einzigen von ihr, dass ich gelesen habe, auf alle ihre Werke.
Ja, das ist wirklich journalistisch sauber gearbeitet...

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 19.01.15:
Upps, das ist heute morgen wohl jemand mit dem falschen Bein aufgestanden?

Ich muss und will mich nicht rechtfertigen, aber "Zum Tode von Agota Kristof" ist (nur) ein Essay. Essay ist kein journalistisches Genre, auch wenn hier und da Essays in unseren Zeitungen stehen.
Im Grunde hat auf kV bestenfalls die Kolumne eim wenig einen journalistischen Anspruch, wird aber oft als Kommentar genutzt....

Sicherlich ist das obengennate Schließen ein wenig schnöselig, aber zulässig, zumal ich mich ja offen dazu bekenne.

Hast Du mehr von Frau Kristof gelesen? Und was?

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 19.01.15:
Ja, dass du dich selbst und deine Texte mit einer Güte betrachtest, die du anderen kaum zukommen lässt, ist bekannt. Aber das ist wohl das Kennzeichen eines Schlechtmenschen.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 19.01.15:
Lieber Trekan, alles in Ordnung?

Es grüßt Dich Dein Schlechtmensch.
Parkplatzbizon (34)
(26.08.15)
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Festil (59)
(16.12.15)
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