Eingetrübte Selbsterkenntnis

Glosse zum Thema Dummheit

von  loslosch

Non pote non sapere, qui se stultum intellegit (Publilius Syrus, 1. Jh. v. Chr.; Sententiae). Es kann nicht dumm sein, wer sich selbst für dumm hält.

Eine pfiffige antike Sentenz. Im Zeitalter steigender Zahlen von Menschen mit Altersdemenz ist diese Aussage fragwürdig geworden. Onkel Heinrich (oder Heinrich Onkel, im Moselfränkischen nachgestellt) war 85-jährig an geistigem Verfall erkrankt. Im Zustand fortschreitender Umnachtung zückte Heinrich Onkel sein altes medizinisches Handbuch seligen Angedenkens mit den vielfältig gezeichneten, liebevoll aufgemalten Heilpflanzen und menschlichen Organteilen. Tief beeindruckt von seinen verflossenen Talenten, verkündete er: Was bin ich doch schlau gewesen! (Moselfränkisch: Wat seyn Eych schlou jewäs).

Somit erklärte der liebenswerte Onkel Heinrich, bei Licht besehen: Damals war ich keine große Leuchte. Heute ist mein Lichtlein nahezu gänzlich erloschen. Traurige Widerlegung einer antiken Sentenz.

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (04.08.11)
Traurig und verstörend. ♥

 loslosch meinte dazu am 04.08.11:
aufwühlend und zynisch ... über diese wertung hatte ich noch nicht nachgedacht. sie trifft ins schwarze. danke. lothar
magenta (65)
(04.08.11)
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 loslosch antwortete darauf am 04.08.11:
... et lucrifacturae! heidrun et alterae als multiplikatoren (skript). für mich kamen damals die comics mit asterix etc. zu spät. wenn sich einer offiziell für dumm ausgibt, ist das kein ausweis von klugheit, auch außerhalb von demenz; zb fishing for compliments als motiv ... lothar
magenta (65) schrieb daraufhin am 04.08.11:
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 loslosch äußerte darauf am 04.08.11:
ein angeheirateter großonkel, eigentlich kein verwandter mehr. er hatte in der tat viel humor. der wahre charakter zeigt sich in der demenzphase. da ohrfeigen mütter ihre 50-jährigen töchter, spucken ihren 60-jährigen sohn an, beschimpfen die eigene tochter, die ausgebildete krankenpflegerin ist. väter drangsalieren ihre 45-jährigen töchter, bemängeln die betreuung, obwohl sie tags zuvor noch tätig waren usf.

der "onkel" war tatsächlich durch den wind. aber er hatte einen guten charakter. und das zählt in der demenzphase. lo, der unausgebildete demenzfachmann

 Didi.Costaire (04.08.11)
Hallo Lothar,
eine Unterscheidung zwischen dumm und schlau finde ich schwierig. Die meistens sind meiner Meinung nach relativ dumm oder relativ schlau.
Positiv an Onkel Heinrichs Geschichte ist, dass er sich darüber freuen kann, in früheren Zeiten ein bisschen geleuchtet zu haben. Ob ich mir als Altersvorsorge ein paar Zeichnungen anlege...
LG, Dirk

 loslosch ergänzte dazu am 04.08.11:
ja, dirk. noch ists früh genug. für dich! in kunst hatte ich damals eine 3. selbsteinschätzung: 4- (-_-). den tipp kann ich leider nicht verwerten. lothar
Nimbus (35)
(04.08.11)
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 loslosch meinte dazu am 04.08.11:
zum ersten zitat: bekannter ist die version "schönheit liegt im auge des betrachters". - für "ein weiser mann ist selten froh" gibts keine belegstelle. immerhin fand ich "ein weiser mann erkennt den unterschied zwischen versuchung und gelegenheit" (ohne quelle). lothar

 Bergmann (05.08.11)
Keine volle Widerlegung, kleine Kristalle von Weisheit schimmern auf.
LG, Uli

 loslosch meinte dazu am 05.08.11:
man stelle sich helmut schmidt vor mit dem schicksal einer altersdemenz (die er zum glück nicht hat). er gilt als äußerst eitel, manchmal versteckt hinter galliger selbstkritik. er würde in einem seiner bücher blättern, dann sagen: ich war mal schmidtmäßig schlau. lothar
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