Aus den Tiefen der Textdateien gerettet

Erzählung

von  Reliwette

AMOS kehrt zurück

Das Piratenschaf hatte es sich im Mastkorb der Maria Cara bequem gemacht und spähte das Meer nach Schiffen ab. Es hatte seine schwarze Augenklappe etwas nach oben geschoben, weil sie doch die freie Sicht etwas behinderte.  Hornblower, der Piratenkapitän mit dem Schleppsäbel an breitem Gurt, hatte einen neuen Kurs ausgegeben. Demnach sollte zunächst Emden angelaufen werden. Später sollte der Segler bei auflaufender Flut die Ems stromaufwärts segeln und im Leeraner Hafenbecken festmachen. Leer, so wusste man auf dem Piratenschiff, war eine Teestadt. Schließlich hatte die Cara Mia 14 Kisten feinsten Darjeeling Tee geladen, den man mit erheblichem Gewinn verkaufen wollte. In der letzten Mannschaftssitzung vor einigen Tagen hatte auch ein Neuanstrich ihres Schiffes auf der Tagesordnung gestanden. Der langsam abblätternde schwarze Farbanstrich war nicht mehr zeitgemäß und so waren tolle Vorschläge aus den Reihen der Piraten gekommen.
„Schwarz macht den Leuten Angst“, hatte der Segelmacher Louis in die hitzige Debatte geworfen. Der krummbeinige Pirat mit der flammend roten großen Narbe, die vom Jochbein über seine linke Wange abwärts verlief, galt in der Mannschaft als besonders fortschrittlich – fast progressiv: Wenn er ein Segel flickte, so kamen immer Flickenherzen dabei heraus, und so bestand das Großsegel am Vorschotmast eigentlich nur noch aus lauter weißen Herzen, die sich vor dem ockerbraunen Segeltuch abhoben. In jedes Herz stickte Louis seine Initialen ein: L.B. Das stand für Louis Belsace.


Der gelernte Segelmacher hatte einst an einem Patchwork - Kurs in Frankreich teilgenommen, einer besondere Form der Flickenschneiderei, bevor er sich für die Piratenlaufbahn entschieden hatte.
Ibrahim, der immer finster drein blickende  1. Kanonier des Schiffes, schüttelte seinen schwarzen Wuschelkopf: „Da halte ich nicht viel von, wir verlieren an Ansehen und Gefährlichkeit“, gab er zu Bedenken. Er kam sich ohnehin ziemlich überflüssig vor, denn er konnte sich nicht daran erinnern, dass auch nur eine seiner ständig blank geputzten Kanonenkugeln jemals zum Einsatz gekommen war. Wenn geschossen wurde, dann nur „Salut“, weil die Cara Mia über kein Nebelhorn verfügte, mittels dessen man vorbeifahrenden Schiffen einen tüchtigen Schrecken einjagen konnte.
Captain Hornblower aber hatte überhaupt keine Lust, die anderen Schiffe jedes Mal mit seiner Trompete zu begrüßen. Er hielt sich gewissermaßen für einen Künstler und es damit für unter seiner Würde. Was hätte er denn auch vorspielen sollen? „Junge, komm bald wieder?“ Das erschien ihm denn doch zu trivial.„Ich bin für rote, gelbe und blaue Punkte auf weißem Grund“, mischte sich nun der Proviantmeister und 1. Koch des Schiffes in die Debatte ein. Er sah ohnehin das Schiff während der Überfahrt nur von innen, musste ständig mit Töpfen und Pfannen hantieren und hatte schon mehrmals beklagt, dass ihm niemand so recht beim Kartoffelschälen helfen wollte.„Kartoffelschälen für einen Piraten? Undenkbar!“ So oder ähnlich war stets der Tenor der anderen. So musste sich Hornblower jedes Mal etwas einfallen lassen, um dem Koch zwei Leute zur Seite zu stellen, die ihm behilflich waren.
Erst letzte Woche hatte er seine Mannschaft antreten lassen und eine Kleiderinspektion durchgeführt. Wem ein Knopf an Hemd, Jacke oder Hose fehlte, der hatte sich entsprechend der fehlenden Knöpfe für einen, zwei, drei oder mehr Tage als Küchenhilfe qualifiziert. Ein anderes Mal hatte er gesagt:“ Wer zuerst „hier“ ruft, der.....Sofort riefen drei der Piraten „hier“, weil sie Landgang oder eine Sonderration Rum vermuteten.
Doch Hornblower fuhr unbeirrt fort:... „der hilft dem Koch beim Kartoffelschälen!“ Und schon hatte er drei der Rufer beim Wickel.
„Der Captain ist schon ein ausgebuffter Captain“, gab sich einer der „Freiwilligen“ geschlagen.
Die beiden anderen stimmten ihm zu: „Dem kommen wir einfach nicht bei, deshalb ist er ja auch unser Captain“

Der Versammlungsleiter – es handelte sich um keinen geringeren als Hornblower selbst, klingelte mit einem Glöckchen: “Ruhe im Kabarett!“, rief er laut. Er meinte natürlich „Kabinett“, aber das fiel gar nicht auf. Das Stimmengewirr verebbte:„Wer ist noch für rote, gelbe und blaue Punkte auf weißem Grund?“ Mit diesen Worten erhob er selbst schon einmal die rechte Hand und schaute herausfordernd in die Runde. Der Segelmacher hob ebenfalls die Rechte und der Proviantmeister natürlich. Der hatte ja den Vorschlag konzipiert.„Na, was ist?, rief Hornblower, „oder muss ich Euch das erst noch einmal erklären?“ Nun wollte keiner der Anwesenden zugeben, dass man ihm einen feststehenden Sachverhalt erst noch erklären muss, und so hob einer nach dem anderen zögernd die rechte Hand.
„Einstimmig angenommen“ säuselte Hornblower, “ich wusste doch, dass ich es hier mit intelligenten Köpfen zu tun habe, lobte er seine Mannschaft. Und somit war es beschlossen! „Ende der Sitzung nach 10 Glasen“, notierte der Schriftführer in sein Sitzungsprotokoll , und er fügte noch hinzu: Cara Mia, 54 Grad 07,5 Minuten Nord  08 Grad 22 Minuten West.

„Schiff Steuerbord voraus“, rief AMOS aus seinem Mastkorb und mähte einige Male aufgeregt:“ Ein rotes Teufelsding hüpft da auf uns zu! “Hornblower spähte durch seine messingfarbenes Fernrohr: „Verflixt und zugenäht“, rief er und zog das Teleskop ganz dicht an die Nase,“ das sind ja zwei Schiffe in einem! Und ohne Segel!

“Gegen den Wind war dumpfes Grollen zu vernehmen, das mehr und mehr anschwoll! „Da hol mir doch einer die Großmutter aus dem Sack!“Nun konnte es auch der Rudergänger mit bloßem Auge erblicken.„Alle Mann unter Deck“, rief Hornblower seiner Mannschaft zu, „ich übernehme die Verhandlungen!“Der Rudergänger wollte sich auch verdrücken:„Du bleibst natürlich, befahl der Käptn, wer steuert sonst das Schiff? Kapiert?“ Aber das rote Unding, was da auf die Mia Cara zuraste, machte gar keine Anstalten beizudrehen. Auf dem Oberdeck der Cara Mia öffnete sich eine Luke und das finstere Gesicht des Kanoniers erschien in der Öffnung: „Eine Breitseite, Captain?“, rief es hoffnungsvoll zu Hornblower herüber.
„Alle Mann unter Deck“, schrie Hornblower zurück, „das gilt auch für Dich! Das Ding reitet der Teufel nämlich persönlich“ .Bevor er noch irgend einen Fluch ausstoßen konnte, stob das rote Schiff mit den zwei Rümpfen auch schon in einer riesigen Gischtwolke und unter infernalem Getöse steuerbords an der Cara Mia vorbei. Noch in der Vorbeifahrt ließ das Teufelsding ein drohendes Tuten hören, dass es den alten kampferprobten Piratenkapitän in den Pluderhosen schlottern ließ. Vom Mastkorb der Cara Mia ertönte ein kräftiges „mäh“ und noch eins. Wenig später verschwand das rote Schiff achteraus, eine mächtige Heckspur hinter sich herziehend. Es sah aus als ob die See kochte. Der Lärm schwoll langsam ab. Hornblower atmete hörbar aus. „Na also“, dachte er, „der Teufel will uns gar nicht!“„Alle Mann an Deck“ schrie er und in seiner Stimme schwang Erleichterung mit. Als die Mannschaft sich auf dem Vordeck versammelt hatte, setzte der Piratenkapitän zu einer seiner triumphalen Reden an:„Seht Ihr“, Männer, begann er weltmännisch gefasst, „außer mir ist AMOS, unser geliebtes Piratenschaf, so ziemlich der einzige an Bord, der die Situation richtig eingeschätzt hat. Und an den Kanonier gewandt mahnte er: „Du kannst den Teufel nicht erschießen, auch nicht mit einer Breitseite. Bevor Du eine einzige Kugel aus dem Rohr hast, ist er Dir auf das Dach gehüpft und saust mit Dir in den Höllenschlund! Also ist es diplomatisch, den Teufel zu ignorieren. Das trifft ihn mehr, als sich mit ihm anzulegen! Das also macht einen tapferen Piraten aus, dass er dies zu unterscheiden weiß. Habt Ihr das verstanden?“ Statt einer Antwort, begannen die Piraten zu klatschen und ließen ihren Anführer hochleben:„Ein dreifach Hoch auf unseren Captain!“, rief einer von ihnen.Während nun die einen „hoch, hoch“ riefen, fielen die anderen im Chor ein: “hurra, hurra, hurra! “AMOS ließ ein meckerndes  Lachen ertönen und als Hornblower zum Mast hoch schaute, zwinkerte ihm AMOS ein Auge zu.

„Kurs Emden“, befahl der Captain dem Rudergänger und verschwand in seiner Kajüte, um die entsprechende Seekarte zu suchen.„Ay, ay“, sagte der Rudergänger, „Kurs Emden liegt an..."

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Kommentare zu diesem Text


 Bergmann (25.08.11)
Wunderschön, so stelle ich mir Ringelnatz auf großer Fahrt vor...
Am Schluss kein Anführungszeichen Ende. Absicht?
Herzlichst: Uli

 Reliwette meinte dazu am 25.08.11:
Gruß zu Dir, lieber Uli! Habe das geändert. Es war ja ein fast fertiggestelltes "online" - Buch, welches verloren ging, weil mein damaliger "Diskussionsforum - Spender" das Forum an einen Sexclub verscherbelt hatte. Das alles war noch lange auf Google nachzuvollziehen Ich wunderte mich seinerzeit über die hohe Zahl der Zugriffe. Kein Wunder!
Na ja - ich hatte direkt ins Forum "gepönt" ohne backup auf dem eigenen Rechner..... Daher auch so mancher Fehler!

Liebe Grüße!

Hartmut
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