Habemus Papam

Kommentar zum Thema Kirche/ Klerus

von  Melodia

Um eines vorweg zu nehmen: Ich habe nichts gegen Spiritualität oder Religion per se. Jeder Mensch kann meiner Meinung nach, glauben woran er möchte. Selbst an das berühmt-berüchtigte Fliegende Spaghettimonster, solange diese Person nicht versucht, mich oder andere davon zu überzeugen. Womit ich mich allerdings schwer tue, ist organisierte Religion oder Kirche, wie es Christen nennen würden.

Nun ist es so, dass ich in Freiburg wohne und letztes Wochenende ein Mann zu Besuch in der Stadt war, der viel Verehrung und Beachtung erhält und, wie es das Leben so will, der „Chef“ einer solchen Organisation ist, nämlich der Katholischen Kirche. Jeder weiß, von welchem Ereignis ich rede: Der Papst war auf Deutschlandbesuch und kam, als ersten „Heiliger Vater“ überhaupt, in die süddeutsche Idylle.

Auf seiner bisherigen Reise, die unter dem Motto „Wo Gott ist, da ist Zukunft“ stand, hatte er unter anderem auch eine Rede im Deutschen Bundestag gehalten. Allein das, in Kombination mit dem Slogan, würde mir zu denken geben. Wenn er möchte, dass die Menschen wieder Gott in ihr Weltbild setzen, dann nicht im Parlament eines säkularen Staates; und wenn er als Politiker redet, z.B. von der Verantwortung der Kirche in der heutigen Gesellschaft, sollte der Vatikan vielleicht darüber nachdenken, die Menschenrechtskonventionen zu ratifizieren (aber dann müsste man auch Homosexuelle akzeptieren und Frauen die Gleichberechtigung zugestehen). Gleichzeitig wurde auch geäußert, dass die Kirche sich nicht an die Gegenwart anpassen und nicht mit dem Staat kooperieren dürfe (irgendwie widersprüchlich mit der vorhergehenden Aussage; die Kirchensteuer und der Religionsunterricht sind aber sicher nicht davon betroffen, keine Sorge!) Da verstehe ich die Bundestagsabgeordneten, die der Rede fern blieben. Was ich jedoch nicht verstehe und was auch einer gewissen Komik nicht entbehrt ist, wie man diese dann als intolerant schelten kann. Aber der Pontifex ist sicher für eine offene Diskussion über Toleranz zu haben, schließlich versuchte er im Parlament ja nicht darzulegen, dass es all unsere moralischen Werte ohne Gott nicht geben würde. Apropos Toleranz und womit wir bei nächsten Punkt wären: Mit Missbrauchsopfer hat er sich auch getroffen, mit fünf von ihnen, eine halbe Stunde lang; da herrscht jetzt sicher Aufbruchstimmung! Und dann beklagt sich der Papst darüber, dass die Bevölkerung immer desinteressierter an der Kirche ist und fordert gleichzeitig von Jugendlichen; Zitat: „glühende Heilige“ zu werden und eine Radikalisierung der Kirche (klingt alles etwas nach Kreuzzug, oder?). Alles verwirrend.
Nach mehreren Messen traf er dann, endlich, in Freiburg ein!

Wer jetzt zu den knapp 3.000 Glücklichen gehörte, wichtig genug für die Stadt zu sein, der durfte den Papst auf dem Münsterplatz auch mal aus der Nähe sehen. Wer unentbehrlich war und es eventuell noch ist, durfte darüber hinaus sogar in das Münster selbst hinein. Passiert ist darin eigentlich nichts. Danach traf sich der Pontifex mit unserem Altkanzler Kohl und so viel man weiß wurde der Helmut unter anderem für seine Verdienste in Sachen Deutsche Einheit geehrt. Vielleicht sollte man dem Papst aber darüber aufklären (womöglich nicht nur darüber), dass durch die doch etwas übereilte Einigung nicht nur „blühende Landschaften“ entstanden sind, sondern auch Haushaltslöcher, die so groß waren, dass der Herr Kohl mehrfach reingepasst hätte; fast 300 Mrd. Mark um genauer zu sein. Und wie hat man das Problem bekämpft? Genau: Man erhöhte Steuern und plünderte die Rententöpfe (so nebenbei:  Die Superaktion wurde vom damaligen Staatssekretär des Finanzministeriums vorgeschlagen; Na, wer möchte raten wer da war? Richtig: Horst Köhler! Ehrenwort). Aber das nur am Rande.

In den knapp 28 Stunden die der Papst in Freiburg weilte sprach er noch ein paar Messen und mit anderen Kirchengurus darüber, sich der katholischen Kirche unterzuordnen, um es etwas zu überspitzten, um dann, nach knapp 4,5 Tage Stress, zurück in die lockere Stimmung des Vatikans zu fliegen.

Um sich ein grobes Bild davon zu machen, was hier unten los war, einige Zahlen:
Anzahl der Menschen beim „Einzug“ des Papstes: 24.000
Anzahl der Menschen beim Vigil: 23.000
Anzahl der Menschen bei der Messe auf dem Flugplatzgelände: 100.000
Anzahl der ausgegebenen Hostien beim Sonntagsgottesdienst: 80.000
Anzahl der Teilnehmer, die medizinisch versorgt werden mussten: 387 (33 ins Krankenhaus)
Anzahl der ehrenamtlichen Sanitäter: 1.200
Anzahl der polizeilichen Einsatzkräfte: 10.200
Einsatzstunden der Feuerwehren: 3.900
Anrufer auf der Papst Info Hotline: fast 13.000
Zur Sicherheit abtransportierte Fahrräder: 226
Zur Sicherheit abtransportierte PKWs: 150
Ins Bächle gefahrene PKW: 1 (nicht wahr, Frau Kohl?!)
Mindestkosten je Stunde (geschätzt): 571.429 Euro
Preis je Papstbank, die weiterverkauft werden: 410 Euro
Größe des Altars auf dem Flugplatz:  2.200 qm, 20 m hoch, 220 Tonnen (Zahlenmystiker anwesend?) 
Anzahl der Medienvertreter: 1.621
Anzahl der Demonstranten, die gegen den Papstbesuch auf der Straße waren: 400
Dauer der Aufräumarbeiten: 5 Tage

Die gesamt Kosten für die katholische Kirche liegen so zwischen 25 und 30 Mio. Euro. Da freut sich der Steuerzahler. Hätte es ein schlichterer, kleinerer Altar nicht auch getan? Wenigstens in Freiburg? Die Kosten für Bund und Länder sind nicht bekannt und ich habe auch meine Zweifel, dass sie jemals veröffentlicht werden. Soweit ich weiß sind Berlin und auch Freiburg verschuldet. Ich hoffe, die Städte hatten sich den Pakt mit dem religiösen Tourismus gut überlegt und sich nicht verrechnet.
Das spannende bei den Protestaktionen in Freiburg, war aber am ehesten noch, was unser Oberbürgermeister dazu zu sagen hatte:
Das Bündnis „Freiburg ohne Papst“ hatte tausende Unterschriften gesammelt, um zu verhindern, dass sich der Pontifex in das Goldene Buch der Stadt einträgt, in dem unter anderem Köhler, Schröder, Sarkozy, Merkel, der Dalai Lama und Gerüchten zur Folge auch Hitler unterschrieben haben. Was für eine Gruppe! Der Herr Salomon verurteilte den Protest gegen die Eintragung als „provinziell und beschämend“. Recht hat er! Bei den bisherigen illustren Gästen hat sich auch niemand beschwert und es wäre ein Zeichen der Gastfreundschaft sich eintragen zu dürfen. Da stellt sich mir nur die Frage, wer den Papst eingeladen hat? Ich jedenfalls wurde nicht gefragt und was blieben den Gegnern sonst noch für Optionen, um ein Zeichen zu setzen?

Beschämend fand ich, dass ein Tag vor der Ankunft seiner Exzellenz, in jedem Briefkasten Flyer lagen, auf denen die Kirche zu Spenden für Ostafrika warb. An und für sich wäre dem nichts entgegen zu setzen, wenn da nicht der Papst selbst abgebildet gewesen wäre, mit einem riesigen goldenen Kreuz in den Händen. Nennt man sowas nicht Zynismus? 
Richtig erschreckend fand ich auch die Familien, mit drei oder vierjährigen Kindern an der Hand, die Sonntagmorgen um 4 Uhr durch die Straßen zum einige Kilometer entfernten Flugplatzgelände pilgerten. Ja sie mussten laufen, denn schließlich war ja fast die gesamte Stadt für etwaige fahrbare Untersätze gesperrt. Am Flugplatz angekommen, mussten sie dann in einer Menschenmenge Stunden lang warten, bis die Messe endlich begann. Da fühlt sich sicher jedes Kleinkind wohl, gut aufgehoben und würde nie auf die Idee kommen sich zu langweilen! Ich freue mich darauf, wenn diese Kinder volljährig sind.

Unterm Strich bleibt es für mich erstaunlich wie, knapp ein Jahr nach den Missbrauchsskandalen, eine solche Jubelarie veranstaltet werden konnte. Ist ja nicht so, als ob sich was geändert hätte oder der Papst irgendetwas Neues erzählt habe. Der Besuch des Pontifex kam mir eher wie eine Ablenkungs- und Eventkampagne vor: Auftritt an besonderen Orten, am besten wo noch kein Papst vorher gewesen war und vielleicht stoppt man so auch die Kirchenaustritte, welche, überraschenderweise, um einige zehntausende mehr als sonst jährlich gestiegen sind.
Aber das ist nur mein Wort zum Sonntag.


Anmerkung von Melodia:

Nachdem ich, dank der Nachwehen des Besuches, bereits die zweiten Broschüre einer radikal-christlichen Gruppierung wegwerfen musste... irgendwann muss es einfach raus.

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (43)
(03.10.11)
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 Melodia meinte dazu am 03.10.11:
naja, die anhänger des pastes, also eines einzigen mannes, der sich anmaßt menschen regeln aufzuerlegen und sich dabei vertreter gottes nennt... das sind am ehesten schafe. aber ja es gibt genug...

lg und danke
managarm (57)
(03.10.11)
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 Melodia antwortete darauf am 03.10.11:
versteh ich gut. lesen reicht ja^^

lg und danke

 AZU20 (03.10.11)
Da ist vieles richtig. LG

 Melodia schrieb daraufhin am 03.10.11:
klingt es arrogant, wenn ich jetzt sagen, dass ich das weiß?!^^

vieles bedeutet aber nicht alles... was denn nicht?

lg und danke

 AZU20 äußerte darauf am 03.10.11:
Ich weiß z.B. nicht, ob Papst und Kirche ihre Auftritte wirklich so gewählt haben, wie wir es ihnen unterstellen. LG

 Melodia ergänzte dazu am 03.10.11:
achso, ja gut, deshalb habe ich ja auch geschrieben, dass es mir so vor kam. möchte dem vatikanischen reisebüro da nichts konkretes unterstellen.

lg

 loslosch (03.10.11)
ich sach halt nur mit max liebermann: "Ach, wissen Se, ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte."

dies zum thema sex. missbrauch. ohne es zu wissen, dachte ich schon, dass da eine handverlesene schar von opfern hinter verschlossenen türen ... dass es dann exakt eine handvoll waren, schlägt dem fass den boden ins genick. die betroffenen opfer sind nach meinem ermessen allesamt in kirchlichen funktionen tätig. soviel demut musste eben sein.

ich hörte mal von einem abiturienten, der das theologische studium begann aus verirrtem schuldbewusstsein, weil der homosexuelle stadtpfarrer ihn bedrängt hatte. solche 5 hanseln waren das? lothar, leer gekotzt

 Melodia meinte dazu am 03.10.11:
ich lass es noch etwas liegen.. soll der papst es mit seinem gewand aufwischen!

lg und danke!

 Dieter Wal (18.03.12)
Damit möglichst niemand "aussteigt", ließe sich hier und da kürzen. Ansonsten wirklich gelungen!

Mir helfen z. B. klar erkennbare Strukturen im Text, die graphisch hervorgehoben werden. Anderen Leser-Typen ist das wieder schnurz. Versuche bei Kommentaren von den verschiedenen Wahrnehmungsarten und Bedürfnissen verschiedener Typen möglichst allen gerecht zu werden. Das hat aber nichts mit dem transportierten Inhalt zu tun. Da scheiden sich die Geister.

Halte es für kulturell wertvoll, wenn sich jemand wie du sorgfältig eines Themas annimmt und es anderen mitteilt. Den Kommmentar hättest du auch in einer Zeitung unterbringen können. Oder hast du?

 Melodia meinte dazu am 18.03.12:
erst mal vielen dank für das lesen!

ja die übliche gefahr von längeren texten; vor allem hier auf KV. das mit dem hervorheben: hatte ich mir damals auch überlegt, mich aber dagegen entschieden, da ich nicht wollte, dass der text nur noch aus markierungen und unterstreichungen besteht; hätte mich ohnehin nicht entscheiden können, was und wie.

das thema ist natürlich schwierig, aber ist meine meinung.

vielen dank für dein lob. nein, zu mal ich den text leider erst ein etwas später angefangen habe zu schreiben und da schien es mir nicht mehr passend zetiungen zu belästigen^^

aber durch den text bin ich auf die idee gekommen meine kolumne ins leben zu rufen.

lg
HiddenPuppet (20)
(15.04.12)
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 Melodia meinte dazu am 15.04.12:
ich habe zu danken!^^

das schöne an dem text war auch, dass er mich zum kolumne schreiben motiviert hat... also falls du mal interesse hast, kannst dir ja mal meine anderen "tiraden" durchlesen.. freu mich über jede meinung!

lg und danke noch mal!
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