Suizid

Essay zum Thema Selbsthass/verletzung/mord

von  loslosch

Maius est delictum seipsum occidere quam alium (Codex Iuris Canonici (CIC); Sammlung römisch-katholischen Kirchenrechts aus dem Mittelalter). Ein größeres Verbrechen ist es, sich selbst zu töten als einen anderen.

Diese Sichtweise wirkt auf uns Heutige äußerst befremdlich, ja abstoßend. Doch ist es uraltes, vorchristliches Gedankengut, mindestens so alt wie das Alte Testament (ab 1000 v. Chr.), das den Suizid ähnlich schroff bewertete. Ebenso verurteilte Sokrates (5. Jh. v. Chr.) den Eingriff in den supponierten göttlichen Plan. Suizid ist vermutlich älter als die Menschheitsgeschichte. Selbst domestizierte Primaten (Schimpansen) sollen schon ihren Tod durch bewussten Atemstillstand herbeigeführt haben. So berichten Tierforscher.

Hinter dieser Weltsicht könnte stehen, dass die Erfahrung eines Selbstmordes bei den nächsten Angehörigen insbesondere in alter Zeit Urängste ausgelöst hat. Der Selbstmörder könnte von einem bösen Geist verfolgt gewesen sein. Das Rätselhafte des selbst gewählten Todes löste oft Panik aus. Daher wurden noch im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit die sterblichen Überreste von Selbstmördern außerhalb der Friedhofsmauern beigesetzt, nein: verscharrt. Oft kam es dabei zu Exzessen, ausgefeilten Schändungsritualen beim sog. sepultura asini (Eselsbegräbnis). Verstümmelung, Zerstückelung, Enthauptung, Durchbohren der Leiche. Dadurch sollte verhindert werden, dass der geheimnisumwobene Tote als Wiedergänger erneut hienieden die Menschen verunsichert.

Das Christentum hat diese eigene, höchst unchristliche Sichtweise erst sehr spät aufgegeben, wohingegen schon die Römer zwischen Selbstmord als Flucht vor drohender Verurteilung und als Folge seelischen Leidens streng unterschieden hatten. Selbstmörder wurden von den Christen im Mittelalter und noch in der Neuzeit letztlich doppelt "bestraft", durch Ausschluss aus der Friedhofsgemeinschaft der Toten und nachträgliche Exkommunikation.

Ein klarer Rückfall hinter das Recht der Römerzeit. Eine Art christlicher Selbstmord.

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Kommentare zu diesem Text


 Bergmann (09.10.11)
Das Christentum, insbesondere der Katholizismus, ist hinter den jüdischen Monotheismus zurückgefallen, und dazu muss Jesus (Christus) herhalten: Vater, Sohn (und nach Paulus' Zeit: heiliger Geist, und später: Maria, und die Heiligen...) - also Rückkehr zur polytheistischen Religion. Außerhalb der kirchlichen Dogmen noch schlimmer: Eklektizismus/Mischmasch mehrerer Religionen und Götter und 'Tempel'...
Ergo Fortschritt?: Nein.

 loslosch meinte dazu am 09.10.11:
wie ich sehe, brauchtest du dich ins komplexe thema gar nicht erst einzuarbeiten, uli. t.t. lo
Jack (33) antwortete darauf am 15.10.11:
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 Kontrastspiegelung (09.10.11)
Hallo loslosch,

das es so lange dauerte bis man sich Gedanken gemacht hat warum man Selbstmorde begangen wurden? Doch interessiert es mich wie es mit den Griechen war. Galten deren Selbstmorde den Göttern gerichtet, wenn ja, wie lange hielt das an?

Und wegen: Ein größeres Verbrechen ist es, sich selbst zu töten als einen anderen. und Diese Sichtweise wirkt auf uns Heutige äußerst befremdlich, ja abstoßend. Finde ich interessant. Da fallen mir einmal Selbstmordattentate auf. Die wurden schon früher ausgeübt, wenn ich mich nicht irre. Und werden sogar noch heute gemacht. In dem man zbs. bei schweren Unfällen einen aus der Schlinge zieht, mit dem Gefahr selbst erwischt zu werden. Manche gehen sogar dem nach, weil sie "Nichts" zu verlieren haben. Die sind Psychologisch am Ende ihren Lebensweges.

Lg, Konti
(Kommentar korrigiert am 09.10.2011)

 loslosch schrieb daraufhin am 09.10.11:
selbstmordattentate. ein wichtiges stichwort. der tyrannenmörder im kamikaze-stil wird allgemein wertgeschätzt. in anderen fällen stehen die unschuldigen opfer im vordergrund, sodass der tod des attentäters als das einzig "positive" anzusehen ist.

quer durch alle weltreligionen ist die meinung über den suizid, auch in der historie schon, uneinheitlich. ich empfehle einen blick auf den wiki-artikel suizid, besonders den abschnitt "Suizid in Weltanschauungen". eine erdrückende vielfalt. neu für mich, dass die witwenverbrennung im ursprung suizidal war. die verzweifelten frauen sprangen in den scheiterhaufen aus anlass der leichenverbrennung des gatten. davon übrig geblieben ist in der modernen gesellschaft der ausruf der witwe: "ich will nicht mehr leben!" danke fürs große interesse. lothar
(Antwort korrigiert am 09.10.2011)

 Lluviagata äußerte darauf am 09.10.11:
- [ ... die verzweifelten frauen sprangen in den scheiterhaufen aus anlass der leichenverbrennung des gatten.]
Sprangen? Sie wurden hineingeworfen!

[Dieses geschah aus religiöser Überzeugung oder aus sozialem Druck. Frauen, die Sati begingen, wurden in hohen Ehren gehalten und teilweise göttlich verehrt, ihre Familie gewann hohes Ansehen.] (Sati -Wikipedia)

Ich frag mich, was das für eine Ehre sein soll, wenn es den Töchtern einst genau so ergehen wird ...

- [... davon übrig geblieben ist in der modernen gesellschaft der ausruf der witwe: "ich will nicht mehr leben!"]

Wie wäre es damit: "Endlich kann ich leben!" ;)

Eine sehr interessante Diskussion! ♥

 loslosch ergänzte dazu am 09.10.11:
ich sagte: ... im ursprung suizidal ... die waren natürlich ideologisierte bis verirrte. mein modernes zitat ist sarkastisch (frauen sind die besseren schauspieler!) und empirisch erlebt. jawoll. endlich frei triffts. ich brauch jetzt keine telefonhäuschen mehr zu putzen, kann telefonieren, soviel ich mag, und mit der frau nachbarin schwadronieren. :)

 Lluviagata meinte dazu am 09.10.11:
Mehr nicht? Also, ich würde erst einmal ... :))))

 loslosch meinte dazu am 09.10.11:
ja du! die dame, die ich meinte, war noch 5 jahre älter als du.

 Kontrastspiegelung meinte dazu am 09.10.11:
wenn ich euch beide lese, so muss ich unwillkürlich an Jeanne d’Arc denken.

Sie sollte auch auf dem Scheiterhaufen verbrennen, wenn sie ihre Schuld nicht einräumen sollte. Doch, wenn sie ihre Schuld einräumen sollte, so landete sie automatisch ins Gefängnis. Toll. Man hat nun die Schuld aufgenommen und dann wurde man der Ketzerei beschuldigt. Nicht Logisch, es gab kein entrinnen für die Frau (wenn man die wahre Geschichte nicht kennen würde). So war man unzufrieden und beschuldigte Sie noch zur rückfälligkeit der Ketzerei, da sie angeblich Männerkleidungen trug, wobei sie das musste, wenn keine anderen Kleidungen hingeworfen wurden. Das Ende vom Lied ist, das sie doch auf dem Scheiterhaufen landete.

Soviel zum Thema Witwe. Die Gesellschaft wollte einiges nicht ansehen und brachte Regeln raus, die von vorne und hinten nicht passten. Hauptsache, sie kamen raus und (mitunter)gegen die Frauen.

Da würde ich suizid begehn wollen als in dem Zeitalter zu leben. Aber, wenn schon, dann als kamikaze^^

lg,

 Lluviagata meinte dazu am 09.10.11:
@ Lothar: War? :O
KingCrimson (37)
(09.10.11)
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 loslosch meinte dazu am 09.10.11:
der gedanke erscheint mir zu wenig strukturiert. lo

 Lluviagata (09.10.11)
Selbstmord ist die letzte Folge einer Serie von Auswegs- und Ratlosigkeiten.
Die Kirche spielt Gott. Sie ist nicht Gott.
Sie ist grausam. Noch heute. Was sind aber wir, die wir zurückbleiben? Traurig, froh, verbittert, hilflos, zufrieden ...
Danke für diesen wissenswerten Text! ♥

 loslosch meinte dazu am 09.10.11:
heute habe ich eine halbe stunde auf den wiki-artikel "suizid" verwendet. siehe oben bei konti, liebe andrea.

klar spielt die kirche gott. wer anders als sie! lothar
supernova (51)
(09.10.11)
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 loslosch meinte dazu am 09.10.11:
nicht selten aber ist der suizid des schwer persönlichkeitsgestörten, wobei diese störung ex post oft kaum zu überprüfen ist. rudolf hess hat sich im riesigen knast 93-jährig erhängt. man weint ihm keine träne. aber schwer gestört war er schon (und hat die gefängnisaufsicht zum affen gemacht).

die große herde? bei der kath. kirche und den steigenden kirchenaustritten passts schon. aber beim staat? der hat doch eine - groß zur schau getragene - fürsorgepflicht, bea! lothar
supernova (51) meinte dazu am 09.10.11:
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 EkkehartMittelberg (09.10.11)
Ich vermute, dass hinter der christlichen Ächtung des Selbstmords der Gedanke steckt, dass Leib und Seele des Selbstmörders Gott gehören, dass dieser sich also mit dem Auslöschen seines Lebens an Gottes Schöpfung vergreift. Das ist freilich mit der Allwissenheit und Allmacht Gottes nicht in Einklang zu bringen, der schon vorher weiß, wer eigenmächtig störend in seinen Plan eingreift. Aber solche theologischen Gedanken verunsichern noch heute die Masse der Gläubigen nicht. Sie konnte mit dem Schindanger-Begräbnis Jahrhunderte in Furcht und Schrecken gehalten werden.
Ekki

 loslosch meinte dazu am 09.10.11:
gut rausgepickt. ich schrieb ja vom supponierten göttlichen plan. ganz bewusst habe ich dieses wort "supponiert" gesetzt.

schön-schaurig dieser schindanger [schind-anger!]. bei gelegenheit im text aufzugreifen. danke dir, ekki. t.t. lothar
AronManfeld (43)
(09.10.11)
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 loslosch meinte dazu am 09.10.11:
aber das ist doch auch eine monotheistische religion, die älteste übrigens.
AronManfeld (43) meinte dazu am 09.10.11:
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 loslosch meinte dazu am 09.10.11:
... wie den heiligen bimbam.

 loslosch meinte dazu am 09.10.11:
und das heilige kanonenrohr:

Als heiliges Kanonenrohr bezeichnet man ein Kanonenrohr, das aufgrund seiner überragenden Leistungen heilig gesprochen wurde.

Gemessen wird der Erfolg eines Kanonenrohrs an der Anzahl sog. Echt Böser Menschen (EBM), die durch Kugeln besagten Rohres den wohlverdienten Tod fanden. Die Liste der EBM wird monatlich aktualisiert vom Papst herausgegeben. Die aktuelle Liste findet sich hier im Online-Angebot des Vatikan.

Selig wird ein Kanonenrohr i.d.R. nach 50 getöteten EBM gesprochen. Die Heiligsprechung erfolgt dann meist nach 100 weiteren Akten. Die Entscheidung hierüber liegt allerdings letztlich allein in der päpstlichen Hand. [stupidedia]

 Lluviagata meinte dazu am 09.10.11:
:O

 ViktorVanHynthersin (10.10.11)
Christentum hin oder her, erschreckend finde ich Foren im Internet in denen sich mal eben über die besten Selbstmordmethoden ausgetauscht wird, die vielversprechensten Plätze dazu gepostet werden und oder gewettet wird, welcher Promi sich als nächster das Leben nimmt.
Herzliche Grüße
Viktor

 loslosch meinte dazu am 10.10.11:
uwe barschel vermisste damals schon das internet. aber er hatts trotzdem geschafft! lothar
Jack (33)
(15.10.11)
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Menschenkind (27) meinte dazu am 15.10.11:
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Jack (33) meinte dazu am 15.10.11:
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 loslosch meinte dazu am 15.10.11:
es ging im text nur um die unchristliche behandlung der selbstmörder durch die katholische kirche. wie handhabt sie das heute? mal dumm gefragt. oder hat die andere sorgen: priesterlicher kindersex usw. klar gibts oft keine freie entscheidung zum suizid (besser formuliert als selbst-MORD). zwei extreme: der alte, schwerkranke patient mit klarem bewusstsein und uralter, dazu stimmiger patientenverfügung. oder die 14-jährige hoch suizidgefährdete deutsch-türkin, geplagt vom elternhaus mit archaischem denken und zu drei viertel in der europ. kultur angekommen. hätte sie einen taufschein und würde sich umbringen, die kirche müsste ihr ein denkmal errichten - füs christliche versagen ...
Karmesin (20)
(15.10.11)
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 loslosch meinte dazu am 15.10.11:
siehe kommi bei jack, auch zu deinem thema. wie machts denn die kath. kirche im pseudoreligiösen austria heute? lo
Karmesin (20) meinte dazu am 15.10.11:
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 loslosch meinte dazu am 15.10.11:
köstlich, diese pfaffen in austria (anderswo auch): haben schiss und glauben somit ans irdische überleben. nix mit märtyrer ...

 Dieter Wal (17.10.11)
Lieber Lothar,

erfreulich, d a s s du über Suizid schreibst, weniger erfreulich, w i e.

Weniger erfreulich, weil gewöhnungsbedürftig recherchiert.

Ein Suizid-Verbot der Thora gibt es so nicht. Es wurde in nachtalmudischer Zeit formuliert. Mehr dazu z. B. im Lexikon der Letzten Dinge, S. 400. Christlicherseits wurde im Jahr 533 auf der Synode von Orléans beschlossen, Suizidenten christl. Bestattungen zu verweigern. Wurde 1983 aufgehoben.

Bedauerlich, dass du im Text nicht das neutrale Wort Suizid, sondern den negativ wertenden Begriff Selbstmord verwendest. Das schwächt in meinen Augen den Text, da er eine Wertung nicht allein dem Leser überlässt.

Eine sehr schöne kulturwissenschaftl. Zusammenfassung über Suizid findest du Z. B. bei Thomas Bronisch in "Der Suizid". S. 83 f.

Suizid scheint für erstaunlich viele Menschen von Bedeutung zu sein. Denn meine wenigen Texte, die davon handeln, erhielten bei KV die (bei Dieter Wal relativ) höchsten Aufrufzahlen.

Herzlich
Dieter
(Kommentar korrigiert am 17.10.2011)

 loslosch meinte dazu am 17.10.11:
hättest du dich der mühe unterzogen, den in der tat recht langen thread zu lesen, hättest du meine präferenz für das wort suizid (sui cidere) entdeckt, dieter:

"klar gibts oft keine freie entscheidung zum suizid (besser formuliert als selbst-MORD)." findest du gleich oben unter jack bzw. menschenkind.im übrigen kannst du gern einen link setzen. zum AT schrieb ich nur den einen satz, dass es den suizid schroff bewertete. ich überfrachte ungern meine texte mit details und gebe lieber quellen an. so verwies ich bei konti auf einen wiki-artikel.

non, rien de rien, non, je ne regrette rien. lothar

 Dieter Wal meinte dazu am 17.10.11:
Emmanuel., bist du das? :))

 loslosch meinte dazu am 17.10.11:
nein, edith.
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