„Das geht vorbei.“

Text zum Thema Leben

von  Erdbeerkeks

Meine Mutter sitzt manchmal im Wohnzimmer und schaut sich alte Videos an. Von meiner Schwester und mir, da war ich 2 und sie 10.
viele Leute wundern sich immer, dass uns 8 Jahre Altersunterschied trennen, aber dabei finde ich, dass –
Ich trug geblümte Kleider mit Rüschen, so groß wie mein Kopf, den ich gerade hilfesuchend in ihrem Schoß vergrabe. Mein heutiges Ich steht links von ihr im Türrahmen, lächelt, als alte Zeiten vorbeirauschen wie bunte Karusselpferde auf einer Kirmes.
Meine Mutter saß noch auf dem Schoß ihres Mannes, genauso wie meine Tante auf dem meines Onkels, der aussah wie ein junger Prinz mit seinen Locken
oh man, schon echt seltsam, da fragt man sich doch gleich ob man selbst so in ungefähr – 
und dem Mr-Charming-Lächeln. Heute sehen seine Augen aus wie Milchglas – sie sind ganz glupschig, und nass und er trägt seinen Bierbauch vor sich her, als sei er schwanger. Seine Honigstimme hat sich in ein rauchiges Nuscheln aufgelöst.
Ich sehe zu wie ich mich mit meiner Schwester um ein Bonbon streite. Sie rennt vor mir davon
nein, Moment, das war kein Bonbon, das war doch dieser Zitronenlutscher, der eine mit diesen winzigen –
und ich wünsche mir diese Tage zurück, in denen wir uns nur wegen Süßigkeiten und Spielzeug anschrien.
Ein Jahr später hing ich mich an den Rockzipfel meiner Oma, verlangte mit großen Augen nach einer Geschichte über sprechende Sofakissen und Einhörner. Sie backte Kekse; es war Weihnachten und ich kann mich kaum noch daran erinnern. Wir sind umgezogen, die Wände wissen keine Geschichten mehr und die Couch im Wohnzimmer kennt keine Gerüche mehr. Ich liege manchmal auf ihr, Kopf nach unten, ich hoffe. Sie stinkt nach Möbelhaus. Mama macht die gleichen Kekse, heute noch,
also irgendwie schmecken sie nicht mehr so wie früher, keine Ahnung, das Rezept –
und während ich sie esse, denke ich daran, wie meine Oma zerfällt. Krebse sollte man lieber essen anstatt sie in sich zu tragen.
Ich will mich abwenden. Ich hänge nicht so sehr an alten Erinnerungen, und wenn, dann nur im Stillen. Meine Mutter sitzt da; ich sehe, wie sich der Bildschirm in ihren großglänzenden grauen Augen spiegelt. Ich drehe mich um, trete lautlos aus der Tür und frage mich, ob mir irgendwann auch nicht mehr bleiben wird, als das.

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Kommentare zu diesem Text


 mondenkind (13.10.11)
ein toller text. sehr wehmütig und melancholisch. diese rückblenden kenne ich auch sehr gut. und die erinnerungsfetzen, die durch gerüche oder bildfragmente ausgelöst werden.
ich wünsche dir, dass du später, wenn du ein alter, grauer erdbeerkeks bist, lächelst, wenn du zurückblickst und dabei eine warme, liebende hand auf deiner liegt.

 princess (14.10.11)
Ein Text fast wie ein alter Schwarzweißfilm... als Erdbeerkekse laufen lernten und die Couch noch nach Zuhause roch. Wehmut lese ich da. Und dass Abschiede manchmal doof sind, vielleicht sogar ein wenig Angst machen. Ich mag diese leisen Töne.

Liebe Grüße, Ira
cooori (20)
(08.08.12)
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 MrDurden (04.09.12)
Mit dem Älterwerden spielen Verlust und Tod eine immer größere Rolle im Leben. Es ist aber eine allgemeine Fehleinschätzung, dass "früher alles besser" war. Man erinnert sich an Omas Plätzchen, das Glück der Eltern, und man wünscht sich, wieder Kind sein zu können. Allerdings vergisst man, dass man als Kind keine Privatsphäre, keine Rechte, keine Freiheiten und keinen Respekt von seinen Mitmenschen hatte. Man war einfach nur süß, oder auch nicht.

Heute zahlen wir Rechnungen, verlieren einen Menschen nach dem anderen, tanken uns in den finanziellen Ruin und suchen nach Menschen mit denselben beschissenen Problemen, die wir lieben können. Aber so mies sich das auch anhört, es ist doch besser, als auf einem Bobby Car durchs Leben zu schlurfen und von keiner Sau ernst genommen zu werden.

Alles geht irgendwie vorbei. Dann kommt etwas Neues und die Illusion, das Leben werde immer schlimmer und unmenschlicher. Aber der Sinn des Lebens ist wohl daran zu wachsen, nicht immer klein zu bleiben.

Gern gelesen! Grüße, David!
(Kommentar korrigiert am 04.09.2012)
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