Stille für immer

Bericht zum Thema Liebeskummer/ Liebesleid

von  tastifix

Für immer Stille

Nichtsahnend rief Sabine am Morgen die letzte Nachricht auf der Mailbox auf. Sie stammte vom Vorabend um 21.22 Uhr.
Ein eigenartiges Gefühl beschlich Sabine, denn sie vernahm die Stimme des Mannes, der ihr mal sehr, sehr viel bedeutet hatte.

Das eigenartige Gefühl wurde zu einer Empfindung sich erschreckend rasch verstärkender Beklemmung, die eine grausame Bestätigung erfahren sollte.
„Sabine, ich liege im Sterben. Hast du Zeit? Kannst du mich anrufen?“
Es schnürte sich ihr die Kehle zu. Ihre Hand, die noch krampfhaft versuchte, das Telefon zu halten, sank kraftlos herunter.

Wachsbleich geworden, versuchte sich Sabine noch am Riemen zu reißen -vergeblich. 
„Er stirbt - und ich hatt das Handy ausgestellt.“
Selbstvorwürfe begannen sie zu quälen:
„Wie konnte ich es nur ... ? Vielleicht ist er jetzt schon tot ?“
Sie erschauerte:
„Und er wollt noch ein letztes Mal mit mir reden, mir noch etwas sagen ...“

Wie in Trance stand sie dort, vermochte minutenlang keinen klaren Gedanken zu fassen. Mit klammen Fingern wählte sie seine Nummer, die ihr aus den Jahren des innigen Glückes so sehr vertraut war. Nichts. Stille. Panikartige Angst nahm sie gefangen, dass es bereits zu spät sein, der geliebte Mann ohne jeden Abschied von ihr gegangen sein könnte.
„Nie würde ich zur Ruhe kommen ...“

Wieder und wieder versuchte sie es. Endlich, endlich gegen Mittag zeigte sich das Schicksal gnädig, sie erreichte ihn tatsächlich. Aufgewühlt vor Kummer sog Sabine jedes seiner Worte in ihr Herz, um sie dort für immer zu bewahren und nie, niemals wieder zu verlieren.
„Manfred, Manfred!!“
Wie ein Hauch sreifte es sie:
„Es war so schön mit dir!“
Da war es um ihre Selbstbeherrschung geschehen. Wie, um Manfred zu umklammern, rief sie ihm verzweifelt entgegen:
„Du wirst für immer ganz tief in meinem Herzen sein. Ich hab dich lieb!“

Da, am anderen Ende der Leitung ein letztes Aufbäumen, die Stimme für wenige Sekunden kräftig wie stets zuvor:
„Ach, was ist das schön!“
Danach Stille, eine unheimliche Stille. Doch mit letzter Kraft stieß er hervor:
„Tschüss, du, meine Liebe!“
Noch ehe Sabine etwas sagen konnte, lag am anderen Ende der Hörer.
„Es ist zu ende!“, flüsterte sie tonlos. „Nie wieder ... Neeiin!!“
Immer wieder murmelte sie seinen Namen, als ob sie ihn dadurch hätte zurückrufen können. Aber sie wusste, es würde ihn nicht mehr erreichen.

Es war zuviel für sie. Sie schrie auf, schrie sich die eiskalte Klammer des übergroßen Kummers minutenlang von der Seele. Sie hörte nicht die Schritte ihrer Tochter, die besorgt herbei eilte:
„Mama, was ist passiert? Mama, sag doch?“
Erschrocken drehte sie sich zu ihr um. Tränenüberströmt vertraute sie sich ihr an. Liebevoll nahm die Tochter sie in den Arm. Sabine drängte es, sich noch bei ihr entschuldigen, weil sie sie doch eigentlich damit gar nicht belasten durfte:
„Mama, du musst jetzt weinen. Das darfst du nicht verdrängen!“
Es tat so gut, diese Umarmung und Sabine fasste sich wieder.
„Ich hab ihm noch in der letzten Sekunde Halt geben können!“
„Eben, Mama!!“

Abends wälzte sie sich schlaflos im Bett. Sie betete um eine Verbindung zu ihm, der für immer von ihr gegangen war.
„Bitte, gib mir ein Zeichen!“
Ihr Verstand sagte ihr, wie vergeblich, wie verrückt das war.
„Er ist tot!“, beschwor sie sich. „Er würd nicht wollen, dass ich jetzt leide.“
Gerade hatte sie sich ein wenig gefangen, da bimmelte ihr Handy. Sie zuckte wie alarmiert zusammen, griff das Gerät und nahm das Gespräch an. Im nächsten Augenblick dachte sie, ihr Herz würde aussetzen. Es war seine Stimme.
„Manfred!“, stammelte sie hilflos.
Er wollte ihr wohl noch etwas sehr Wichtiges sagen und redete ohne Unterbrechung. Es kam nur als schwaches Flüstern bei ihr an, völlig unverständlich für sie. Aber ihr Gefühl verbat ihr,  ihn dies wissen zu lassen. Denn es hätte ihn unnötig gequält, weil es  ihm nicht mehr gegeben war, deutlicher zu reden.

Als er nach zwei Minuten verstummte, schickte sie ihm nur ein leises Ja, mehr nicht. Ein letztes Mal legte er Kraft in die Stimme:
„Tschüss, mein Schatz!“
Das war alles.
Sabine hörte ein letztes verzweifeltes Stöhnen, dann herrschte Lautlosigkeit, Todesstille, die nur vom Fallgeräusch seines Handys ein letztes Mal unterbrochen wurde ...

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Kommentare zu diesem Text

rosablume (63)
(02.07.12)
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