Dorn und Stachel

Text zum Thema Entfremdung

von  modedroge

Wenn jemand miterlebt, wie ich eine Packung Küchenpapier kaufe, könnte er meinen, dass ich damit in meiner Wohnung, wie es sich gehört, den Schmutz entferne, denn Schmutz sammelt sich überall, immer wieder, er ist das Natürlichste der Welt (dicht gefolgt vom Sex und der Wut, oder war es doch die Liebe). Aber noch bevor mir etwas Derartiges unterstellt wird, habe ich schon das ungute Gefühl, dass ich diesen Orden gar nicht verdient habe, weil ich nämlich zur effektiven Schmutzentfernung überhaupt nicht in der Lage bin. Ich fege den Dreck von einer Ecke in die andere, verteile Staub mit Besen, Bürsten und Lumpen auf Fußböden, Klobrillen und Regalen, und selbst wenn der Unrat das Heim verlässt, habe ich niemals das erlösende Gefühl, er wäre entsorgt. Ich weiß, er wechselt nur den Standort. Er zieht um.
Ich aber bleibe hier und werde unaufhörlich mit immer neuem Unrat konfrontiert, dem ich tapfer, standhaft zu begegnen habe. Das ist die Normalität. Was üblich ist. Was gerade noch geht und was man schon nicht mehr machen kann. Das verfolgt mich überall hin und ich kann es trotzdem nicht fassen. Das Einfache, das Triviale. Wie es möglich ist, dass man von den drei Wegen zuverlässig denjenigen wählt, der nicht in die Irre führt. Intuitiv. Das erkläre man mir bitte eines gewöhnlichen Tages, damit ich es vielleicht auch einmal nachvollziehen kann, denn ich für meinen Teil verfüge nicht über eine Intuition und kenne nicht den rechten Weg; ich neige eher zum Linkischen. Zum Irren. Kennen Sie den Unterschied zwischen Stachel und Dorn, zwischen Gehörn und Geweih?
Es ist ja im Grunde scheißegal. Mir ist sowieso alles grundsätzlich scheißegal. Bis jemand seinen Mund aufmacht und anfängt, zu mir zu sprechen. Das überwältigt mich.
Dann erscheinen Worte als die sonderbaren, künstlichen Konstruktionen, die sie sind und die ich kaum so auffassen kann, wie sie gemeint sind. Wie soll ich erraten, was ein Mensch meint, wenn er mir vollkommen fremd ist? Es ist ein einziger Zerfall in Undefinierbares und es will mir nicht gelingen, das Eine mit dem Anderen in Einklang zu bringen. Ich schaffe es nicht, Fremd-Worte zu sinnvollen Gebilden zusammenzusetzen, von denen man ablesen kann, was sie zu bedeuten versuchen.
Vielleicht strenge ich mich nicht genügend an. Vielleicht strenge ich mich zu sehr an – try hard, die hard. Womöglich habe ich auch Angst davor, zu begreifen, was der Mensch mir zu sagen hat. Mit Sicherheit jedoch habe ich keine Lust dazu, mich selbst in der Rolle der Angesprochenen zu dulden. Sobald mich jemand wahrnimmt und als würdig befindet, angezapft zu werden, bin ich gefangen. Ohne dass ich es verhindern kann, werde ich in einen Zusammenhang gezerrt. In ein Bezugssystem gezwängt. Plötzlich sind Sender und Empfängerin verbunden, zu einem unfreiwilligen, täppischen Wir.
Ich weigere mich, zu empfangen. Ich ziehe meine Fühler ein, schiebe den Riegel vor. Man hat mir ohnehin nie etwas zu sagen. Man sagt Dinge zu sich selbst und gebraucht mich als Publikum. Um sicherzugehen, dass man keine Selbstgespräche führt – was absurd wäre. (Andere Leute zu Zeugen seiner Selbstgespräche zu machen: Das ist nicht absurd.)
Kaum wage ich meinerseits ein Tasten, kaum füge ich selbst Laute zu Wörtern zusammen, höre ich keine Worte, sondern nur Phrasen, die mir die Erde unter den Fußsohlen zermahlen. Spürbar. Ich hätte gar nichts sagen sollen, ich hätte noch nicht einmal etwas zu hören brauchen. Es ging um die Bestätigung. Keine Ursache.
Oft erinnert mich der Mensch an ein Buch, das ich nicht verstehe – oder das mir nicht gefällt. Was ich in ihm lese, müsste einen Sinn ergeben: Die Formulierungen sind sicher richtig und klar. Und doch bleiben sie sinnlos und unbegreiflich für mich, ein ärgerliches Rätsel.
Täglich werde ich erschüttert durch nutzlose Wirrnis, die mir erspart geblieben wäre, hätte man mich im Voraus nach meiner Bereitschaft gefragt. Kaum traut man sich, einen Schritt in meine Richtung zu tun, stößt man sich an der Mauer, die man nicht sehen kann. Kaum streckt man die Hand aus, zuckt sie schon blutend zurück. Und dann begreift man schlagartig den Unterschied zwischen Dorn und Stachel, aber zu spät.
Den Unterschied zwischen sich selbst und mir bemerkt man hingegen stets auf Anhieb. Wenn ich etwas sage, dann bediene ich mich nämlich der Verrücktenfachsprache, damit mich niemand versteht und ich mich über die Ignoranz des gemeinen Volkes lustig machen kann.
Nein, das stimmt nicht. Ich rede mir das nur ein, um mir nicht auch noch ernsthaften Kummer einzuhandeln, denn in Wahrheit freut mich diese endlose Farce kein bisschen. Ich sehne mich eigentlich danach, verstanden zu werden, zumindest wünsche ich mir die Gewissheit, dass es theoretisch möglich wäre, so, wie man sich eine Einladung zu einer Geburtstagsfeier wünscht, auf die man ohnehin nicht eingehen wird, weil einen das Theater an sich überhaupt nicht interessiert.
Man möchte sich nur seiner eigenen Wohnhaftigkeit auf diesem Planeten vergewissern, aber das ist mir niemals möglich gewesen, weil es kein Durchdringen gibt. Ein unbeholfenes Grapschen ist nicht nur demütigend, sondern schlichtweg zwecklos, denn das Gitter hat keine Tür und ich weiß das und beklage mich. Dabei ist mir noch nicht einmal klar, wer von uns ein- und wer ausgesperrt ist. Aber weil das ohnehin keinen Unterschied macht, achte ich nicht darauf. Und du?
Kennst mich nicht anders. Wenn man einen Menschen immer nur hinter Gittern gesehen hat, denkt man leicht, er sei gestreift.

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Kommentare zu diesem Text

Rechtschreibprüfung (30)
(08.11.11)
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 modedroge meinte dazu am 08.11.11:
Interessanter Kommentar! Schön, dass du dir die Zeit genommen hast.
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