Die Struktur der Kälte

Kurzgeschichte zum Thema Liebe und Tod

von  blauefrau

Er schnürte sie an einen Pfahl und legte über ihren Körper ein weites Gewand, dessen Kapuze über ihre Augen fiel. Das letzte, was sie sah, war das neongrün leuchtende Schild Notausgang, als ihr Herz kalt wurde und ihre Augen brachen.
An den beiden  Tagen  waren im Museum Betriebsferien. Die Alarmanlagen blieben eingeschaltet, und erst am dritten Tag wurden die Bilder und Skulpturen, die nicht im Besitz des Museums waren, bruchsicher in Kisten verstaut und mit Sicherheitstransportern an ihre Zielorte gebracht. Otter, so sein Namensschild, hatte einen Sicherheitsanzug  an, und der Museumsleiter wunderte sich, dass ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes schon so früh vor Ort war. “Abtransport ist um zwölf Uhr und nicht um achte“, rief der Chef. Otter grunzte nur, und der Chef wandte sich von ihm ab, um die Einlagerung eines Gemäldes zu beaufsichtigen. Otter half maßgeblich bei der Einlagerung der Puktake - Skulptur mit. Er faltete das Gewand auf die Hälfte, klinkte  den Stab im Rücken der Statue in der Mitte aus und trug beides in eine große Kiste. Einzig dass er so schwitzte, wunderte  einen Museumsmitarbeiter, denn auch beim Aufbau war die Skulptur nicht schwer zu stemmen gewesen. “Mein Blutdruck“, flankierte Otter den Ausruf des Mannes. Auf dem Weg zum Zielort der Puktake - Skulptur bat Otter, anzuhalten. Er müsse dringend austreten. Nachdem Otter nicht wiederkam, nach 15 Minuten immer noch nicht, machten die Kollegen dem Chef des Sicherheitsdienstes Meldung, der sie bat, dringend  weiterzufahren und Zeit reinzuholen und der, als er Otter nicht auf dem Handy erreichen konnte, schließlich die Polizei informierte. Am Zielort, einer kleinen Kate bei Helsinki, ließen sich die Mitarbeiter den Empfang von einer Frau Jörgenson unterzeichnen, die anstelle der Künstlerin das Kunstwerk entgegennahm. Neugierig entfernte sie die Plane, wagte es aber nicht die Holzkiste aufzubrechen, die auffällig roch. Als ihre Freundin, die Urheberin, am Abend die Kiste aufbrach und das Gewand hochziehen wollte, sackte ihr aus der Kapuze  ein verzerrter Frauenkopf entgegen. Und am Grund  der Kiste fand sie einen Torso und Arme und Beine. Die Polizei stellte bei der Spurensicherung endlos viele Fingerabdrücke und Fasern fest. Die Skulptur war im Museum frei zugänglich gewesen, da eine Sicherheitsabsperrung nicht gewünscht war. Die Tote hieß Marie Schneider. Ihr Zahnschema lieferte ihren Namen. Die Veröffentlichung ihres Photos hatte neben üblichen schwachmatischen Anrufen zwei markantere Anrufe zur Folge. Beide Anrufer kannten die Tote unter dem Namen Marie. Der erste, Karl Münters, berichtete, dass sie ihn bei ihrem einzigen Aufeinandertreffen bis ins Mark erschüttert habe, in zweierlei Hinsicht: sie sei so schön wie eine Fee und so kalt wie eine Hundeschnauze gewesen. Der zweite, Vladi Fedorov, äußerte mit leichtem russischem Akzent sein Bedauern darüber, dass er diese Eisprinzessin nur einmal habe liebend begleiten dürfen und dann nie wieder. Über einen Escort-Service habe er mehrfach versucht, sie zu buchen, danach sei sie "wohl mangels Kunden", wie er kleinlaut anmerkte, einmal mitgekommen. In ihrer Wohnung fanden die Ermittler eine Liste, auf der sie ihre Kunden auf einer Skala von -15 Grad bis  + 35 Grad Celsius markiert/bewertet  hatte. Am kältesten kam ein “Doktor” weg, der, wie sie schrieb, fast wortlos und wenig erregt auf sie reagiert hatte, obwohl sie es gerade auf ihn angelegt hatte. Der Gerichtsmediziner stellte im Blut der Frau ein sedierendes Mittel sowie auf der Haut reichlich Rückstände eines Kältesprays fest. Die Todesursache war nicht ganz offensichtlich. Auffällig waren Abtragungen an Händen und Füßen der Leiche.



Fortsetzung folgt

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Kommentare zu diesem Text

fragilfluegelig (49)
(22.11.11)
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 Jorge (30.11.12)
Man liest interessiert und es stellen sich teilweise die kleinen Härchen auf. Eine Kurzgeschichte mit Psychokrimicharakter.
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