Höllenzellentür Nummer …

Erzählung zum Thema Andere Welten

von  Erdenreiter

Ich öffne die Höllenzellentür Nummer eins sieben fünf vier neun, dahinter befindet sich meine neuste Aufgabe. Als ich hinein trete, schreit mir der Insasse auch schon entgegen. Alles stinkt nach verfaulten Eiern, sein Fleisch hängt von seinen Knochen, und Larven tummeln sich in seinem verfärbten, fauligen, angeketteten Leib. Ich blicke ihn in die Augen, während ich darauf warte, dass er sich ein wenig beruhigt. “Guten Tag, lassen sie sich bitte nicht von meinen Hörnern und den Hufen irritieren, sie entstammen ihrer Fantasie.“ Doch das beruhigt ihn gar nicht, vielleicht liegt es an meiner Stimme, die so tief ist, dass der ganze Kerker anfängt zu vibrieren, und nach jedem Wort verzweifelte Höllenschreie ertönen, die einem schier das Trommelfell zerreißen, was übrigens wörtlich zu nehmen ist. Aber alle verfaulenden, abgetrennten, eiternden, verbrannten, abgehackten, gebrochenen, weggefressenen und so weiter, die Liste ist einfach zu lang, Körperteile et cetera, wachsen je nach dem sehr schnell bis absichtlich langsam wieder nach. Auf jeden Fall ist der Heilungsprozess sehr schmerzhaft, bis leck mich am Arsch, sind das verfickte Schmerzen, der Fachmann spricht hier von Höllenqualen. Und ich, ich bin ein Fachmann.

“Wie schauts aus?, willst du ewig hier schmoren?“, ich sagte schmoren, weil er es gerade tat, und meine Fresse!, stinkt das. Nachdem er entsetzlich schrie, brüllte, wer die Hölle kennt, weiß das dies nur Worte sind, wenn man es nicht mit eigenen Ohren gehört hat, kann man sich nur schwer vorstellen, wie entsetzlich Menschen schreien können, mal abgesehen davon, das jedes Geräusch ein künstlich lang wirkendes Echo hervor ruft, antwortet er, “du bist der Satan!“ “Wie ich schon sagte, lassen sie sich nicht von meinen Hörnern und den Hufen irritieren, sie entstammen ihrer Fantasie, und ja, von mir aus können wir uns ruhig duzen.“ Ach nö, der Mensch mal wieder, er denkt ich wäre Satan, als hätte er Zeit bei jedem persönlich vorbei zu sehen. “Mein Freund, es gibt keine Hölle!“, aber er hört mir nicht zu, ist lieber damit beschäftigt zu zusehen, wie irgend so ein Hirngespenst von ihm seine Finger frisst. Er dreht völlig durch, auch nach langer Zeit, schaffe ich es nicht zu ihm durchzudringen. “Ich habe die Hölle verdient!“, ist das einzige, was immer wieder deutlich zu verstehen ist, beim Rest scheint es sich um die Geräusche eines Wahnsinnigen zu handeln. Ich brauch erst mal eine Auszeit, verlasse die Zelle und schließe die Türe hinter mir, doch kann man die Räumlichkeit nicht gerade als Schalldicht bezeichnen. Menschen!, wie kann man nur auf der Erde geboren werden?, und denken es gäbe eine Hölle, oder man habe die Hölle verdient. Nein, die Hölle nicht, die Erde hatte er sich verdient! Kaum hat man den, du weißt schon wen, den?, pssst, genau den, aus der Hölle befreit, schon bekommt man nur noch die härte Fälle! Wenn man sich ein paar Tage, Wochen, oder Monate in der Hölle befindet, gut, aber meine neuste Aufgabe, der sitzt schon Jahre, und wen ruft man dann?, mich!, ja herzlichen Glückwunsch. Engel kannst du in solchen Fällen voll vergessen, die können sich zu zehntausenden mit ihren Ärschen auf einen Stecknadelkopf setzten, aber wenn es um den freien Willen geht, der ihnen heilig ist, dann kneifen sie, und schließlich sitzt ja jeder, wenn man so will, freiwillig in der Hölle.

Ich öffne erneut die Höllenzellentür Nummer eins sieben fünf vier neun, trete hinein und werde schon wieder mit Satan begrüßt. Was solls, von mir aus kann der mich auch für Pippi Langstrumpf halten. Nachdem ich mit meiner brennenden Peitsche links und rechts neben ihn auf den Boden schlage, hört er mir zu, “warum sitzt du in der Hölle?“ “Ich habe die Hölle verdient!“, woraufhin seine Haut in Flammen aufgeht. “Weißt du wer ich bin?“ “Du bist der Teufel!, genau so habe ich mir dich immer vorgestellt.“ Gerade war ich noch Satan, jetzt bin ich der Teufel, die Menschen können so Dinge einfach nicht auseinander halten, als nächstes sagt er noch Beelzebub zu mir. “Du wirst jetzt aufhören zu brennen, und auch sonst wird dir nichts schmerzhaftes passieren, wir unterhalten uns einfach, ist das klar!“ Tatsächlich hört er auf zu fackeln, dass ich für ihn wie der Satan oder der Teufel aussehe hat auch Vorteile, Glück im Unglück quasi. “So, mein Freund, warum bist du hier?, hier in der Hölle.“ “Ich habe Menschen getötet.“

Damit sagt er mir nichts neues, ich gehe ja nicht unvorbereitet von Höllenzellentür zu Höllenzellentür, aber meiner Erfahrung nach ist es immer besser, wenn die Insassen selber sagen, warum sie glauben die Hölle verdient zu haben. “Mein Freund, weißt du was Gott von Mord hält?“ “Mörder kommen in die Hölle!“ “Falsch, das sieht er ganz locker, man kann nur den Körper erschlagen, nicht die Seele. Ja, Gott lebt in seiner eigenen Welt, sieht so ein paar Dinge aus einem anderen Blickwinkel.“ “Du lügst, du bist der Teufel!“ “Dir ist aber klar, dass es einen Körper gibt, der ziemlich genau so aussah, wie du jetzt, der auf der Erde, oder besser gesagt in der Erde verrottet, oder?“ “Ja.“ “Würdest du sagen, dass du lebst?“ “Ja.“ “Mein Freund, das wird bei denen, die du ermordet hast auch nicht anders sein. Glaub mir, für so etwas kommt man nicht in die Hölle.“ “Aber, aber, aber ich bin doch in der Hölle!“ “Das ist natürlich richtig, aber die Frage ist warum?“ “Weil ich Menschen getötet habe, darum! Weiche Satan!“ “Mein Freund, wir drehen uns im Kreis.“ Ach man, der hellste ist er ja nicht. Wer echt die Arschkarte hat, sind die neidischen und boshaften, die werden im Sumpf der Materie eingeschmolzen und können nochmal von vorne beginnen.

“Ich kann alles sehen, was du dir vorstellst, und ich weiß, dass ich in deinen Augen Hörner und Hufen habe, ich sage es ein drittes und letztes mal, sie entstammen deiner Fantasie. Glaubst du wirklich, dass der Satan so auszieht, wie du ihn dir immer vorgestellt hast? Mein Freund, du bist so überzeugt davon, die Hölle verdient zu haben, dass du nachdem du dahingeschieden bist, genau da gelandet bist, deinem Glauben entsprechend. Und man muss wirklich sehr überzeugt sein, um sich eine eigene Hölle zu erschaffen. Die meisten merken es relativ schnell, und kommen wieder alleine da raus. Der Meister der Selbstreflektion scheinst du nicht zu sein.“ “Ich glaube dir nicht!“ “Ist in der ganzen Zeit, in der du hier bist, jemals einer durch diese Türe gekommen? Diese Türe hinter mir gab es doch gar nicht!, ich bin es, der die Tür erschaffen hat, und ich bin es, der hinaus gehen kann und wieder hinein. Alles hier, bis auf diese Türe, entspringt deiner Vorstellung, und selbst ich, der außerhalb dieser existiert, sieht so aus, wie du es dir vorstellst.“ So langsam fängt er an zu grübeln, aber seine Zweifel sind nicht zu übersehen. “Lobet den Herrn, Danke, für diesen guten Morgen, tut mir leid, Kirchenlieder sind nicht so mein Ding, aber der Satan würde wohl kaum welche singen, oder?“ “Ok, gehen wir davon aus, dass du Recht hättest, dann zeig mir dein wahres Aussehen!“ “Das würde dich nur unnötig schockieren, und ist nicht notwendig, um diesen Ort zu verlassen.“ “Zeig mir dein Gesicht, oder verschwinde!“

“Na gut, warum nicht. Du musst mir aber helfen, dein Misstrauen ist zu groß, allein die Türe aufrecht zu erhalten kostet den Großteil meiner Energie. Meine Hautfarbe ist blau, versuch es dir Vorzustellen, versuche das zu sehen, was wirklich ist. Dann wirst du feststellen, wie sich langsam meine Hautfarbe ins blaue verändert. Gut, das machst du gut, mach weiter, lass es geschehen.“ Nach einiger Zeit schafft er es tatsächlich, mich so zu sehen, wie ich tatsächlich aussehe. Die menschliche Psyche ist schon merkwürdig, was man sich nicht vorstellen kann, noch nie gesehen hat, da bekommt sie Probleme und greift gerne auf Bilder zurück, die sie kennt. Oder in anderen Worten, obwohl er mich jetzt sieht, kann er sich kein Bild machen. Er reibt sich die Augen, sieht mich durch zusammengepresste Schlitzaugen an. “Mein Freund, andere Sonnen haben auch schöne Planeten.“ “Hä, wie?“ “Stichwort ET nach Hause telefonieren, na?, wie schauts aus?“ Plötzlich reißt er seine Augen weit auf, starrt mich einige Momente an, und kotzt schließlich auf den Boden, was ich nicht als Kompliment auffasse. “Was bist du denn für ein Ding?“ “Oberbegriff Humanoid, im Universum gibt es genau vierhunderttausend verschiedene Gattungen, der Mensch ist eine, bleiben noch genau dreihunderttausendneunundneunzigtausendneunhundertneunundneunzig über. Mehr muss ich wohl nicht sagen. Jetzt zu dir, es ist nicht nötig weiter hier zu verweilen, ich werde wieder durch die Türe verschwinden und solange draußen warten, bis du deine Hölle verlassen hast, du brauchst keine Angst haben.“

“Warte!, was erwartet mich denn? Sag es mir, bitte!“ “Kommt drauf an, was du dir vorstellst. Am unaufwendigsten sind Atheisten, wenn solche ableben, befinden sie sich einfach in einem Schwarz, bis sie merken, und das kann ein wenig dauern, das sie noch Leben. Jeder sieht erst das, was er sich vorstellt, damit man keinen Schock bekommt, und der Übergang wird dadurch leichter. Ich würde Vorschlagen, stell dir einfach irgendetwas schönes vor.“ “Und danach, was kommt danach?, nach der Illusion.“ “Illusion?, wenn du wüsstest, wie aufwändig das Ganze ist, manchmal helfen über hundert Wesen mit, damit alles den Vorstellungen entspricht. Wie eine große Gruppe von Schauspielern, mit Kostümen und allem Pipapo. Aber das ist nicht meine Abteilung, wohin du genau kommst weiß ich nicht, aber es wird für dich im Bereich des Vorstellbaren bleiben, sonst würdest du dich nicht zurecht finden, was übrigens bei manchen Monate dauern kann. Mehr werde ich dir und darf ich nicht erzählen.“ Während ich ihn einfach stehen lasse und durch die Türe wieder verschwinde, höre ich ein Danke, ich schließe die Türe hinter mir, warte, bis er seine Hölle verlässt. Danach öffne ich die Höllenzellentür Nummer eins sieben fünf fünf null …

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Kommentare zu diesem Text


 princess (25.11.11)
Hallo Marco,

ich gestehe: nach Satz drei dachte ich mir erst mal "igitt!" und klickte den Text wieder weg. Mhh. Dann klickte ich wieder zurück. Und ab dem satanischen Duz-Angebot war meine Neugier definitiv größer als mein Grausen.

Ein Text, der in drastischer Sprache und Bildern von der Kraft menschlicher Konzepte und Vorstellungen erzählt. Ich bin meine Gedanken? Kaum auszudenken. Aber sehr gut vorstellbar. Für meinen Horizont zumindest.

Liebe Grüße, Ira

 Erdenreiter meinte dazu am 28.11.11:
Hallo Ira, danke für Dein Feedback.

"Die Tatsache, dass es nichts anderes gibt als eine geistige Welt, nimmt uns die Hoffnung und gibt uns die Gewissheit." ( Franz Kafka )

Liebe Grüße
Marco
(Antwort korrigiert am 28.11.2011)
KingCrimson (37)
(25.11.11)
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 Erdenreiter antwortete darauf am 28.11.11:
Nein,
bösartig klingst Du nicht. Dein Kommentar ist in einem annehmbaren Ton vorgetragen. Natürlich ist die Meinung und das Empfinden des Lesenden nicht bestreitbar, was nicht bedeutet, dass ich diese und dieses teile.

Du sagst, die Dialoge sind hölzern und beinahe schon steril. Der Hauptdarsteller der Erzählung würde sagen, von jemanden der jahrelang in seiner selbsterschafften Hölle sitzt, kann man nicht mehr erwarten, denn zu einem guten Dialog gehören immer zwei .

Ich würde sagen, die Dialoge, Innere Monologe und der Ich-Erzähler sind auch, nicht nur, in Umgangssprache formuliert. Kommt natürlich darauf an, was man unter Umgangssprache versteht. Der höllische Gastgeber ist wenn überhaupt der Insasse.

Liebe Grüße
Marco
(Antwort korrigiert am 28.11.2011)

 EkkehartMittelberg (25.11.11)
Ich empfehle den Text trotz der schnoddrigen Alltagssprache (Sie ist vom Geschehen her nicht begründet), weil ich die Idee, dass sich jemand durch seine Fantasie selbst die Hölle macht, einleuchtend und spannend erzählt finde.
Ekki

 Erdenreiter schrieb daraufhin am 28.11.11:
Hallo Ekki,
wenn er zu ihm spricht, verhält er sich durchaus höflich. Es ist ein fiktive Figur, und warum sollte der Lesende ihn sympathisch finden. Natürlich hätte man es auch anders schreiben können. Beim Ich-Erzähler handelt es sich um den Hauptdarsteller der Erzählung, auch wenn es sich dabei meistens um die erfahrenere, reifere Version des erlebten Ichs handelt, ist es in dieser Erzählung nicht so.

Liebe Grüße
Marco
SigrunAl-Badri (52)
(25.11.11)
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 Erdenreiter äußerte darauf am 28.11.11:
Danke für Dein Feedback.

Liebe Grüße
Marco
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