Herr Schmidt

Kurzprosa zum Thema Alles und Nichts...

von  mondenkind

Ich hasste ihn. Schon wenn ich seine schwerfälligen Schritte draußen auf der Treppe hörte, schon wenn ich seine verschwitzten, speckigen Hemden durch das Schlüsselloch roch, hätte ich vor Abscheu laut schreien können.
Ich hasste ihn. Ich hasste dieses Haus und ich hasste die Tatsache, dass er gleich neben mir wohnte. So wurde ich unfreiwillig Zeuge und Mitwisser seines stoisch strukturierten Lebens. Diese Scheißwände waren so dünn, dass ich nicht mal vor der Regelmäßigkeit seiner üppigen Verdauung verschont blieb. Ich hörte ihn morgens stöhnend aus dem Bett steigen und bat wieder und wieder inständig darum, dass er eines Tages einfach am Auswurf seines widerlichen Morgenhustens ersticken würde, ich lauschte seinem überlauten Fernseher und konnte über den Rand meiner Geduld hinweg schon voraussagen, an welchen Stellen er unwillig schnauben würde. Oh wie ich ihn hasste! Es trieb mich die Wände hoch, wenn ich ihn vor sich hinnuscheln, wenn ich ihn ATMEN hörte durch diese verdammte verdreckte dünne Tapete. Faustgeballt folgte ich seinen Schritten durch den Tag. Wusste, zu welcher Zeit, zu welcher ewig gleichen Zeit er hinunter zum Kiosk ging, um sich seinen Biervorrat aufzufüllen. Ich wusste, wann ich meine Tür aufreißen musste, um ihm mit einem abschätzenden Blick und einem unwirschen Gruß vorzuspielen, dass ich dringend nach der Post zu sehen hatte, nur, um seinen Anblick mit der klirrenden Tüte und dem Fleischwurstbrötchen zwischen den Zähnen für einen weiteren Tag in meine Augen zu brennen.
Manchmal erwischte ich mich dabei, wie ich pantomimisch dem Geräusch seiner Schritte auf den knarrenden Dielen folgte, in einem grotesken Schattentanz. Durch die Küche. Das Bad, zurück zur Couch. Sitzquietschen. Himmel!! Die Hände an die Schläfen gepresst saß ich nachts wach, während er sich in seinem Bett herumwälzte.

Heute hörte ich ihn seine Altglastüte nehmen. Er ging zur Tür. Ich ging zur Tür. Ich hörte ihn herauskommen und öffnete. Sein jämmerlicher Mund wollte sich gerade zu einem Gruß verziehen- doch ich wusste, nur ein einziger weiterer Laut von ihm, nur ein einziges winziges Atemziehen durch seine Lippen, durch seine gebleckten, gelben Zähne würden mir den Wahn durch die Haut sprengen! Meine berstenden Nerven rissen mir an den Augenmuskeln, ich kämpfte mit mir! - Da grunzte er ein ‚Hallo’ und rote Nebelschwaden schossen in meinen Blick. Ich sah meine Hände nach etwas greifen, sah eine überraschte Ungläubigkeit in wässrigen Augen blitzen, die mich rasend machte, spürte einen kurzen Widerstand, dann zerriss ein dumpfer Aufschlag den Moment.
(Zurück in meiner Wohnung sah ich die Stille summend um das Licht kreisen.)


Anmerkung von mondenkind:

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2007

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Kommentare zu diesem Text

janna (66)
(28.11.11)
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 mondenkind meinte dazu am 28.11.11:
jah, du glückliche, janna. :)
Müller (45)
(28.11.11)
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 mondenkind antwortete darauf am 28.11.11:
so, ich habs mal weg und schau was passiert. :) vielen dank. auch für die weisheiten der großen lilo. :D

 Vaga (28.11.11)
Ich kann mich auch erinnern. Das schraubt sich irgendwie ins Gedächtnis. Jedes Wort schreit nach der ErLeichterung am Ende

 mondenkind schrieb daraufhin am 01.12.11:
hihi. genau! :) vielen dank. auch fürs erinnern. das freut mich besonders!

 AZU20 (28.11.11)
Ein solcher Nachbar nervt wirklich bis ....LG

 mondenkind äußerte darauf am 01.12.11:
..ja, bis wann nur... ;)
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