Barcelona-Berlin

Monolog zum Thema Andere Kulturen

von  JoBo72

Wie schön ist es, wieder in Berlin zu sein, nach fast zwei Jahren im Exil – am Mittelmeer. Ich bin so froh! Das kann ich Euch gar nicht sagen, wie froh ich bin!

Ich meine, das geht ja schon mit dem Wetter los: In Berlin sportliche 3 Grad, ab und zu Regen, damit man frisch und knackig bleibt und alles ist in teintfreundliches Dunkelgrau getaucht. Und Barcelona? Also, ich für meinen Teil konnte diese blöden Sonnenauf- und -abgänge, dieses „Mitte-November-immer-noch-20-Grad“-Gehabe, dieses ganze „Im-T-Shirt-draußen-Rumgehänge“ nicht mehr ertragen! Nix mit: „Der Herbststurm braust“! Furchtbar, sag ich Euch! Janz schlimm!

Ach, ja: Berliner Schnauze mit Herz! Kennen die natürlich auch nicht, da unten! Da heißt es „Bitte.“, „Danke.“, „Ach, könnten Sie vielleicht?“, „Aber sicher doch, sehr gerne!“, „Wie freundlich!“ usw. Natürlich alles auf katalanisch, damit es keiner versteht. Also, ich zumindest nicht.

Katalanisch ist ja eine Sprache. Kein Dialekt. Den Unterschied gilt es ernst zu nehmen. Katalanisch wurde Jahrhunderte lang verschmäht, unter Franco gar verboten. Jetzt wird mit dem flächendeckende Einsatz des „català“ eiskalt Rache geübt. Wer spanisch spricht, wird angesehen, als habe er sich seine Steuernummer auf die Stirn tätowieren lassen. Dabei sei katalanisch „so ähnlich“ wie spanisch. Sagt man. Steht auch im Reiseführer. Stimmt aber nicht. „Ähnlich“ – höchstens in dem Sinne, wie eine Buchsbaumhecke einem Weltraumteleskop „ähnlich“ ist. In Wahrheit ist katalanisch eine Mischung aus spanisch, französisch und italienisch und hört sich, vom Durchschnittskatalanen gesprochen, etwa so an wie eine Mischung aus Suaheli, Mandarin und Urdu.

Die katalanische Grammatik enthält morphologische Finessen, die, so scheint’s, nur eingeführt wurden, um den Rest der Welt zu ärgern. Und besonders die Spanier. Warum sonst schreibt man ständig Buchstaben, die man am Ende doch nicht ausspricht? Oder ganz anders? Oder mal so, mal so, nach einem stochastischen Algorithmus, der offenbar jeden Tag neu ermittelt wird und nicht weniger willkürlich scheint als die Quersumme aus aktuellem finnischen Aktienindex und dem Durchschnittsgewicht einer Graugans.

Da lobe ich mir doch die phonetische und semantische Klarheit der Berliner Schnauze mit ihrem unnachahmlichen „Hier nich'!“, „Is schon zu!“, „Ej!“. Oder auch die BVG-Poesie à la „Wenn Se nich aus da Tür raujehn, kann ick se nich schließen un wer können nich losfahrn!“ - Sowieso: BVG. In Barcelona fragt man den Busfahrer, wohin der Wagen fährt, und der erzählt einem seine ganze Route und wen er da kennt und wer von denen eine Dauerkarte fürs Camp Nou hat. In Berlin: „Wat steht denn dranne, Meesta?!“ - „Im Moment noch: ,Betriebsfahrt'“. - „Wat? Dat kann ja wohl nüscht wa sein!“

Oder, anderes Thema jetzt, ganz anderes Thema: Hochzeit. Wenn in Barcelona jemand heiratet, dann hauchen Braut und Bräutigam schlicht, ergreifend und phantasielos ihr auswendig gelerntes „Si!“ in den Kirchenraum, in dessen hinterem Bereich die Kinder der Hochzeitsgesellschaft Standardsituationen üben. In Berlin ist das völlig anders. Da sagt der Bräutigam auf die entscheidende Frage nicht etwa: „Ja, ich will!“, sondern „Wat gloobste, warum ick hier bin?!“ Und die Braut sagt: „Wat gloobste, warum ick hier bin, Alta!“

Überhaupt, wo wir gerade dabei sind: Fußball. In Berlin: Hart und Hertha! Oder: Union! BFC Dynamo! Reinickendorfer Füchse! Die auch im Handball! Weltklasse im Kiez! In Barcelona: Ein halbes Dutzend Arbeitsmigranten aus Lateinamerika, ein halbes Dutzend Jungs aus der Umgebung, die, gäbe es in unserer Kultur nicht die Möglichkeit, den Fußballsport berufsmäßig auszuüben, dem Steuerzahler zu Last fielen. Oder glauben Sie, jemand, der gerade, nachdem er das entscheidende Tor zum Gewinn der Weltmeisterschaft geschossen hat, Dinge sagt wie: „Wichtig sind die drei Punkte. Wir schauen jetzt nur aufs nächste Spiel. Die Saison ist noch lang.“, kriegt auch nur einen Teilzeitjob als Regalauffüller im Supermarkt? „Tut mir Leid, Herr Iniesta! Ist leider auch in dieser Woche nichts dabei für Sie. Wir hätten da aber ein Bewerbungstraining. Nicht, dass Sie das auf den Pförtnerposten bringt, aber Sie sind dann wenigstens für'n halbes Jahr raus aus der Statistik! Ups.“ Jaha, so säh' das aus. Und Messi hätte man doch schon längst abgeschoben. Wenn wir mal ehrlich sein wollen.

Ja, und dann: Essen. Beim Essen, in Barcelona jetzt, ist das so: Man sitzt draußen (Anfang Februar, die Sonne scheint, 21 Grad) und bekommt eine Speisekarte. Von einer Bedienung. Einer lächelnden Bedienung. Einer Bedienung, die, wenn man ihr einen „Guten Tag!“ wünscht, weil man das von seiner niederrheinischen Heimat her so gewohnt ist, mit „Guten Tag!“ antwortet und nicht mit „Watt weest du, watt heut fürn Tach is?!“ (im Osten gefolgt von „Alta!“). Also, Speisekarte. Man versteht kein Wort, aber was man merkt: Es gibt zig Tapas und ein dreigängiges Menü mit jeweils 12 Möglichkeiten zur Auswahl, was rein rechnerisch mehr als 58 Millionen Variationen an Menüs ermöglicht. Wie soll man da jetzt eine Entscheidung treffen. Mitten in der Winter-Hitze! - In Berlin ist das einfacher, viel einfacher: „Kräuter? Knoblauch? Scharf?“ Oder (im Osten): „Mit oder ohne Darm?“ Das sind klare Strukturen! Da dauert das Mittagessen dann auch nicht viereinhalb Stunden!

Auch in der Architektur zeigt sich der Vorteil klarer Strukturen: In Berlin ist alles – „Zack!“ - Steine, Steine, Steine, Platte obenruff. Fertig! In Barcelona? Ich sag nur: Gaudí – „verspielt“, „geheimnisvoll“, „die Natur ins Artefakt integrierend“, „Formen, jenseits aller Konvention“. Bla, bla, bla! Ich meine, man muss sich doch bloß mal die Kirchen angucken. Sagrada Família, Hedwigskathedrale. Hedwig: Kreis. Steine. Kuppel ruff. Fertich! Sagrada Família: 18 Türme für die 12 Apostel, Säulen wie Bäume, die sich im Gewölbe verästeln, Fenster von überirdischer Strahlkraft. Und? Wat is? Genau! Nich fertich!

In einem aber herrscht traute Einmütigkeit zwischen Barcelona und Berlin: Wenn der Papst kommt, wird demonstriert. Antiklerikalismus im Allgemeinen gibt es in Barcelona genauso wie in Berlin, obwohl Berlin dreimal größer ist. Das ist aber auch das einzige, was für Barcelona spricht.

Ach, ich kann Euch gar nicht sagen, wie froh ich bin, wieder in Berlin zu sein! Toll!


Anmerkung von JoBo72:

Beitrag für die Nikolausfeier der KSG Berlin am 7.12.2011. Der Text basiert auf dem gleichnamigen Beitrag in meinem Blog. URL: http://jobo72.wordpress.com/2011/12/03/barcelona-berlin/

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Kommentare zu diesem Text

LudwigJanssen (54)
(08.12.11)
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KoKa (43)
(08.12.11)
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Fibo (24)
(24.01.12)
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 Jorge (12.10.17)
Mir geht's wie dem verstorbenen Koka.
Ich las Zeile für Zeile.
Mein Urteil: ein ambivalentes Klasse.
Generell stimme ich als Berliner der leidenschaftlichen Liebe zur deutschen Hauptstadt zu.
Als Wahlspanier liebe ich natürlich auch Barcelona.
Obwohl gerade jüngst dort vieles geschah/geschieht.
Rambla und Abtrennungsbemühungen vom spanischen Staat.

Diese Stadt hat alles, was sie zu einer der begehrtesten Metropolen weltweit macht. Geschichte - Kultur - Kunst - Meer und mediterranes Flair.

Dennoch schwärme ich bei jedem Berlinaufenthalt von meiner Stadt. So sind wir Berliner.

 Dieter_Rotmund (22.10.19)
Zu gut für Karnevalisten.

 Dieter_Rotmund (20.12.21, 10:52)
Immer noch herrlicher Text!

Lieblingsstelle: "In Berlin: „Wat steht denn dranne, Meesta?!“ - „Im Moment noch: ,Betriebsfahrt'“. - „Wat? Dat kann ja wohl nüscht wa sein!“"
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