Mein Onkel

Erzählung zum Thema Erinnerung

von  youngShadow

Mein Onkel



Mein Onkel war ein großer, breitschultriger Mann. Er hatte riesige Hände, die von der täglichen Feldarbeit, rau und rissig geworden waren. Zumeist klebte an seinen Hosen, dicke Klumpen schwarzer Erde. Er sprach mit der tiefen Stimme eines Bären, und manchmal, wenn er seinen massigen Körper spät abends nach Hause schleppte, hätte man ihn von weitem für einen halten können. Er hatte nie geheiratet und lebte einsam und zurückgezogen, das Leben eines Einsiedlers.

Für ihn war ich nur der Junge. Er hatte mich aufgenommen, nachdem meine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.
Ich half ihm bei der Arbeit, und bald waren auch meine Hände von tiefen, blutigen Rissen durchzogen. 
„Es heilt“, hatte er mit einem kurzen Blick auf meine geschunden Hände gesagt.
„Geh schlafen Junge, wir müssen morgen früh raus.“
Er wollte nicht, dass ich weiterhin zur Schule ging, auf dem Hof gab es genug Arbeit für mich.
Mein Onkel besaß zwanzig Hektar Ackerland, zwanzig Kühe, dreiundzwanzig Schweine und drei dutzend Hühner. Meistens blieb ich zuhause und kümmerte mich um die Tiere.
Mein Onkel bestellte die Felder oder fuhr mit dem Traktor die Ernte ein.
Als er mich einmal vor Trauer und Erschöpfung, bitterlich weinend, hinter der Scheune gefunden hatte, half er mir behutsam auf und trug mich ins Haus.
Mein Onkel war hart, aber nicht böse zu mir. Stets trieb er mich zur Eile an, und oft musste ich so viel arbeiten, dass ich noch während des Abendessens einschlief.
Trotz seines barbarischen Aussehens und seines zurückgezogenem Lebens, war mein Onkel nicht einsam. Jeden Samstag ging er aus. Immer zog er eine braune Cordhose an, sowie die passende Jacke dazu. Er kämmte sein langes schwarzes Haar und entfernte die verkrusteten Erdkrümel aus seinem Bart. Ich glaube mich zu erinnern, dass er richtig gut aussah. Markant, wie manch einer sagen würde.
„Geh bald schlafen, Junge, ich komme erst spät nach Hause. Du kannst ein Bier haben. Aber nur eins.“
Ich kann mich noch gut an den ersten Schluck, des dunklen Getränkes erinnern.
Bitter und überhaupt nicht lecker.
Wo mein Onkel hinging, wusste ich nicht. Ein paar Kilometer weiter, befand sich ein kleines Dörfchen namens Rotblut, noch ein bisschen weiter, die nächst größere Stadt.
Einmal wurde ich mitten in der Nacht, durch ein Frauenlachen geweckt. Sie quietschte vergnügt, das tiefe Brummen gehörte meinem Onkel. Ich wollte sie nicht belauschen, doch als die Haustür geöffnet wurde, schlich ich vorsichtig zum Fenster. Im Mondlicht sah ich ein junges, rothaariges Mädchen, das sich eng an die breite Schulter meines Onkels schmiegte. Sie liefen in die Nacht, und bald konnte ich sie nicht mehr sehen.
Ich hörte noch oft Frauen bei ihm, und immer lachten sie.
Einmal hörte ich Glas zerspringen.
Am nächsten Tag fand ich eine Flasche Rotwein im Mülleimer.

Aus mir wurde ein kräftiger junger Mann, der bei seinen seltenen Besuchen in der Stadt, stolz einen mickrigen Bart zur Schau trug.
Die Arbeit war hart, aber ich war kräftiger geworden. Eines Sommers fiel die Ernte aus, und wir mussten die Schweine verkaufen. Von da an, war es einfacher.
Mein Onkel brachte mir bei, den Traktor zu fahren. Ich liebte es, mit dem schweren Gerät zu fahren. Leider durfte ich das nur selten, und nie erlaubte er mir, die Felder durch zu pflügen.
Er ging noch immer jeden Samstag aus, und auch ich begann Abends die Stadt aufzusuchen.
Nie traf ich dort auf meinen Onkel.

In der Stadt lernte ich ein Mädchen kennen, und wir verliebten uns. Nach der Arbeit lief ich nach Rotblut, und nahm von dort den Bus in die Stadt.
„Schon wieder eine“, sagte sie. „Schau!“ Sie hielt mir ein Klappmesser entgegen.
„Ich weiß mich schon zu wehren.“
Zwölfte Frau in fünfzehn Jahren, lautete der Leitsatz des Zeitungsartikels, den sie mir gab.
Alle vermisst.

Mein Onkel starb mit der letzten Ernte des Jahres.
Ich fand ihn zusammengesunken in seinem Sessel. Die Hände über der Brust verkrampft und mit offenen Augen.
Er hatte seine braune Cordhose an, war gewaschen und gekämmt, so als wollte er gerade gehen.
Herzinfarkt, sagte der Arzt.

Ich verkaufte die meisten Tiere, nur ein paar Hühner behielt ich.
Acht große Felder mussten von nun an durchpflügt und neu besamt werden.
Eines davon, hatte mein Onkel stets unbestellt gelassen. Unkraut wuchs in dicken Büscheln darauf. Um es nutzbar zu machen, mähte ich das Gras und durchpflügte den Boden.
Es war schon spät, und ihm matten Licht der untergehenden Sonne, ärgerte ich mich über die große Anzahl von weißen Steinen, die ich aus dem Boden zu Tage gefördert hatte.
Ach, wären es doch nur Steine gewesen.
Am nächsten Tag fand ich das Grab der zwölf vermissten Frauen. Der Pflug hatte die meisten Knochen zerbrochen und die Skelette wild durcheinander geworfen.
Ich bestelle es bis heute nicht, Unkraut wächst dort wieder.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram