Weltenwanderer - Teil 1

Kurzgeschichte

von  MrDurden

„Dad? Erzählst du mir eine Geschichte?“

Es ist Herbst in Detroit. Zwischen sterbenden Eichen und goldenem Laub sitzen wir auf der einzigen Holzbank des einzigen Spielplatzes in Morningside. Ein ungewöhnlich warmer Nachmittag, doch wir genießen jeden Sonnenstrahl unter der Wolkendecke dieser finsteren Stadt. Fünf Jahre ist mein Junge nun schon alt. Unglaublich, wie schnell die Jahre mit diesem kleinen Energiebündel vergehen. Vater zu sein ist nicht einfach, wenn man sich selbst noch als Junge fühlt. Doch ich liebe Jake mehr als mein eigenes Leben. Und ich versuche, jede freie Minute mit ihm zu verbringen.

„Klar erzähl ich dir was, Partner. Hast du denn eine Idee für eine gute Geschichte?“

Jake hört für sein Leben gerne Geschichten von seiner Mutter. Manchmal kommt es mir vor, als würde er in Gedanken ein Bild von ihr zeichnen, während ich von ihr erzähle. Als würde er sie zu uns auf diese kleine Holzbank holen, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Als wäre sie niemals gegangen.

„Du warst doch auch mal ein kleiner Junge, so wie ich. Hast du dich da mal alleine gefühlt?“

Jede Woche erzählt mir seine Kindergärtnerin, er sei ein so verschlossenes Kind. Man sähe ihn fast nie lachen oder mit anderen Kindern spielen. Als würde sein Vater das nicht selbst wissen. Als hätte Jake einen Grund, aufgeschlossen und gesprächig zu sein. Obwohl er sich wohl kaum an sie erinnern kann, vermisst er seine Mom. Und mir fehlt sie auch. Irgendwann werden wir sie wiedersehen. Doch bis dahin liegt noch ein ganzes Leben vor uns.

„Ja das hab ich, Jake. Ich hab mich oft alleine gefühlt. Egal, wie viele Leute ich um mich hatte, es hat immer ein ganz besonderer Mensch gefehlt. Das war auch der Grund, warum ich immer Raumfahrer werden wollte. Möchtest du die Geschichte hören, Kumpel?“

Die Sonne steht tief. Ihr warmer Schein taucht den sandigen Boden des Spielplatzes in herbstliche Orangetöne. Mein Junge dreht sich zu mir, sieht mich mit großen Augen an und hört mir erwartungsvoll zu.

„Auch meine Mom musste gehen, als ich noch jung war. Und ich konnte nie wirklich verstehen, warum und wohin sie verschwunden war. Jeden Tag und jede Nacht weinte ich und es gab nichts, das ich mir mehr wünschte, als ihr folgen zu können. Doch wie sollte ein kleiner Junge wie ich das anstellen? Irgendwann fand ich eine Antwort. Ich wollte Raumfahrer werden. Wenn sie die Erde verlassen hatte, musste ich das auch tun. Also besorgte ich mir Nadel, Faden und so viel Papier, wie ich auftreiben konnte. Ich nähte mir einen Raumanzug mit einem stolzen Abzeichen und baute ein Papierraumschiff. Als ich dann bereit war, da schwor ich mir, dass ich jeden Planeten des Universums besuchen würde. Ich würde nicht eher zurückkehren, bis ich meine Mom gefunden hätte. An diesem Tag ging ich an Bord meines Papierraumschiffs und verlies die Erde. Ich verlies mein Zuhause als Weltenwanderer.“

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (44)
(02.03.12)
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 ZornDerFinsternis (02.03.12)
...wow. Das ist wirklich "krass". Die Worte bohren sich immer tiefer in einen hinein, lösen Tränen und schmerzliche Impulse aus... Fühl' dich gedrückt und ja... ein wundervoller Text

 Dieter_Rotmund (31.10.18)
Rührseliger Familienkitsch.
Nee, sorry, gefällt mir nicht.
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